„Wir sind überzeugt, dass deutsche und europäische Start-ups auch im Rechtsbereich ganz vorne mitspielen können“

Dr. Stefan Blenk im Interview über Ziel und Aufgaben des Legal Tech Colabs

Von Dr. Stefan Blenk

Die Legal Tech-Landschaft in Deutschland verändert sich – auch durch die neuen Möglichkeiten, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bietet. Es braucht Lösungen und vor allem Teilnehmer am Markt, die die Entwicklung neuer Ideen und Lösungen vorantreiben. Hier setzt das Legal Tech Colab an, das von UnternehmerTUM und dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz initiiert wurde, um innovative Legal Tech-Startups in Deutschland zu fördern.

Wir sprachen mit Managing Director Dr. Stefan Blenk darüber, welche Unterstützung das Legal Tech Colab Start-ups aus dem Legal Tech-Bereich bietet und wie das Netzwerk Start-ups bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen, die auf Künstlicher Intelligenz aufbauen, unterstützt. Dr. Stefan Blenk verrät außerdem, wie er die deutsche Legal Tech-Start-up Szene einschätzt und aufgrund welcher Stärke Deutschland seiner Meinung nach das Potenzial hat, ganz vorne mitzuspielen.  

Herr Dr. Blenk, wie kam es zur Gründung des Legal Tech Colabs und welche Lücke wollten Sie am Markt schließen?

Erfolgreiche Start-ups brauchen neben einem herausragenden Team und einer sehr guten Idee im Wesentlichen drei externe Ressourcen, um zu gedeihen: ein gutes Ökosystem, unternehmerisches Know-how und Venture Capital. Und diese Ressourcen waren in Deutschland im Rechtsbereich bisher nicht oder nur sehr rudimentär vorhanden. Deshalb wurde das Legal Tech Colab letztes Jahr von UnternehmerTUM, Europas größtem Zentrum für Innovation und Gründung, und dem Bayerischen Staatsministerium für Justiz initiiert. Das Legal Tech Colab ist Teil der TUM Venture Labs. Die Initiative der Technischen Universität München und UnternehmerTUM ist auf zwölf bedeutende Technologiefelder wie etwa Künstliche Intelligenz, Robotik und Quantentechnologie ausgerichtet und treibt die Umsetzung von Spitzenforschung in marktfähige Anwendungen mit einem weltweit wettbewerbsfähigen Förderprogramm voran.

Die Kombination aus vielen und komplexen Texten (Verträge, Schriftsätze, Reports, Urteile), häufig wiederkehrenden Aufgabenstellungen und dem Bedarf an präziser, personalisierter Beratung macht den Rechtsbereich weiterhin zu einem idealen Anwendungsgebiet für generative Künstliche Intelligenz (KI). Laut einer Studie von Goldman Sachs vom März dieses Jahres verfügt die Rechtsbranche über das zweithöchste Automationspotential. Es dürfte klar sein, dass mit den neuerlichen Technologiesprüngen im Bereich generativer KI die Chancen für innovative, skalierbare und technologiebasierte Start-ups in der juristischen Domäne drastisch gestiegen sind und weiter steigen werden.

Was ist das Ziel des Legal Tech Colabs?

Wir wollen das technologische Potenzial auch für die Disruption der Rechtsbranche in Deutschland fruchtbar machen. Dafür bedarf es eines Ökosystems, in dem sich Legal Tech-Start-ups entfalten können. In diesem Ökosystem müssen einerseits die High Potentials aus den drei Domänen Informatik, Jura und Management zusammengebracht werden. Andererseits brauchen wir die Nähe zur Spitzenforschung, die Bereitschaft von führenden Kanzleien und Rechtsabteilungen von Konzernen, ihre Herausforderungen im Alltag mit Start-ups zu teilen und gemeinsame Projekte umzusetzen. Schließlich benötigen die Teams auch Wagniskapitalgeber, welche die notwendige Finanzierung für die Produkte bereitzustellen. Mit diesen Maßnahmen wollen wir Europa auf der Landkarte der Legal Tech-Start-ups auf Augenhöhe mit den USA hieven.

Wer kann sich bei Ihnen bewerben und welche Voraussetzungen müssen Interessierte mitbringen?

Bewerben können sich Start-ups in der Frühphase und Gründungsinteressierte, die ein innovatives und international skalierbares Produkt basierend auf Hochtechnologien wie KI oder Blockchain entwickeln (möchten). So streng wir bei diesen Aufnahmekriterien sind, so weit sehen wir dagegen den Begriff Legal Tech: Für uns ist es entscheidend, dass das jeweilige Geschäftsmodell im Kern eine enge Beziehung zum Recht hat. Hierunter fallen aber jenseits des Labels Legal Tech viele weitere Kategorien: RegTech, Tax Tech und auch weite Teile von InsurTech und FinTech.

An die Zusammensetzung des Teams haben wir keine spezifischen Anforderungen.

Erfahrungsgemäß sind aber Teams besonders erfolgreich, in denen neben „klassischen” Juristinnen und Juristen mit ausreichender Berufserfahrung auch „Techies“, also Informatikerinnen und Informatiker, als Gründungsteam zusammenkommen.

Unbedingt mitbringen sollten die Gründungsmitglieder fachliche Exzellenz, Leidenschaft für die Gründung und ein unternehmerisches Mindset.

Welche Unterstützung erhalten Gründerinnen und Gründer, die sich erfolgreich bei Ihnen bewerben?

In unserem strukturierten Programm unterstützen wir Gründerinnen und Gründer von der absoluten Frühphase ihres Unternehmens auf dem Weg zur Marktreife sowie bei der ersten Finanzierung. Dabei ist das Legal Tech Colab eine gemeinnützige Initiative und unser Angebot ist für die Teams vollständig kostenfrei. Zu Beginn können wir beispielsweise dabei helfen, geeignete Mitgründerinnen und -gründer zu finden und erste Softwarelösungen zu entwickeln. Kern unseres Programms ist die Betreuung durch unsere Mentorinnen und Mentoren, die Möglichkeit des Zugangs auf unser Netzwerk zu Wagniskapitalgebern sowie die Vermittlung des notwendigen unternehmerischen Know-how von UnternehmerTUM. Die Gründungsmitglieder profitieren von dem Netzwerk und Know-how aus 20 Jahren Entrepreneurship- und Tech-Förderung von UnternehmerTUM. In allen Phasen stehen den Teams auch Stipendien und Arbeitsplätze zur Verfügung.

Welche Unterstützung erhalten die Gründer und Gründerinnen im Bereich Künstliche Intelligenz?

Ein besonderer Schwerpunkt unseres Angebots liegt auf KI: Start-ups, die ihr Geschäftsmodell auf modernen Sprachmodellen aufbauen wollen, benötigen große Mengen qualitativ hochwertiger Daten. Im juristischen Kontext sind Gerichtsurteile die wichtigste Datenquelle, doch der Zugang zu Gerichtsurteilen ist in Deutschland bislang nur eingeschränkt möglich. Der Bayerische Staatsminister für Justiz, Georg Eisenreich, setzt sich mit uns dafür ein, die Anzahl der veröffentlichten Urteile signifikant zu erhöhen. Dies würde auch den Start-ups zugutekommen, etwa beim Training eigener Sprachmodelle. Zudem arbeiten wir gemeinsam mit unserem Partner Aleph Alpha an einem eigenen Sprachmodell. Das Sprachmodell soll anhand juristischen Dokumenten aus dem deutschen und englischen Rechtsraum und an zehn gängigen juristischen Anwendungsfällen trainiert werden. Zukünftig sollen Start-ups das Modell als Basis für ihre Geschäftsmodelle nutzen können.

Wie schätzen Sie die deutsche Legal Tech-Start-up Szene ein?

Deutschland und Europa brauchen eigene Legal Tech-Start-ups, die auf Augenhöhe mit denen aus den USA, Kanada und Großbritannien in der Champions League spielen. Wie so häufig gehen die USA auch im Rechtsbereich voran: Diesen Sommer etwa wurde das Legal Tech-Start-up Casetext für 650 Millionen US-Dollar vom Medienkonzern Thomson Reuters gekauft. Und das in der Branche viel diskutierte Start-up Harvey hat bisher 15.000 interessierte Kanzleien auf der Warteliste – obwohl es erst 2021 gegründet wurde.

In Deutschland sehen wir sehr viele Gründerteams und Gründungsinteressierte mit unglaublich hohem Potenzial. Allerdings versuchen die Teams häufig ihre Geschäftsmodelle auf Low-Tech aufzubauen, was leider zu eingeschränktem Nutzen und niedriger internationaler Skalierbarkeit führt.

Wir sind aber überzeugt, dass deutsche und europäische Start-ups auch im Rechtsbereich ganz vorne mitspielen können.

Denn: Deutschlands und Europas Stärke liegt unter anderem darin, Technologien in Produkte weiterzuentwickeln, die dann auch im Unternehmenskontext eingesetzt werden können.

Diesen Monat feiert das Legal Tech Colab sein einjähriges Bestehen. Was waren Ihre persönlichen Highlights aus dem ersten Jahr?

Am meisten beeindruckt mich die unglaublich positive Resonanz. Wir treffen auf sehr offene Ohren und Begeisterung: Seit unserem Start im Sommer 2022 wurden von über 70 Interessentinnen und Interessenten bereits zehn Start-ups in unser Programm aufgenommen. Drei dieser Teams erhielten eine Seed-Finanzierung in siebenstelliger Höhe. Mehrere der Teams haben den häufig schwierigen Punkt der Skalierung auf Unternehmenskundenseite erfolgreich überschritten. Und das Interesse am Legal Tech Colab reißt nicht ab. Unser Ökosystem wächst, vor allem durch führende Kanzleien, Rechtsabteilungen von DAX-Konzernen und VCs. Zusammen mit unseren Teams blicken wir in eine aufregende Zukunft.

Herr Dr. Blenk, vielen Dank für das Interview.

Bild: Adobe Stock/©Nuthawat
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Dr. Stefan Blenk ist Managing Director des Legal Tech Colab, Rechtsanwalt und gründete vor seinem Wechsel zum Legal Tech Colab ein eigenes Start-up im Bereich der automatisierten Rechtsprechungsprognose. Zuvor war er viele Jahre, zuletzt als Principal Associate, bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer tätig. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit im Bereich Gesellschaftsrecht/M&A hat er dort die zentrale Case Management Plattform für alle deutschen VW-Dieselverfahren kreiert und geleitet und war im Rahmen des Freshfields Lab für die Kooperation mit Start-ups verantwortlich.

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