Digitale Fallbearbeitung

Digitale Fallbearbeitung: Auf vorhandenes Wissen zurückgreifen und Überblick behalten

Von Uwe Horwath

Erfolgreich digitalisieren bedeutet, unerschrocken vorangehen und nach und nach die Probleme lösen, denen man begegnet. Das ist immer noch besser als dauerhaft in der Konzeptionsphase stecken zu bleiben. Der Gesetzgeber hat sich das offensichtlich auch gedacht, als er für den elektronischen Rechtsverkehr die Nutzungspflicht einführte. Jetzt geht es darum, die Probleme anzugehen. Viele sind darauf zurückzuführen, dass die juristische Wissensarbeit in Gerichten und Kanzleien noch nicht digitalisiert ist. Dafür gibt es Lösungen.

ERV: Auf dem Weg zur digitalen Justiz

Wer nach Problemen im Umfeld des elektronischen Rechtsverkehrs sucht, wird schnell fündig:

  • Schriftsätze, die per beA an das LG Darmstadt, Außenstelle Offenbach, eingereicht werden, werden in Darmstadt ausgedruckt und dann per Sammelpost nach Offenbach gebracht. Die Bearbeitung kann sich dadurch um bis zu einer Woche verzögern.
  • Das LG Stuttgart teilt Verfahrensbeteiligten mit, dass es nur über zwei Drucker für beA-Eingänge verfüge und es daher bis zu einer Woche dauere, beA-Eingänge auszudrucken und an den zuständigen Richter weiterzuleiten.
  • Das KG Berlin richtet in seinem Beschluss vom 23.06.2020 – 5 W 1031/20 deutliche Worte an die Verwaltung des LG Berlin und fordert sie auf, „ordnungsgemäße Papierakten zu produzieren\". Solange elektronisch eingereichte Schriftsätze und Anlagen, die möglicherweise Farbbestandteile enthalten, in schwarz-weiß ausgedruckt werden, behält sich der Senat vor, die Akten des LG Berlin von vornherein abzulehnen.

ERV: Auf dem Weg zur digitalen Anwaltschaft

Ilona Cosack liefert in ihrem Leitfaden „Digitalisierung erfolgreich umsetzen\" spannende Einblicke zur Digitalisierung der Anwaltschaft. Unter der Überschrift „Best Practice - So kann Digitalisierung funktionieren“ lässt sie Anwältinnen und Anwälte zu Wort kommen, die nach eigener Auskunft die Transformation zur digitalen Kanzlei bereits vollzogen haben.

Selbst in den Kanzleien, die bei der Digitalisierung voranschreiten, zeichnet sich ab:

  • Die Mehrzahl der von Frau Cosack interviewten Kolleginnen und Kollegen führen parallel zur eAkte Papierakten oder arbeiten zumindest teilweise mit Papier.
  • In Beratungssachen fällt das digitale Arbeiten leichter als im forensischen Bereich.
  • Je umfangreicher Dokumente oder Verfahren sind, desto mehr wird auf die Papierakte zurückgegriffen.

Das deckt sich mit den Erfahrungen vieler Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Die digitale Akte ist implementiert und jedes Dokument, das die Kanzlei erreicht, wird digital gespeichert. Dennoch werden Akten meist hybrid geführt. Sobald der Fall eine gewisse Komplexität erreicht, wird mit der Papierakte gearbeitet. In Kanzleien, in denen die Papierakte vollständig abgeschafft wurde, hält das papierbasierte Arbeiten durch die Hintertür wieder Einzug: Wenn Informationen besonders gründlich aufbereitet werden müssen, werden alle Dokumente, die zur Bearbeitung benötigt werden, ausgedruckt und mit Textmarkern und Randnotizen bearbeitet.

Digitale Akte: Probleme analysieren und nach Lösungen suchen

Viele der Probleme, denen Kanzleien und Gerichte aktuell begegnen, haben einen gemeinsamen Ursprung: Die Kommunikation ist digitalisiert, nicht aber die Aktenarbeit.

Das liegt daran, dass herkömmliche elektronische Akten dem Juristen etwas erschweren, was für die juristische Arbeit elementar ist: Die globale Sicht auf die Akteninhalte. Um sich einen Überblick zu verschaffen, untersucht der Jurist Akteninhalte nach deren Relevanz und stellt Sachzusammenhänge zwischen Informationen her, die sich auf unzählige Dokumente verteilen. In der Papierakte springt er unmerklich zwischen einer Vielzahl von Dokumenten hin und her und behilft sich mit Textmarkern und Post-its, um aus ungeordneten Inhalten über Dokumentengrenzen hinweg strukturierte Informationen zu entwickeln. Eine Rechtsprüfung kann schließlich nur auf Grundlage geordneter Informationen erfolgen. Die dokumentenbasierte Informationsverwaltung in elektronischen Akten wird dabei zum Hindernis.

Strukturierungstool: Der nächste logische Schritt …

Die herkömmliche elektronische Akte strukturiert Dokumente und nicht Informationen. Sie eignet sich deswegen meiner Meinung nach nicht zur Bearbeitung komplexer Rechtsfälle.

Eine globale Sicht auf seine Akteninhalte hat, wer ein Strukturierungstool nutzt. Mit einem Strukturierungstool können Markierungen und Anmerkungen aus den einzelnen Aktendokumenten über Dokumentengrenzen hinweg miteinander verknüpft werden. Die so entstandenen Strukturen stellen dar, wie Informationen in der elektronischen Akte miteinander in Verbindung stehen. Sie gewähren den Überblick, den der Jurist bzw. die Juristin zur juristischen Analyse der Akten benötigt. Der Übergang zur digitalen juristischen Fallarbeit gelingt, wenn die elektronische Akte um ein Strukturierungstool ergänzt wird.

… und die Grundlage für ein hochfunktionales Wissensmanagement.

Wer mit einem Strukturierungstool arbeitet, dokumentiert Informationsverbindungen, die für  ein hochfunktionales Wissensmanagement genutzt werden können. Der Anwender erkennt bei der Arbeit mit Mustertexten, wie Muster bereits in anderen Fällen verwendet wurden. Ebenso kann er auf alternative Formulierungen von Klauseln und Textbausteinen aus anderen Akten zurückgreifen. Er findet sofort Recherchen zu den relevanten Fragestellungen aus ähnlich gelagerten Fällen und kann unmittelbar nachvollziehen, ob Arbeitsergebnisse aus zurückliegenden Fällen auf einen neuen Fall übertragbar sind.

Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess und eine Momentaufnahme offenbart noch viele Defizite. Belohnt wird aber, wer voranschreitet und ein Problem nach dem nächsten löst.

Tools zur Aktenverwaltung und -bearbeitung finden Sie hier.

Foto: Adobe Stock/ © theevening
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Uwe Horwath ist Gründer und Geschäfts-
führer der METHODIGY GmbH. Vor seiner Tätigkeit für Methodigy arbeitete er in einer mittelständischen Wirtschaftskanzlei als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Aus seiner Anwaltspraxis heraus entwickelte er das Fachkonzept für METHODIGY und begleitete die technische Entwicklung der Software. Aktuell ist er verantwortlich für die Positionierung der Software im juristischen Markt und die strategische Fortentwicklung des Unternehmens.

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