Kanzleiprozesse Legal Tech

Fünf Kanzleiprozesse, die Sie mit Legal Tech optimieren sollten

Von Anna Balmes

In Zeiten, in denen die künstliche Intelligenz ChatGPT in aller Munde ist, taucht auch das Thema Legal Tech vermehrt in LinkedIn-Beiträgen und persönlichen Gesprächen zwischen Jurist:innen auf. Manch Eine(r) schwört schon seit Langem auf technische Lösungen und hat die eigene Kanzlei bereits von vorne bis hinten durchautomatisiert – andere Anwält:innen stehen vielleicht noch ganz am Anfang ihrer digitalen Reise und es bilden sich allein bei dem Begriff „Tech“ die ersten Schweißperlen auf der Stirn. Dabei kann Legal Tech auch und gerade für kleine und mittelständische Kanzleien eine Chance und Bereicherung darstellen – vorausgesetzt, die entsprechenden Tools werden an den geeigneten Stellen eingesetzt.

Aber ganz von vorne: Was ist überhaupt Legal Tech?

Eines vorab – eine offizielle Definition des Begriffs Legal Techs, die sich gerade Jurist:innen oftmals wünschen, gibt es nicht. Je nachdem, wen man fragt, können unter Legal Tech beispielsweise die schlichte Verwendung von Kanzleisoftware, das gesamte Gebiet der Rechtsinformatik oder die am Markt (und im Rechtsdienstleistungsgesetz) mittlerweile etablierten Online-Dienstleister mit Inkassolizenz verstanden werden. Da eine Beleuchtung all dieser Ausprägungen den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, soll der Begriff hier wie folgt definiert werden: Bei Legal Tech handelt es sich um die Verwendung von Technologie im Rechtsbereich, um Prozesse zu optimieren.

Digitalisierung nicht um der Digitalisierung willen

Im letzten Halbsatz liegt das Zauberwort: Prozessoptimierung und -vereinfachung sollte stets das erklärte Ziel des Einsatzes von Legal Tech sein. Dennoch ist oftmals zu beobachten, dass Kanzleien voreilig teure Tools einkaufen, um „auf der Welle mitzuschwimmen“ zu können – die Software dann jedoch, z. B. von den angestellten Anwält:innen, überhaupt nicht genutzt wird. Es ist daher essenziell, sich vor dem Erwerb technischer Lösungen genau vor Augen zu führen, welches Problem diese eigentlich lösen sollen – und ob sie nutzerfreundlich genug gestaltet sind, um dieses Ziel auch zu erreichen. Denn wie formulierte bereits 2015 der damalige Telefónica Deutschland-Chef Thorsten Dirks etwas drastisch, aber treffend: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Und das kann nun wirklich nicht der Sinn der Sache sein.

Warum ist Legal Tech gerade für kleine und mittelständische Kanzleien sinnvoll?

Richtig genutzt kann Legal Tech den Einstieg ins moderne, digitale Arbeiten gerade in kleineren Kanzleien indes erheblich erleichtern. Da diese oft nur über begrenzte Ressourcen und Personal verfügen, kann eine sinnvolle Standardisierung von Prozessen hier eine spürbare Entlastung gegenüber der manuellen Arbeit mit sich bringen.

Dabei empfiehlt es sich, die Nutzer:innen – also die Mandant:innen – von Beginn an in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Demnach orientieren sich die folgenden fünf Tipps an der „Mandatsjourney“, also dem Ablauf eines Mandats in kleinen und mittelständischen Kanzleien.

Fünf Kanzleiprozesse, die mit Legal Tech optimiert werden können

1. Marketing und Mandatsakquise

Legal Tech kann und sollte bereits ansetzen, bevor ein Mandat überhaupt entsteht – so ist es heutzutage wichtiger denn je, bereits im Bereich der Mandantenakquise auf digitale Marketingstrategien zu setzen. Hierunter fallen z. B. die Nutzung von Anwaltsportalen oder die Suchmaschinenoptimierung von Fachbeiträgen auf der kanzleieigenen Internetpräsenz oder in Social Media-Beiträgen. Legal Tech-Tools und auf SEO-Optimierung spezialisierte Marketingexperten können dabei helfen, potenzielle Mandant:innen überhaupt erst auf die eigene Kanzlei aufmerksam zu machen. Und auch, wenn es fast selbstverständlich klingt, sei es an dieser Stelle doch noch einmal erwähnt – ein professionell gestalteter Online-Auftritt ist im Jahr 2023 die Grundvoraussetzung dafür, als Kanzlei bei der rasanten Digitalisierung der Rechtsbranche mithalten zu können.

2. Mandatsanbahnung

Sie posten fleißig auf LinkedIn, nutzen bereits ein Anwaltsportal zur Mandatsakquise oder haben Ihren Anwaltsblog erfolgreich suchmaschinenoptimiert – dann folgt im Idealfall die erste Kommunikation mit Ihren Mandant:innen, die ebenfalls automatisiert erfolgen kann. Viele denken in diesem Zusammenhang reflexartig an Chatbots – hier ist jedoch Vorsicht geboten. Man kennt es aus dem eigenen Alltag – ein Bot, der in jedem zweiten Satz etwa „Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden“ antwortet, löst eher Frust aus, als dass er zum Kauf eines Produkts oder gar zur Beauftragung einer Rechtsanwältin anregt.

Manchmal ist daher weniger mehr – so kommt die Bereitstellung einfacher Eingabemasken auf der Kanzleihomepage in Betracht, in der die wichtigsten Daten zum Mandat eingetragen können. Auch die Möglichkeit des Dokumentenuploads sowie ein Buchungstool für Termine – so z. B. die zumindest in der Basisversion kostenfreien Lösungen von Calendly oder Hubspot – wird mittlerweile nicht nur beim Arztbesuch, sondern auch bei der Anwaltsbeauftragung sehr geschätzt. Es handelt sich insoweit um niedrigschwellige Lösungen, die das Nutzererlebnis Ihrer Mandantschaft mit geringem Aufwand deutlich angenehmer gestalten können.

Auch Erstberatungsgespräche per Video-Call sind spätestens seit der Corona-Pandemie aus dem Alltag einer digitalisierten Kanzlei nicht mehr wegzudenken. Abgerundet wird das digitale Mandantenerlebnis mit der Erteilung der Vollmacht, die ohne Medienbruch vom Smartphone, Laptop oder Tablet aus in einem digitalen Unterschriftenfeld unterzeichnet werden kann[1].

3. Fallmanagement und Mandantenkommunikation

Gerade in Zeiten des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs beA erscheint die Umstellung von der Papier- auf die digitale Akte naheliegend. Bereits eine gut gepflegte, regelmäßig aktualisierte Ordnerstruktur kann im weiteren Sinne als elektronische Akte verstanden werden – gerade bei einer hohen Anzahl an Fällen bietet sich aber die Nutzung eines sogenannten Document-Management-Systems (DMS) an. Entsprechende Lösungen werden am Markt vielfach als in die Kanzleisoftware integriertes Rundum-Sorglos-Paket angeboten.

Der Wechsel hin zur papierlosen Kanzlei bietet dabei nicht nur kosten- und umwelttechnische Vorteile; er kann im vielbeschworenen „War for Talents“ auch auf dem juristischen Arbeitsmarkt ein Alleinstellungsmerkmal für (künftige) junge Berufsträger:innen sein, die vielleicht lieber digital, aus dem Homeoffice oder perspektivisch vom portugiesischen Strand aus arbeiten möchten, als in verstaubten Kanzleiräumen hinter Aktenstapeln ihr Dasein zu fristen.

Insbesondere dann, wenn in Ihrer Kanzlei gehäuft kleinere, sich im Sachverhalt ähnelnde Fälle bearbeitet werden, empfiehlt sich zudem eine automatisierte E-Mail-Kommunikation mit der Mandantschaft, z. B. bezüglich standardisierter Nachfragen oder Updates zum Austausch mit der Rechtsschutzversicherung. Hierfür kann entweder ein Workflow Automation Tool genutzt werden, mit dem die wichtigsten Prozesse der Kanzlei mittels einer Wenn-Dann-Verknüpfung automatisiert werden. Dabei muss es sich nicht einmal zwangsläufig um ein auf Jurist:innen zugeschnittenes Tool handeln – wichtig ist lediglich, dass Sie gut funktionierende, analoge Prozesse Ihrer Kanzlei mit der Software standardisieren und digital abbilden können.

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4. Dokumentenerstellung

Neben der Dokumentenverwaltung in der digitalen Akte sollten auch eigens angefertigte Schreiben standardisiert werden, wo immer es möglich ist – zu nennen sind hier z. B. Tools zur automatisierten Erstellung und Überprüfung von Verträgen, AGB oder Datenschutzerklärungen. Nicht jede Klageschrift muss mühsam aus in unterschiedlichen Ordnern abgelegten, veralteten Vorlagen und der eigenen Schreibkunst erneut zusammengeschustert werden: Mit intelligenten Tools zur Dokumentenerstellung lassen sich auch anwaltliche Schriftsätze ganz einfach aus Textbausteinen zusammenklicken. Wer dabei gleich mangelnde Qualität befürchtet und an fehlerhafte Schriftsätze in Massenverfahren denkt, dem sei gesagt: Noch ist Technologie immer nur so gut, wie derjenige, der sie einsetzt – und vor allen Dingen das Ergebnis am Ende noch einmal kontrolliert. Richtig verwendet können technische Lösungen zur Dokumentenerstellung einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Vorteil bedeuten – und es Anwält:innen ermöglichen, sich vermehrt auf die von der Norm abweichenden, komplexeren Fälle zu konzentrieren.

5. Forderungsmanagement, Zahlungsverarbeitung und Rechnungsstellung

Das Mandat ist abgeschlossen, die Mandantin aufgrund der schnellen und unkomplizierten digitalen Abläufe in Ihrer Kanzlei ganz beseelt, und zu Ihrem Glück fehlt eigentlich nur noch eins: Das anwaltliche Honorar. Die gute Nachricht: Auch hier kann Legal Tech unterstützen, denn die Rechnungsstellung, Zahlungsverarbeitung und das Forderungsmanagement können ebenfalls digitalisiert werden. Die Möglichkeiten reichen von der standardisierten, automatisch versendeten Zahlungserinnerung mittels der oben genannten Workflow Automation Tools bis hin zur Beauftragung von  Forderungsmanagement-Dienstleistern, die ihre eigenen Prozesse ihrerseits automatisiert haben und deren Dienste sich auch Anwält:innen zunutze machen können.

Fazit: Wer Legal Tech richtig einsetzt, bleibt wettbewerbsfähig

Legal Tech kann gerade in kleinen und mittelgroßen Kanzleien dabei helfen, mangelnde finanzielle oder personelle Ressourcen durch den intelligenten Einsatz technischer Lösungen auszugleichen. Dabei ist es entscheidend, die bestehenden analogen Prozesse genau zu überprüfen, Optimierungsbedarf und Nutzerbedürfnisse herauszuarbeiten und problemgerechte Lösungen zu finden. Dann kann der sinnvolle Einsatz von Legal Tech einen echten Wettbewerbsvorteil darstellen – denn nur, wer die nötige Flexibilität mitbringt und sein Geschäftsmodell immer wieder dem Mandant:innenbedürfnis anpasst, wird sich laufend verbessern und somit auch langfristig auf dem Anwaltsmarkt etablieren können.

Zum Abschluss – drei Tipps zur Implementierung von Legal Tech in ihrer Kanzlei:

  1. Ist-Zustand beleuchten: Machen Sie sich ein Bild von den derzeitigen Abläufen in Ihrer Kanzlei – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn ein aufgemaltes Prozesschart kann helfen. So können Sie bereits vor dem Einsatz von Legal Tech feststellen, ob und wo es Optimierungsbedarf gibt – und digitalisieren eben nicht den oben so bezeichneten „Scheißprozess“. Außerdem lässt sich Standardisierungspotential so viel einfacher erkennen.
  2. Mandant:innen befragen: Wenn ich Jurist:innen dazu rate, Ihre Mandant:innen in die Optimierung von Prozessen miteinzubeziehen, reichen die Reaktionen oft von einem fragenden Blick bis hin zu blankem Entsetzen – denn die eigenen Kund:innen um Hilfe bitten, und dies als unfehlbare Jurist:innen, wo kämen wir denn da hin? Dabei ist es in anderen Branchen längst üblich, vor der Entwicklung eines Produkts oder der Überarbeitung von Prozessen „User Research“ zu betreiben, um gezielter auf Nutzerbedürfnisse eingehen zu können. Warum also nicht auch als Anwältin? Sie werden überrascht sein – in den meisten Fällen freuen sich Mandant:innen erfahrungsgemäß sogar, nach Feedback gefragt zu werden. Win-Win!
  3. Nicht wieder „schlafen legen“: Nehmen Sie kanzleiinterne Prozesse immer wieder kritisch unter die Lupe; auch, nachdem Sie diese durch Legal Tech automatisiert haben. So bleiben sie am Puls der Zeit – und nahe an den Bedürfnissen und Erwartungen Ihrer Mandant:innen.
[1] Hier ist allerdings wegen § 80 S. 1 ZPO und § 88 Abs. 1 ZPO Vorsicht geboten – auf Rüge des Gegners hat danach der Nachweis der Prozessvollmacht durch Vorlage der (händisch unterzeichneten) Originalvollmacht zu erfolgen. Einige Gerichte sind hier sehr streng (vgl. z. B. LG Bochum, Az. I-13 O 136/17), sodass es sich ggf. empfiehlt, zumindest vor Verfahrensbeginn eine händisch unterzeichnete Originalvollmacht einzuholen.
Bild: Adobe Stock/©Nuthawut
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Anna Balmes ist Volljuristin, Innovation Consultant bei der Beratungsagentur „This is Legal Design“ sowie Legal Designerin bei der ARAG SE. Zuvor war sie als Rechtsanwältin für Marken- und Wettbewerbsrecht bei einer Kölner Kanzlei tätig. Ihr Jurastudium absolvierte sie in Berlin und Bordeaux; zudem hat sie Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam studiert.

Bereits seit ihrem Referendariat beschäftigt sie sich intensiv mit Legal Tech, Legal Design und nutzerfreundlicher Vertragsgestaltung – kurzgesagt mit allem, was Innovation im Rechtsmarkt betrifft.

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