Von Romy Graske
Wissen Sie, wo Sie mit Ihrer Kanzlei in zwei bis fünf Jahren sein wollen? Oder arbeiten Sie jeden Tag bis zum Anschlag, von Frist zu Frist? Sie lösen als Syndikus in Ihrer Rechtsabteilung jeden Tag Probleme, aber für die großen Projekte bleibt kaum Zeit? Besteht in Ihrem Team Unzufriedenheit hinsichtlich Arbeitsbelastung, Kommunikation oder der strategischen Ausrichtung der Kanzlei oder Rechtsabteilung? Kurzum: Es liegt das Gefühl in der Luft, es muss sich etwas ändern. Die Lösung könnte in der OKR-Methode liegen.
1. Die OKR Methode – ein Managementsystem aus der Softwarebranche
Die OKR-Methode (Objectives and Key Results) ist eine Managementtechnik, die ihre Ursprünge in der Softwarebranche hat. Sie wurde erstmals in den Anfängen bei Intel während der 1970er Jahre praktiziert. Google wendete diese Methode ab 1999 an – zum unternehmerischen Erfolg von Google muss an dieser Stelle wohl nichts gesagt werden. So ist nachvollziehbar, warum die Methode gerade bei heutigen Start-ups aus der Digitalbranche so beliebt sein dürfte. Doch hört und schaut man sich in der Juristenbranche um, scheint es eine noch eher unbekannte Methode zu sein – obwohl sie doch genauso für Rechtsanwaltskanzleien und Rechtsabteilungen anwendbar wäre. Was verbirgt sich also hinter dieser Methode und können wir Juristen und Juristinnen von der Softwarebranche etwas Wertvolles lernen?
2. Das Objective: Was ist das Ziel? Wo wollen Sie hin?
Jede OKR-Planung beginnt immer mit der Frage: Was ist das Ziel Ihrer Rechtanwaltskanzlei oder der Rechtsabteilung, die Sie leiten?
Objective = Was ist das Ziel des Unternehmens?
Dabei muss man zwischen der Rechtsabteilung innerhalb eines Unternehmens und der Rechtsanwaltskanzlei als Unternehmen unterscheiden.
Rechtsabteilungen sind im Wesentlichen Servicedienstleister für die anderen Abteilungen im Unternehmen. Die Kernaufgabe einer Rechtsabteilung besteht darin, auftretende Probleme möglichst pragmatisch zu lösen oder sogar theoretische Probleme zu lösen, bevor sie sich realisieren können. Sie entwickelt also kein eigenes Produkt, sondern unterstützt die anderen Abteilungen dabei, das Produkt des Unternehmens rechtskonform auf dem Markt zu verkaufen und möglichst wenig internen Verwaltungsaufwand zu verursachen. Dabei muss sich die Rechtsabteilung an den vom Management vorgegebenen Unternehmenszielen orientieren und daraus eigene Abteilungsziele entwickeln (z. B. effizientes Abarbeiten von Anfragen anderer Abteilungen).
Rechtsanwaltskanzleien hingehen sind „das Produkt“ selbst. Sie erbringen Rechtsberatungsdienstleistungen, zugeschnitten auf bestimmte Fallkonstellationen und Zielgruppen. Kernziele einer jeden Kanzlei werden also sein eine wirtschaftlich rentable Rechtsberatungsleistung anzubieten, bei maximal möglicher Qualität, was in der Regel anhand der abrechenbaren Stunden des einzelnen Anwalts oder der einzelnen Anwältin gemessen wird. Das Ziel einer Rechtsanwaltskanzlei könnte sein: in fünf Jahren die bedeutendste Kanzlei im XY-Recht in Deutschland zu sein.
Zwischen den möglichen Zielen besteht also schon einmal ein bedeutender Unterschied. Was das Ziel im Einzelnen sein soll, muss die Führungsebene im ersten Schritt für sich ermitteln und darüber absolute Klarheit gewinnen.
Wie die Rechtsabteilung und die Rechtsanwaltskanzlei dann zu ihrem jeweiligen Ziel gelangen und sich dabei gerade nicht im Alltagsstress verlieren, das beantworten die sog. Key Results.
3. Die Keyresults: Woran machen Sie fest, ob Sie das Ziel erreicht haben?
Wann genau das Ziel erreicht worden ist, darüber sollen in einem nächsten Schritt die sog. Key Results eine klare, unmissverständliche Aussage treffen. Sie geben eine Antwort auf das zuvor beispielhaft aufgestellte Objective: Wann sind wir die bedeutendste Kanzlei im XY-Recht und woran messen wir das? Key Result: Wenn wir im XY-Ranking des Jahres 2024 auf Platz 1 stehen.
Das Objective ist das Ziel. Die Key Results sind der messbare Weg zum Ziel.
Da das Key Result „nur“ beschreibt, was das messbare Zwischenergebnis ist, ist der Mitarbeiter frei darin zu entscheiden, wie er das Ergebnis herbeiführt. Aus dem Key Result müssen dann nämlich die Aufgaben abgeleitet werden. Gerade für Juristinnen und Juristen eine zunächst befremdliche Aussage: Es kommt nicht auf die Leistung, sondern das messbare Ergebnis (sog. Outcome) an. Sie schulden den Erfolg und nicht etwa die Leistung. Anders als im Werkvertragsrecht haften Sie aber nicht, wenn Sie den Erfolg nicht herbeigeführt haben. Denn die OKR-Methode bestraft nicht etwa Fehler oder nicht erreichte Ziele, sondern möchte aufdecken, wo Anpassungsbedarf besteht, um das Ziel schlussendlich zu erreichen. Zugleich gibt das den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sehr viel Autonomie in ihrer täglichen Arbeit.
Die Ausformulierung der Objectives, aber vor allem der Key Results, sind schwieriger als man zunächst annehmen würde. Mittlerweile gibt es über die Ausformulierung, Planung und Durchführung von OKRs zahlreiche Literatur, Internetbeiträge und Anbieter, auf die an dieser Stelle nicht verwiesen wird. Das Ziel dieses Beitrags ist es nämlich zunächst, Sie für diese Methode zu begeistern.
4. Das OKR-Set: Ziele nicht nur setzen, sondern auch umsetzen
„Nur wer weiß, wo er hinsegeln will, setzt die Segel richtig.” Jürg Meier
Nun ist das Konzept, sich Ziele zu setzen, diese aufzuschreiben, um irgendwann auch einmal irgendwo anzukommen, keine bahnbrechend neue Erkenntnis. Aber sind wir einmal ehrlich: Im Alltagsstress gehen unsere privaten wie beruflichen Ziele schnell doch wieder unter. Wer hat sich nicht zum Jahreswechsel schon einmal das Ziel gesetzt, im neuen Jahr mehr Sport zu treiben oder nicht mehr zu rauchen – und spätestens im Februar ist von diesem hehren Ziel nichts mehr übrig.
Die OKR-Methode versucht diese Hürde dadurch zu überwinden, dass alle drei Monate eine unternehmensweite Auswertung zwischen Unternehmensführung und allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erfolgt, die Aufschluss darüber gibt, inwieweit das OKR-Set für diesen Zeitraum in jeder Abteilung erreicht worden ist. Das erfolgt entweder durch einen eigens dafür verantwortlichen OKR-Master oder durch den Vorgesetzen der Abteilung. Die Besonderheit besteht darin, dass so laufend überprüft wird, ob die einzelnen Abteilungsziele noch mit dem Unternehmensziel im Einklang stehen (sog. Alignment).
Die OKR-Methode sollte dabei keinesfalls als Kontrollinstrument missverstanden oder gar missbraucht werden. Im Gegenteil: Nach meiner bisherigen Erfahrung ist es nicht nur ein Zielerfüllungs- und Zielmanagementsystem, sondern auch ein demokratisches Führungsinstrument innerhalb eines Unternehmens. Warum?
5. OKR-Methode als Ausdruck einer demokratischen Unternehmensführung
Sobald zwei Menschen miteinander arbeiten, gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Arbeiten wichtig und welche unnötig sind. In einem Unternehmen, in dem nun viele verschiedene Persönlichkeiten aufeinandertreffen, ist dies Gegenstand einer täglichen Diskussion im Arbeitsalltag.
Gerade für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind OKRs deshalb ein sehr wertvolles Instrument um zu verstehen, warum sie bestimmte Arbeiten machen (müssen). Die OKRs sind unternehmensintern immer öffentlich und somit für jeden einsehbar. Für jeden einzelnen Mitarbeiter ist also erkennbar, was das übergeordnete Unternehmensziel ist und wie er oder sie ganz konkret seinen Teil dazu beitragen kann. Die persönliche Arbeitsleistung kann also nicht mehr als sinnlos empfunden werden, sondern der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin sieht, wofür er oder sie das eigentlich macht. Die OKRs können gerade auch dann ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, wenn Mitarbeiter überwiegend im Homeoffice oder sogar dauerhaft im Ausland arbeiten.
Die OKRs geben dem Einzelnen also zum einen eine klare Zielvorgabe: Das ist das Ziel, da musst du hin (Objective)! Wie der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Ziel erreicht, ist eine autonome Entscheidung. Ob das Ziel erreicht wurde, wird anhand der Key Results gemessen. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass die Objectives und Key Results innerhalb der Abteilung von den einzelnen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für die kommenden drei Monate selbst ausgearbeitet, verhandelt und schließlich ausformuliert werden. Denn die fachlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden regelmäßig besser als das Management beurteilen können, wie die Key Results erreicht werden können. Dabei immer mit fokussiertem Blick, ob und wie diese Abteilungs-OKRs die Unternehmensziele verwirklichen. Hierdurch gestalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft die Aufgabensetzung, Aufgabenverteilung und auch die strategische Ausrichtung maßgeblich mit.
6. Der Fokus: Lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden
Die OKR-Methode kann Ihrer Kanzlei oder Rechtsabteilung also Struktur und Fokus geben, damit die unternehmerischen Ziele erreicht werden. Zugleich fördert sie die selbstbestimmte Arbeitsweise jedes einzelnen Mitarbeiters. Egal ob als Einzelkanzlei, KMU-Kanzlei, Leiter oder Mitarbeiterin einer Rechtsabteilung, die Methode kann die tägliche Flut an Aufgaben eindämmen. Sie können zu allem ein überzeugtes und beherztes Nein! sagen, das nicht zur Erreichung Ihres Ziels (Objective) und Zwischenziels (Key Result) geeignet ist. Nein zu Mandatsanfragen, nein zu Projektangeboten, nein zu Aufgaben, die nichts mit Ihrem Objective und Key Result zu tun haben.
Es ist ein äußerst spannender, aber auch langwieriger Prozess, denn mit jedem weiteren Zyklus, in dem Sie sich diese Fragen als Unternehmen oder nur als Privatperson stellen, finden Sie mehr und mehr heraus, was Sie wollen, was Sie nicht (mehr) wollen und wohin Sie gehen möchten. Probieren Sie es aus, es lohnt sich!
Bild: Adobe Stock/©Prasong
Romy Graske ist als Syndikusrechtsanwältin für ein Software-as-a-Service-Unternehmen tätig. Zudem berät sie als selbstständige Rechtsanwältin Expats, Freiberufler, Künstler aber auch Digitalunternehmen zum grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten. In ihren Blogs berichtet sie über aktuelle Themen u. a. zu Rechtsfragen beim grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten unter https://romygraske.de