Von Simon Reuvekamp
Texte zu automatisieren gehörte vom ersten Tag der EDV zur Grundidee. Diese Funktion gehört auch zur Kanzleisoftware dazu. Das wahre Potenzial wird jedoch in den seltensten Fällen vollständig ausgenutzt. Bevor Sie sich für den Kauf oder die Miete eines noch leistungsfähigeren, zusätzlichen Systems entscheiden: Was läge näher als zunächst diese versteckten (aber bereits bezahlten) Potenziale zu ermitteln und die Beschleunigung der Texterstellung und gleichzeitig den Workflow der Kanzlei positiv zu beeinflussen?
In dem folgenden Acht-Punkte-Plan zeige ich auf, wie Sie ohne zusätzliche Investitionen – wenn man von Zeit und Disziplin einmal absieht – dieses Ziel erreichen werden.
Schritt 1: Lernen Sie Ihre Werkzeuge kennen: Vorhandene Funktionen nutzen
Noch heute erinnere ich mich an die Tastenkombination mithilfe derer ich in meiner ersten professionell genutzten Textverarbeitung die Adressdaten aus der Datenbank in den Texteditor übernehmen konnte. In den modernen Systemen werden in den vorbereiteten Briefkopf nicht mehr nur die Adresse, sondern auch andere Informationen wie die Anrede, das Aktenzeichen, das Datum, Anwalts- und Sekretariatskürzel sowie Kontaktdaten in den vorbereiteten Briefkopf übertragen.
Alle mir bekannte Kanzleisoftware verfügt zusätzlich über Texthandbücher. Je nach Anbieter finden sich hier eine Vielzahl von hilfreichen und ad hoc nutzbaren Textvorlagen.
Aus diesen Textsammlungen ergeben sich zwei Herausforderungen:
- Um die Texte effektiv im täglichen Kanzleibetrieb nutzen zu können, müssen Sie die Texte und deren Inhalt erst einmal kennen.
- Die Texte müssen ggf. auf die Belange der Anwender oder die Kanzleivorgaben angepasst werden.
Je nach Umfang der Textsammlung verlangt es Disziplin und Zeit, sich alle diese Texte einmal anzusehen. Dennoch ist es unerlässlich, denn es ist sinnlos, Zeit in einen selbst programmierten Text zu stecken, wenn die Hersteller dies für Sie bereits übernommen haben. Wenn Sie aber erst bei Bedarf auf die Suche nach einer vorhandenen Textkonserve gehen, dann kann das wegen der Menge so lange dauern, dass Sie im Tagesgeschäft doch wieder zum Diktiergerät oder Tastatur greifen, weil das vermeintlich schneller geht.
Schritt 2: Passen Sie vorhandene Texte an Ihren Sprachgebrauch und Kanzleivorgaben an
Sie werden auf dem zuvor beschriebenen Weg sehr schnell erkennen, dass die vom Hersteller gelieferten Texte nicht immer Ihrem Anspruch entsprechen. Wortwahl und Formatierung sind so gewählt, dass sie bundesweit nutzbar sind.
Gehen Sie in das Programm, in dem die Textbausteine verwaltet und geändert werden können. Rufen Sie die zuvor identifizierte Textkonserve auf und ändern Sie die Formatierung und die Wortwahl auf Ihre Bedürfnisse.
Die Hersteller bieten entsprechende Dienstleistungen an, die Ihnen zeitaufwendiges „Trial and Error“. ersparen und so Ihre Motivation hochhalten. Aus eigener Praxis kann ich versichern, dass es ein gutes Gefühl ist, einen Text auf diese Weise zu individualisieren und in die Benutzung zu bringen.
Kommunizieren Sie das Ergebnis
Ihre Arbeit lohnt sich nur dann, wenn Ihre Texte genutzt werden. Informieren Sie daher unbedingt die Organisation über die „neuen“ Kreationen. Pflegen Sie eine Übersicht der bereits angepassten Texte. Wenn möglich markieren oder sortieren Sie die Texte im Programm so, dass Sie aus dem Meer der unangepassten Fremdtexte herausstechen. So ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass dieser Text für eine einfache und schnelle Nutzung zur Verfügung steht und den Kanzleianforderungen genügt.
Schritt 3: Ergänzung durch externe Funktionen und Textbausteine
Auf Ihrem Weg werden Sie früher oder später mit dem eigenen oder fremden Wunsch konfrontiert, optionale Textbausteine in die vorhandene oder angepasste Konserve einzubauen.
Die meisten Anwender und Kanzleiprogramme nutzen Microsoft Word. Word verfügt über Funktionen, die eine Automation von Texten ermöglicht. Diese Funktionen können Sie daher in Verbindung mit Ihrer Kanzleisoftware nutzen. Exemplarisch möchte ich zwei Funktionen kurz beleuchten:
- Schnellbausteine
- Textmarken
Schnellbausteine sind Textfragmente, die über die Taste F3 an jeder Stelle in einem Dokument eingesetzt werden können. Neue Textbausteine können ebenso einfach mit ALT F3 hinzugefügt werden.
Textmarken sind mit individuellem Textinhalt verknüpfte Platzhalter und können beliebig oft in einem Text benutzt werden. So ersparen Sie es sich, im finalen Text nach gleichen Formulierungen zu suchen, um diese zu ersetzen.
Schritt 4: Ergänzung durch Diktat und Spracherkennung
Der Verwendung von Textbausteinen sind Grenzen auferlegt. Es ist sinnlos, für jeden denkbaren Fall eine Konserve zu bauen. Der notwendige Vorrat wäre umfangreich und dadurch nicht zu pflegen, denn auch Textkonserven unterliegen einer gewissen Haltbarkeit. Hier ist Ihre Individualität gefragt. Diese können Sie durch manuelle Texteingabe erreichen. Diktat oder Spracherkennung wären ebenso geeignet. Setzen Sie hierzu einfach an den Stellen, die von der Automation ausgenommen sind, entsprechende Hinweise: Platzhalter, die Ihnen die Auffindung erleichtern und verhindern, dass eine wichtige Zutat in Ihrem Produkt fehlt.
Schritt 5: Einbau neuer Abfragen und Textbausteine in vorhandene Automationen
Externe Texbausteine können in die vorhandenen Texte der Kanzleisoftware in Verbindung mit neuen Abfragen eingebaut werden.
Wenn das von Ihnen genutzte System eine solche Funktion anbietet, nutzen Sie sie. Ich kenne beispielsweise Fragefunktionen, die je nach Antwort unterschiedliche Formulierungen im Endprodukt liefern. Diese Erweiterungen sind nicht so umfangreich wie in den Spezialanwendungen. Dennoch können hiermit erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Daher empfiehlt sich in diesem Stadium ein näherer Blick auf die vorhandenen Funktionen der Kanzleisoftware.
Schritt 6: Einbau von Datenfeldern
Kanzleisoftwares können durch die Daten aus der Akte automatisch erkennen und umsetzen, ob es sich um „den Mandanten“ oder „die Mandantin“ handelt. Dies geschieht durch die bereits in Schritt 2 kennengelernten Platzhalter, die die Softwarehersteller zum Beispiel für das Einbinden von Adressen oder anderen Informationen in ihren Texten nutzen.
Wenn im Handbuch oder in der Bausteinverwaltung kein Verzeichnis dieser Platzhalter zu finden ist, dann lassen Sie sich vom Hersteller eine entsprechende Aufstellung geben. Sie werden überrascht sein, was damit alles aus der Akte in Ihre Texte übernommen werden kann.
Es ist wichtig, bei der Verwendung von Platzhaltern darauf zu achten, dass die entsprechenden Datenfelder in der Akte gepflegt sind. Ein leeres Feld in der Akte ist gleichbedeutend mit einer fehlenden Information im automatisch erstellten Text. Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle das markige, aber umso einprägsamere Zitat: „Shit in – shit out“.
Die beste Automation ist nichts wert, wenn die Daten unzureichend gepflegt sind.
Schritt 7: Einbau von Berechnungen in vorhandene Automationen
Von der einfachen Addition einer Zahlenkolonne bis zur komplexen RVG-Tabelle für die Gebührenberechnung sind viele Anwendungen denkbar. Stellen Sie sich einfach vor, sie bekommen über einen Platzhalter den Streitwert in das Dokument und berechnen daraus automatisch die Gebühr für Ihr individuelles Aufforderungsschreiben (außerhalb eines speziellen Mahnprogramms), dann sparen Sie Ihrer Kanzlei viel Zeit für die manuelle Erstellung der Gebührenrechnung und das Einkopieren der Berechnung.
Nicht jede Kanzleisoftware beherrscht Rechenoperationen, aber Word kann das. Zwar setzt es etwas mehr „Programmierung“ voraus, aber ein Zusammenspiel einer Textmarke (s. o.) für den Streitwert und einer Word-Tabelle, kann das gewünschte Ergebnis mit den Bordmitteln von Microsoft Word liefern.
Schritt 8: Entwicklung komplett neuer Textautomationen in Ihrer Kanzleisoftware
Lassen Sie sich von Ihrem Hersteller zeigen, wie Sie neue Dokumente so erstellen, dass diese in der normalen Menü-Struktur der Kanzleisoftware auftauchen und welche Voraussetzungen es hierfür braucht. Dann starten Sie mit Ihrem ersten eigenen Text. Learning-by-doing ist hier der Weg.
Ja, solche Texte können schnell sehr umfangreich und in der Logik anspruchsvoll werden. Überlegen Sie dabei genau, wie viele Abfragen Sie sich, Ihrem Produkt und den jeweiligen Anwendern zumuten wollen und können. Dazu gehört die kritische Frage, ob es immer unerlässlich ist, die grammatikalischen Tücken unserer Sprache in eine Logik zu packen. Muss es beispielsweise IMMER unbedingt „der Mandant“ oder „die Mandantin“ in allen deklinierten und konjugierten Varianten sein oder gibt es Texte, in denen die Formulierung „meine Mandantschaft“ dem Anspruch des Textes genügt?
Nutzen Sie die Potenziale Ihrer bereits erworbenen Software – und wenn Sie zum Ergebnis kommen, dass eine Spezialanwendung für die Textautomation vor Schritt 9 erforderlich ist, dann haben Sie zumindest die Grundbegriffe der Textautomation kennengelernt.
Ich bin davon überzeugt, dass es in jeder Kanzlei Anwendungsbeispiele gibt, die für eine Textautomation geeignet und mit relativ wenig Aufwand umgesetzt werden können. Welche Ideen haben Sie?
Mehr zum Thema Legal Tech im Legal Tech-Magazin Spezial
"Automatisierte Dokumentenerstellung erfolgreich nutzen“
Bild: Adobe Stock/©TarikVision
Simon Reuvekamp ist CTO bei Meyer-Köring mit Sitz in Bonn und Berlin. Seit 1990 berät er als Spezialist für Kanzleisoftware und Diktiersysteme Rechtsanwaltskanzleien. Seit 2019 leitet er die IT-Abteilung der Kanzlei mit 90 Mitarbeiter:innen. Die Kanzlei setzt einen eindeutigen Fokus auf den Einsatz von IT. Hierzu zählen diverse Produkte von der klassischen Kanzleisoftware bis hin zu RPA-Anwendungen zur Prozessautomatisierung.