Legal Tech Referendariat

Legal Tech im Rechtsreferendariat

Wie Bayern digitale Kompetenzen für den Beruf vermittelt

Von Dr. Bettina Mielke

„Viele Studierende haben noch nie etwas von Legal Tech gehört“: So wird die Vorsitzende der studentischen Initiative recode.law, Lina Fredebeul, im März 2023 zitiert. Ohne beurteilen zu können, inwieweit dieser Befund tatsächlich zutrifft – erfreulicherweise gibt es seit einiger Zeit an vielen Universitäten vielfältige Lehrangebote zum Thema Legal Tech, z. B. an der Universität Regensburg – zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 2021 unter mehr als 3.000 Jurastudierenden und Rechtsreferendarinnen und -referendaren, dass sich eine überwältigende Mehrheit mehr Legal Tech in der juristischen Ausbildung wünscht. Der juristische Vorbereitungsdienst in Bayern hat als Antwort darauf seit 2022 eine ganze Reihe von Angeboten geschaffen, mit denen die ggf. noch vorhandenen Lücken aus dem Studium geschlossen werden können. Zumindest am Ende des Referendariats wird hoffentlich kein angehender Jurist bzw. keine angehende Juristin in Bayern mehr sagen können, er oder sie habe noch nie etwas von Legal Tech gehört.

Im Folgenden werden die verschiedenen Angebote für die bayerischen Referendarinnen und Referendare erläutert sowie ihr rechtlicher Rahmen beleuchtet. Ein kurzer Blick auf die Einführung des E-Examens schließt den Beitrag ab.

Innovationstag Legal Tech

Im Februar 2022 fand der erste virtuelle Innovationstag Legal Tech für alle bayerischen Referendarinnen und Referendare statt. Der Innovationstag hatte über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wurde vom bayerischen Staatsminister der Justiz, Georg Eisenreich, mit einem Grußwort eröffnet. Neben Grundlagenvorträgen zu den technischen Voraussetzungen von Legal Tech, den verschiedenen Aspekten der Künstlichen Intelligenz sowie den Themen Data Science und Big Data im Rechtswesen standen aktuelle Herausforderungen in der richterlichen Praxis, etwa im Bereich der Fluggastrechte, die Sicht der Rechtsdienstleister, die rechtspolitischen Implikationen sowie entsprechende Pilotprojekte im Fokus. Am Ende erhielten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen Einblick in die gerade für Legal Tech-Projekte wichtige Innovationsmethode des (Legal) Design Thinking. Die Reihe wird fortgesetzt, ein weiterer Innovationstag ist für Herbst 2023 geplant.

Zusatzveranstaltungen im Bereich Legal Tech, Digitalisierung und Recht

Seit Juli 2022 reihen sich zwei freiwillige Zusatzveranstaltungen in die bereits vorhandenen Angebote zum Erwerb von Zusatzqualifikationen wie Rhetorik, Verhandlungsmanagement, Mediation oder Betriebswirtschaft ein. Die ganztägige Veranstaltung „Legal Tech, Digital Law und Künstliche Intelligenz im juristischen Bereich“ wird bayernweit zweimal im Jahr (ggf. mit Zusatzterminen wegen großer Nachfrage) online angeboten. Dabei sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer damit vertraut gemacht werden, was unter den Begriffen Legal Tech, Digital Law und Rechtsinformatik, auch in Abgrenzung zu e-Justice oder e-Government, zu verstehen ist, in welchen Kontexten die Begriffe gebraucht werden und wie vielfältig die Erscheinungsformen von Legal Tech sind.

Da sich kein einheitlicher Sprachgebrauch etabliert hat, sind derartige Grundlagen ein wichtiger Schritt, um die Diskussionen auf diesem Gebiet verstehen und nachvollziehen zu können. Auch die zugrundeliegenden Geschäftsmodelle, rechtliche Aspekte wie das Verhältnis zum Rechtsdienstleistungsgesetz oder zum Anwaltsrecht sowie die aktuelle Rechtsprechung und die rechtspolitische Dimension werden beleuchtet. Der Nachmittag widmet sich den verschiedenen technischen Ausprägungen der Künstlichen Intelligenz, wie den wissensbasierten Expertensystemen, dem maschinellen Lernen oder Deep Learning auf Grundlage neuronaler Netze. Daneben sind Big Data und Predictive Analytics ebenso Gegenstand der Ausführungen wie der für den juristischen Bereich aufgrund ihrer Textlastigkeit so wichtige Bereich des Natural Language Processing. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit diese Aspekte im Rechtswesen eine Rolle spielen bzw. zukünftig spielen werden. Auf nationale wie internationale Beispiele wird ebenso eingegangen wie auf aktuelle Entwicklungen, etwa ChatGPT, das zuletzt in aller Munde war. Auch die damit zusammenhängenden ethischen und regulatorischen Fragestellungen einschließlich der Konzepte der Datenethikkommission oder der geplanten KI-Verordnung der EU sind Teil der Veranstaltung.

Ein weiterer Workshop, der im gleichen Rhythmus angeboten wird, aber unabhängig von der genannten Veranstaltung besucht werden kann, widmet sich der Digitalisierung in der juristischen Arbeitspraxis. Hier sind die wichtigsten Themen die E-Akte, die „virtuelle Kanzlei“, die Funktionsweise von Datenbanken und Suchmaschinen (Information Retrieval) sowie die Zukunftsprojekte Online-Gerichtsverfahren und Elektronisches Basisdokument. Eine kurze Einführung in die Blockchain-Technologie und das Konzept der Smart Contracts sowie mögliche Anwendungsfelder im juristischen Kontext rundet das Angebot ab.

Ziel der Veranstaltungen ist es, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in diese Gebiete einzuführen und sie in die Lage zu versetzen, künftige Entwicklungen realistisch einzuschätzen und kritisch begleiten zu können. Die Referendarinnen und Referendare erhalten Teilnahmebescheinigungen.

Angebot eines neuen Berufsfelds Informationstechnologierecht und Legal Tech

Nach dem schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung kann in Bayern im Rahmen des Pflichtwahlpraktikums zwischen verschiedenen Berufsfeldern gewählt werden. Bislang konnten sich die Referendarinnen und Referendare zwischen sieben Berufsfeldern entscheiden: Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft, Wirtschaft, Arbeits- und Sozialrecht, Internationales Recht und Europarecht sowie Steuerrecht. Erstmals ab Juli 2023 wird nunmehr das neue Berufsfeld Informationstechnologierecht und Legal Tech angeboten, wobei 45 Unterrichtstunden auf das Informationstechnologierecht und 15 Unterrichtstunden auf das Recht der Legal Tech-Anwendungen entfallen. Beim Informationstechnologierecht geht es um Software- und IT-Vertragsrecht, Domainrecht, Immaterialgüterrecht und ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutz sowie die Regulierung digitaler Plattformen, beim Teilgebiet Legal Tech stehen neben den technischen Grundlagen das Rechtsdienstleistungsgesetz, das anwaltliche Berufs- und Vergütungsrecht mit Bezug zu Legal Tech-Anwendungen sowie haftungs- und wettbewerbsrechtliche Fragen im Vordergrund (der Stoffplan kann hier eingesehen werden).

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„Legal Tech in der Ausbildung“

Rechtliche Rahmenbedingungen

Obwohl die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung für das Rechtswesen auf der Hand liegt, findet sich im Deutschen Richtergesetz weder unter den Pflichtfächern noch unter den Schlüsselqualifikationen ein Hinweis darauf. Gemäß § 5a Abs. 2 Satz 3 DRiG gehören zu den Pflichtfächern die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Nach § 5a Abs. 3 Satz 1 DRiG berücksichtigen die Inhalte des Studiums die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis einschließlich der hierfür erforderlichen Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit. Zwar wurde zuletzt der seit 1. Januar 2022 gültige Zusatz, dass die Vermittlung der Pflichtfächer in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur erfolgt, in § 5a Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz DRiG aufgenommen – die Berücksichtigung der Bedeutung der Digitalisierung fehlt hingegen weiterhin.

Mittlerweile wurden in einigen Bundesländern, darunter Bayern, in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen entsprechende Regelungen geschaffen. So heißt es in Bayern seit 2021 in § 23 Abs.  2 Satz 2 JAPO und § 44 Abs. 1 Satz 2 JAPO, dass Studium und Ausbildung die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung berücksichtigen. Diese Formulierung findet sich seit 2019 auch in Baden-Württemberg in § 45 Abs. 1 Satz 3 JAPrO. In Nordrhein-Westfalen bestimmt § 7 Abs. 2 JAG seit 2022, dass im Studium die Schlüsselqualifikation digitale Kompetenz berücksichtigt werden müsse. Wenngleich die Aufnahme des Digitalisierungsthemas in die Ausbildungsordnung nicht Voraussetzung für die Schaffung entsprechender Veranstaltungen ist, zeigt die Entwicklung in Bayern oder Baden-Württemberg, dass solche Angebote im Nachgang bzw. im Zusammenhang mit der Aufnahme einer entsprechenden Regelung in die Prüfungs- und Ausbildungsordnungen geschaffen wurden.

Einführung E-Examen

Ab dem Examenstermin 2024/II kann voraussichtlich der schriftliche Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung bayernweit als E-Examen geschrieben werden, ein weiterer Baustein zur Digitalisierung des Referendariats (mehr zu den Details kann hier nachgelesen werden). Seit Januar 2022 gibt § 5d Abs. 6 Satz 2 DRiG den Ländern die Möglichkeit, zu bestimmen, dass in den staatlichen Prüfungen schriftliche Leistungen elektronisch erbracht werden dürfen. Dies bedeutet, dass keine Pflicht der Länder zur Einführung besteht und es sich jeweils um ein freiwilliges Angebot für die Examensteilnehmer handelt. In Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es das E-Examen bereits, in weiteren Ländern steht die Einführung konkret bevor, etwa in Nordrhein-Westfalen ab Januar 2024. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die ganz überwiegende Zahl der Absolventinnen und Absolventen von der Möglichkeit, das Examen elektronisch zu erbringen, Gebrauch macht.

Fazit

Bayern hat erkannt, dass Legal Tech und die Digitalisierung des Rechtswesens zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dementsprechend wurden verschiedene Lehrangebote und Veranstaltungen entwickelt, um Referendare und Referendarinnen in diesem Bereich zu schulen. Obwohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht vollständig an die wachsende Bedeutung der Digitalisierung angepasst sind, gibt es bereits Fortschritte, wie die Einführung des E-Examens in einigen Bundesländern zeigt. Insgesamt werden die im Beitrag geschilderten Entwicklungen dazu beitragen, dass zukünftige Juristen und Juristinnen besser auf die Digitalisierung im Berufsalltag vorbereitet sind und Legal Tech im Beruf erfolgreich einsetzen können.

Bild: Adobe Stock/©Knut
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Dr. jur. Bettina Mielke, M.A. ist Präsidentin des Landgerichts Ingolstadt und lehrt an der Universität Regensburg sowohl im Staatsexamensstudiengang als auch in den Studiengängen LL.M. Legal Tech und LL.B. Digital Law zu den Themen Digitalisierung und Recht, Logik sowie Legal Tech. Aufbauend auf ihrem Zweitstudium der Informationswissenschaft und Germanistik ist sie seit vielen Jahren im Bereich der Rechtsinformatik wissenschaftlich tätig. Sie war und ist zudem an Konzeption und Durchführung der Angebote zu Legal Tech / Digitalisierung und Recht im Referendariat in Bayern beteiligt.

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