Die Legal ®Evolution – Ein Kongress überraschender Vergleiche

Von Bettina Taylor

Wie beim Online-Dating möchte man bei wichtigen Rechtsfragen lieber den Menschen statt die Maschine entscheiden lassen. Mit ausgefallenen Vergleichen wie diesen zeigten die Redner auf der Legal ®Evolution in Frankfurt am Main vom 23. bis zum 24. Oktober, wie abstrakt Legal Tech für die Mehrheit der Rechtsbranche noch zu sein scheint. Wer jedoch genau hinhörte, lernte richtungsweisende Technologien und interessante Prognosen kennen.

Legal Tech regt Visionen an

Mit den Eröffnungsvorträgen deckten die Veranstalter des zweitägigen, fast durchgehend englischsprachigen Kongresses eine Bandbreite juristischer Felder ab. Zu den 50 Rednern aus Europa und den USA gehörten Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Bildung – darunter Prof. Dr. jur. R. Alexander Lorz als Kultusminister von Hessen, Dr. Thomas Remmers, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer oder Dr. Martin Fries, Privatdozent der Universität München. Vor allem Kalle Palling, Vorsitzender des European Union Affairs Committee des Parlaments von Estland, zeigte mit den eGovernment-Konzepten seiner Heimat, dass der Ansatz des Kongresses durchaus als visionär bezeichnet werden kann: Dank Online-Wahlen geben Bürger auch bei schlechtem Wetter ihre Stimme ab und Kabinettssitzungen werden papierlos gehalten. Könnte eGovernment Antworten auf gesellschaftliche Probleme wie Steuerflucht und steigende Kosten des Sozialsystems geben? Mit diesen Ideen entließen die Eröffnungsredner ihr Publikum in die Fachvorträge.

Smart Contracts als neues Beratungsfeld für Anwälte?

Prof. Herbert Anzinger ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Ulm. Sein Vortrag über „Intelligente Verträge und Blockchains“ zeigte, dass Smart Contracts einen ganz anderen Denkansatz erfordern als konventionelle Verträge. Zum allgemeinen Verständnis verglich er Smart Contracts mit Kaugummiautomaten: Die Verträge führen sich selbst aus. Zudem verschiebt sich die Vertrauensgrundlage von den Vertragsparteien zur ausführenden Technik. Diese wird durch Blockchain-Technologie gewährleistet. Sie ermöglicht, dass Daten über verteilte Systeme dezentral gesteuert werden und  Manipulationsversuche umso leichter zurückzuverfolgen sind. Bisher wurden Smart Contracts größtenteils im Finanzsektor angewendet. Anzinger sieht jedoch Potentiale in Wirtschaftszweigen wie Energie und Mobilität (Car-Sharing).  Wo kommen jedoch kleine bis mittelgroße Kanzleien beim Thema Smart Contracts ins Spiel? Ihre Expertise könnte in der Beratung liegen: Wie gehe ich vor, wenn ich einen Smart Contract aufsetzen möchte? Was sind meine Rechte, wenn etwas schief läuft? Mit solchen Fragen könnten Mandanten in Zukunft zu den Rechtsanwälten kommen. Unternehmen wie die JURIBO Anwaltskanzlei oder COT Legal machen es vor. Beratung im Bereich Smart Contracts könnte ein vielversprechender Wirtschaftszweig für Anwälte, die sich nicht vor Technik scheuen, werden, so Anzinger.

Hinweis In Kürze Lesen Sie auf legal-tech.de ein Interview zum Thema Smart Contracts mit Florian Glatz, Präsident des Blockchain Bundesverband

Intelligente Dokumentenanalyse: Mehr Zeit für wesentliche Rechtsfragen

Um künstliche Intelligenz und dessen Nutzen für den Rechtsmarkt ging es im Vortrag von Greg Tatham. Der technische Leiter der Wolters Kluwer Global Platform Organization in New York City machte klar, wie intelligente Programme zur Datenanalyse dem Rechtsanwalt aufwändige „Drecksarbeit“ abnehmen können. Wird das Programm mit Daten „gefüttert“, lernt es aus diesen und passt seine Analyse an. Der LegalVIEW BillAnalyzer von Wolters Kluwer verspricht dabei Kosteneinsparungen von 7-15 Prozent. Vergleichbare Produkte sind legal-tech.de-Partner LeReTo.

Chatbots helfen bei der Erstberatung

Inspiration für eigene Denkanstöße gab die moderierte Diskussion unter dem Titel „Erfolgreich gegen den verlustbringenden Margenwettbewerb bestehen – Automatisierung als ausschlaggebender Faktor für eine nachhaltige Geschäftsstrategie“. Zu den Diskussionsteilnehmern zählten vier Experten, die ihre Geschäftsstrategie bereits mit Legal Tech ausgebaut haben: Mark Simpson (Senior Director der EPIQ Systems Inc.), Patrick Prior (Gründer von Advotisement Legal Tech und FAQ-Recht), Anton Vashkevich (Managing Partner und Mitbegründer von Simplawyer und Jason Thompson, e-Discovery und Wissensmanagement-Spezialist bei eDCaseMan). Patrick Prior erklärte, wie er in seinem Unternehmen mit Chatbots in der Erstberatung experimentiert. Ein Vorteil: Grundlegende Rechtsfragen werden schnell geklärt, sodass der Anwalt schon vorab sagen kann, ob eine Bearbeitung des Falls lohnenswert ist. Gleichzeitig erhält der Mandant einen zusätzlichen 24-Stunden-Service. In der Diskussion stellte Mark Simpson außerdem klar, dass Kanzleien in Zukunft mehr auf Outsourcing setzen müssten, um die technischen Anforderungen ihrer Kunden zu erfüllen. Eine Kanzlei, die zum Beispiel einen Online-Kalender zur Vereinbarung von Beratungsterminen einführt, wird einen Anbieter brauchen, der sich mit den technischen Details eines solchen Tools auskennt. Allgemein gehe die Entwicklung ohnehin zu produktbasierten Rechtsdienstleistungen. Am Ende des Gesprächs wurden außerdem noch handfeste Empfehlungen für Anwälte gegeben: Wer eine erfolgreiche Geschäftsstrategie entwickeln will, sollte den heutigen Legal Tech-Markt genau beobachten und sich die Tools und Modelle heraussuchen, die für die eignen Zwecke am geeignetsten sind.

Praxistipps und Prognosen von der Legal (R)Evolution

Der hier beschriebene Ausschnitt der vielen Themen, die auf der Legal ®Evolution angesprochen wurden, veranschaulicht die schiere Tragweite des Themas für die Rechtsbranche und alle, die eine Rolle in ihr spielen. Dennoch, so betonten die Redner, sollte man wichtige Rechtsfragen niemals ausschließlich in die Hand der Technik geben – wie beim Online-Dating.

Um Ihnen zu helfen, konkrete Veränderungen im Kanzleialltag herbei zu führen, haben wir folgende Praxistipps und Prognosen von der Legal ®Evolution mitgenommen:

  • Die Grundlage von Legal Tech ist Dokumentenmanagement: Investieren Sie in eine Kanzleisoftware, die Ihre Bedürfnisse erfüllt.
  • Verfolgen Sie einen dienstleistungsorientierten Ansatz: Was wollen Ihre Mandanten? Was brauchen sie und was können Sie ihnen geben?
  • Für Mandanten werden Online-Dienstleistungen immer selbstverständlicher. Schließlich lässt sich heutzutage so gut wie alles online erledigen.
  • Die Anzahl der Quereinsteiger im Rechtsbereich wird wachsen. Zumindest wird die Rechtsbranche in Zukunft interdisziplinärer: Experten aus IT oder Projektmanagement spielen zunehmend eine größere Rolle.
  • Die Ausbildung von Juristen befindet sich im Wandel. So haben die Universitäten Hamburg (Cyber Law Clinic) und die Europa Universität Viadrina Frankfurt an der Oder (Legal Tech Center) eigene Einrichtungen gegründet, um ihre Studenten an Legal Tech heranzuführen.

Auf der Legal Evolution präsentierten außerdem 50 Anbieter Lösungen, die den Kanzleialltag erleichtern sollten; darunter Produkte wie Kanzleisoftware, Programme zur Dokumentenanalyse bis hin zu intelligenten Datenbanken. Eine Übersicht finden Sie hier.

Zur Legal ®Evolution: Laut Veranstalter war die Legal ®Evolution, die vom 23. bis zum 24. Oktober in Frankfurt am Main stattfand, die größte europäische Kongressmesse für Innovationen in der Rechtsbranche. Unter den, laut Veranstalter, 600 Teilnehmern, befanden sich 50 Anbieter von Legal Technology und 53 Redner aus Europa und den USA. Mit fast durchgehend englischsprachigen Vorträgen verfolgte man eine internationale Ausrichtung. Im Jahr 2018 soll eine weitere Legal ®Evolution stattfinden. Link zur Pressemitteilung

Fotos: legal-tech.de
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Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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