Low Code Legal Tech

Low-Code: Legal Tech-Werkzeuge für Jedermann?

Von Anna Slaninkova, Jennifer Hülskötter Jan Baksa-Lesjak

Legal Tech ist seit einigen Jahren ein präsentes Thema und viele Kanzleien arbeiten bereits weitgehend digital. Für Kanzleien, die sich aktuell erst mit der Digitalisierung beschäftigen, gibt es aber einen mit einem Spätanfang verbundenen Vorteil: Der Markt bietet mittlerweile erprobte Lösungen, mit denen man nicht nur das Backoffice digitalisieren kann, sondern relativ schnell, unkompliziert und ohne Programmiererkenntnisse digitale Workflows in der Kanzlei implementieren kann – im Gegensatz zu den Legal-Tech Pionieren, die diese Möglichkeiten noch nicht hatten und oft auf kostspielige Eigenentwicklungen angewiesen waren.

Womit kann ein Legal Tech-Einsteiger anfangen?

Workflow-Automatisierungstools bieten die Möglichkeit, ganze Sequenzen von Arbeitsschritten, die sonst analog oder ineffizient in der Kanzlei stattfinden, zu automatisieren. Dabei ist es möglich, mit einfachen standardisierbaren Workflows anzufangen und nach und nach komplexere Workflows zu etablieren, die immer mehr Situationen im Kanzleialltag abdecken.

Es sind sogenannte Low-Code-Plattformen, die die Erstellung solcher Abläufe ohne Programmiererkenntnisse ermöglichen und so im Vergleich zu individueller Softwareentwicklung zeit- und kosteneffizient sind. Das bedeutet, dass Tools schneller und effektiver erstellt werden können. Dazu können auch mehrere Versionen und Varianten entstehen, um herauszufinden, was am besten funktioniert und wie man einen Mehrwert generieren kann.

Solche Plattformen erlauben es, das prozessuale Know-how einer Kanzlei in eine Software zu übertragen und den Service schneller und effektiver an mehr Rechtssuchende zu liefern.

Entwicklung eines Online-Kontaktformulars mit ersten Angaben zum Sachverhalt

Laufkundschaft, die sich zufällig in die Kanzleiräume verirrt, gibt es heutzutage selten. Amazon und anderen Online-Shoppingplattformen sei Dank, sucht ein immer höherer Anteil an potenziellen Mandanten und Mandantinnen nach einer Lösung für ihre rechtlichen Belange online.

Um hier den „Zuschlag“ zu bekommen, gibt es klar umrissene Faktoren. Die passenden Schlagwörter auf der Website in Kombination mit einer oder mehr geradlinig gestalteten Landingpages, die den Fokus der Kanzlei möglichst zielgerichtet einem potenziellen Mandanten näherbringen. Daneben Google AdWords, um die Sichtbarkeit im Internet zu erhöhen. Befindet sich ein potenzieller Mandant auf der Landingpage, hilft ein passend gestaltetes Kontaktformular, das den ersten Kontakt zu der Kanzlei unkompliziert möglich macht und dem Anwalt oder der Anwältin die ersten wichtigen Daten zur Vorstellung des Falls liefert - und einen guten Ausgangspunkt für das Mandat gibt. Ein Must-have für jede moderne Kanzlei. Das Wichtigste: eine klare, zielgerichtete und moderne Onlinepräsenz, die die Anfrage bzw. den „Kauf“ eines Rechtsproduktes so einfach wie möglich macht.

Mit zunehmender Verbreitung von Smartphones, digitalem Shopping und insbesondere schnelleren Entscheidungen zum Kauf wird auch die Entscheidung, welche Kanzlei ich mein individuelles Rechtsproblem bearbeiten lassen will, durch die Verfügbarkeit digitaler Services beeinflusst. Wenn ich als Mensch nicht überzeugt bin, dass die Kanzlei professionell und effektiv arbeitet, werde ich wahrscheinlich schnell online eine andere Kanzlei bzw. ein Online-Rechtsportal mit guten Bewertungen finden und dort meinen Fall bearbeiten lassen.

Stellen wir uns vor, wie ein imaginärer Rechtsanwalt Max Müller, der gerne Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr bearbeitet, im Legal Tech-Bereich aber noch nicht besonders versiert ist, ein Kontaktformular und Workflow-Automatisierung mit der Low-Code-Plattform ShakeSpeare® Software einsetzen könnte und welche Vorteile diese Form der Prozessautomatisierung bieten würde.

Die wichtigste Frage: Warum will er das überhaupt machen? Seine Kanzlei sitzt in München und er merkt, dass der Konkurrenzdruck stetig steigt, denn seine Kollegen und Kolleginnen bleiben auch nicht stehen. Insbesondere größere mittelständische Kanzleien, mit größerem finanziellem Rahmen, haben in den letzten Jahren viel investiert und bieten einen erstklassigen Mandantenservice. Er selbst hat viel Zeit in seine Spezialisierung auf Verkehrsrecht und Ordnungswidrigkeiten investiert, hat zwei Mitarbeiter:innen im Sekretariat und ist froh letztes Jahr – trotz Pandemie – eine  Auszubildende gefunden zu haben. Er merkt, dass abends auf dem Anrufbeantworter viele Anfragen von Mandanten und Mandantinnen landen, die bezüglich einer Erstberatung anfragen. Dies nachzuarbeiten, erfordert insbesondere seine Zeit, aber auch die der Mitarbeitenden und stören den Tagesablauf. Ein Callcenter wäre eine Möglichkeit – oder weitere Mitarbeitende für die Abendstunden einstellen. Das ist aber zu teuer.

Aus diesem Grund hat Herr Müller sich entschieden, sich auf neue, moderne Wege der Mandantenannahme und Akquise zu konzentrieren. Die Firma ShakeSpeare® Software bietet zusammen mit der Kanzleisoftware advoware eine Schnittstelle an, die es erlaubt, Mandantendaten auf der Homepage über ein Kontaktformular zu „sammeln“ und über ein Webportal zu entscheiden, ob ein Mandat oder eine Mandantin angenommen werden soll oder nicht. Das Beste: Die Akte kann direkt mit den ersten Dokumenten in advoware angelegt werden. Das spart in der Kanzlei pro Mandat etwa 30 - 45 Minuten und reduziert den Aufwand für die Evaluation, ob sich ein Mandat lohnt oder nicht. Herr Müller bestimmt selbst, welche Daten er von dem potenziellen Mandanten bzw. der Mandantin haben will. Außer Kontaktdaten können das etwa erste Angaben und Dokumente zum Fall sein. Für OWi-Fälle hat ein Mandant etwa die Möglichkeit, einen Bußgeldbescheid und die dazugehörigen wichtigen Daten direkt hochzuladen. Für die jeweiligen Rechtsgebiete gibt es hier standardisierte, ausgearbeitete Workflows. Generell können die Workflows auf jede weitere standardisierbare Rechtsdienstleistung zugeschnitten werden.

Mittels eines Webformulars auf seiner Kanzlei-Website melden sich bei ihm neue Mandanten und Mandantinnen, die die Kanzlei online gefunden haben, aber auch solche, die ihn auf einem anderen Wege kontaktiert haben, die er aber gebeten hat, ihre Angaben ihm via Formular zukommen zu lassen. Nach dem Login in seinen Benutzerbereich sieht Herr Müller alle neuen Anfragen, die er jetzt prüfen und genehmigen kann.

Der Übergang zum Legal Tech-Profi ist fließend

Da Herr Müller mit seinem Kontaktformular sehr gute Erfolge verzeichnen konnte, möchte er den Workflow erweitern und mehr Schritte einbeziehen, beispielsweise dass die Mandantschaft eine Vollmacht bereits online unterzeichnen kann. Nach dem Einstellen bekommt er gleich eine neue Anfrage von Frau Erika Schnell. Der ganze Ablauf sieht jetzt so aus:

  • Das Formular wird um mehrere Felder zur Erstellung der Vollmacht erweitert. Wenn Frau Schnell ihre Anfrage absendet, bekommt sie sofort eine E-Mail mit einer Bestätigung, dass ihre Daten eingegangen sind, ebenso wird Herr Müller über den Eingang der Anfrage informiert.
  • Die Angaben, die Frau Schnell im Formular macht, reichen dafür, dass eine Vollmacht automatisch erstellt und ihr als E-Mail-Anhang zugesendet wird.
  • Herr Müller loggt sich in seinen Benutzerbereich ein und sieht eine neue Anfrage von Frau Schnell. Er schaut sich die Anfrage an. Gleich korrigiert er einen Tippfehler in der Adresse.
  • Wenn alle Informationen vorhanden und richtig sind, lässt Herr Müller den letzten Check durchlaufen: die Kollisionsprüfung. Da sein System mit der Kanzleisoftware advoware verbunden ist, geschieht dies automatisch im Hintergrund per Abgleich der Datenbanken. Danach bestätigt Herr Müller die Annahme des Mandats mit einem Klick. Frau Schnell bekommt in diesem Moment eine weitere E-Mail, die sie darüber informiert. Dieser E-Mail sind Datenschutzerklärung und Mandatsvertrag beigefügt. Parallel wird in advoware eine neue Akte mit allen Adressdaten, Beteiligten und den referatsspezifischen Daten zu ihrem Mandat angelegt.
  • Dokumente zum Fall, etwa Einspruch und Akteneinsicht werden automatisch erstellt und mit vorhandenen Mandantendaten befüllt.
  • Mit einem weiteren Klick werden die Unterlagen an die entsprechende Bußgeldstelle versendet.
  • Ebenfalls werden die erstellten und versendeten Dokumente automatisch in advoware in die passende Aktengeschichte gespeichert.

Welche (IT-)Kompetenzen benötige ich, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen?

Kann Herr Müller also den ganzen Ablauf allein „programmieren“? Wir werden nicht lügen – für die meisten oben beschriebenen Schritte ist ein Mindestmaß an IT-Kenntnissen vorausgesetzt. Allerdings keine Programmiererkenntnisse oder ein IT-Studium!

Wichtig ist, dass beim Implementierungsprozess die Personen beteiligt sind, die die Abläufe innerhalb der Kanzlei kennen und wissen, bei welchen Prozessschritten welches Dokument erzeugt wird und welche Wiedervorlagen und Fristen eingetragen werden müssen. Idealerweise geht dies als Team mit den entsprechenden Fachkräften aus dem Sekretariat und Personen, die das juristische Fachwissen haben. Ein solches Team kann entscheiden, welche Prozesse automatisiert werden sollen, und einschätzen, welche Vorteile das IT-Tool für die Kanzlei bringen kann, um Prozesse zu automatisieren.

Welche Schritte aus unserem Beispiel oben könnte Herr Müller selbst machen?

  • Den gesamten Prozess (Workflow) gestalten – was wann in welcher Reihenfolge geschehen soll
  • Den Inhalt des Formulars gestalten, Datenfelder bestimmen und benennen
  • E-Mails erstellen und entscheiden, welche E-Mails zu welchem Zeitpunkt und an wen gesendet werden sollen und dies entsprechend einstellen, Anhänge einstellen
  • Individuelle Vorlagen erstellen, die mit den Daten aus dem Formular befüllt werden und entscheiden, welche Daten oder Textbausteine unter welchen Bedingungen an welche Stelle in den Unterlagen kommen
  • Einstellen, wann im Ablauf Schreiben, basierend auf den Vorlagen, erstellt werden sollen, und ob sie automatisch versendet werden

Nach und nach lernt Herr Müller, mit dem System immer besser umzugehen. Für schwierige Fragen standen ihm Spezialisten zur Verfügung, die er ab und zu konsultierte. Aber jetzt überlegt er sich schon, welchen Workflow er mit seiner Low-Code-Plattform als nächstes baut …

Fazit

Durch die von ihm erstellten Workflows spart er pro Woche nicht nur Arbeitszeit, sondern konnte diese auch für neue Mandate nutzen und so seine Mandatszahl im OWi-Bereich um 100 Prozent steigern. Damit konnte er einen monatlichen Mehrertrag, nach Abzug aller Kosten, von rund 4000 Euro erzielen.

Legal Tech-Magazin für Einsteiger und Fortgeschrittene

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Bild: Adobe Stock/putilov_denis
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Anna Slaninkova ist Legal Engineer bei ShakeSpeare® Software. Sie studierte Jura und hat einen Master of Laws (LL. M.) von der University of Cambridge.

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Jennifer Hülskötter ist Geschäftsführerin und Workflowenthusiastin bei Hülskötter & Partner, dem größten Händler für advoware Kanzleisoftware in Deutschland.

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Jan Baksa-Lesjak ist Geschäftsführer bei ShakeSpeare® Software und in dieser Funktion für die DACH-Region und das Management der 42DBS GmbH in München verantwortlich.

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