Von Simon Reuvekamp
„Wissen ist Macht“
Dieses oder vergleichbare Zitate kennt wohl jeder. Obwohl wir uns dessen bewusst sind, wissen wir tatsächlich immer weniger. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir grundsätzlich dümmer geworden sind – nur das Wissen wächst exponentiell. Heutzutage verdoppelt sich das Wissen der Welt schätzungsweise innerhalb eines Tages. Für die gleiche Leistung brauchte das Wissen zwischen 1400 und 1900 noch ganze 500 Jahre.
Gleichzeitig verlassen wir uns immer mehr auf die so lieb gewonnenen Helferleine. Das Gespenst der digitalen Demenz geht um. Früher war es normal, dass man die wichtigsten Telefonnummern im Kopf hatte. Heute brauche ich einen Aufkleber auf meinem Handy um meine eigene Rufnummer immer sofort parat zu haben.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Sammeln und Vermitteln von Wissen zum Geschäftsmodell der größten Konzerne gehört, mit dem sich vortrefflich Geld verdienen lässt. Wissen bedeutet heute nicht nur Macht, sondern ist zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor geworden. „Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts“.
Bei dieser Menge an Daten haben wir längst einen Umfang verlassen, der nur von Menschen selber verwaltet werden kann. Ohne IT und nun auch ohne Künstliche Intelligenz lassen sich diese Datenmengen nicht mehr eingeben, verwalten und nutzbar zur Verfügung stellen. Es bedarf entsprechender Systeme, die diese Inhalte den Anwenderinnen und Anwendern automatisch zum gewünschten Zeitpunkt nahezu ohne Verzug zur Verfügung stellen. Wir sprechen hier von Wissensmanagementsystemen.
Verlässlichkeit: Wo kommen die Daten her?
Das wohl erfolgreichste Wissensmanagement unserer Zeit nennt sich Google. Das entsprechende Verb ist zum Synonym für die Beschaffung von Wissen über die größte Wissenssammlung der Welt – das Internet – geworden. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Bei dieser Menge an Daten und Quellen ist die Verlässlichkeit der gewonnenen Information nicht automatisch sichergestellt. Die Algorithmen mit denen Informationen gefiltert, angezeigt werden oder verborgen bleiben sind das wohlgehütete Betriebsgeheimnis der Konzerne.
Möchten wir uns also verlässlicher Informationen bedienen, bedarf es speziell gepflegter Daten und gleichsam verlässlicher Herkunft. Nicht ohne Grund zahlen wir weiterhin fleißig unsere Gebühren für juristisch verwertbare Fachinformationen.
Da kommt man natürlich schnell auf die Idee, das eigene Wissen in vergleichbarer Weise – aber kostenfrei – zu nutzen. Denn schließlich sammeln wir in unseren Akten und Dokumenten viele Informationen, die für eine spätere Verwendung genutzt werden könnten. Tatsächlich sind die Hürden für eine solche Wiederverwendung wesentlich geringer als noch vor zehn Jahren. Alleine die Regeln, denen wir mit der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches unterworfen wurden, ermöglichen uns ganz automatisch alle eingehenden Dokumente elektronisch zu durchsuchen, ohne diese vorher noch durch eine Texterkennung jagen zu müssen.
Durchsuchbarkeit: Wer suchet, der findet
Damit stehen uns also die ausgehenden und eingehenden Dokumente in durchsuchbarer Form zu Verfügung. Wenn wir nun nur nach einem Begriff suchen, bekommen wir Fundstellen in einer Vielzahl an Dokumenten.
Diese Volltextrecherche bestimmter Suchworte reicht aber oft nicht, um schnell auf die richtige Information zugreifen zu können. In der Regel liefert nur eine Kombination verschiedener Schlüsselwörter oder deren Ausschluss das gewünschte Suchergebnis. Dies erfordert dann zusätzliche Eingabeparameter und eine Software, die dieses ermöglicht.
Sie kennen wahrscheinlich eine übliche Datenbankabfrage, in der ein Sachverhalt mit entsprechenden Schlagwörtern in eine Maske eingegeben und diese dann mit eingrenzenden Parametern wie Jahrgängen, Gerichten oder Paragrafen angereichert wird. Als Ergebnis bekommen Sie eine immer kürzere, dafür aber akkuratere Liste potenzieller Treffer. Problematisch wird es, wenn die Treffer durch unsaubere Kriterien falsch eingeschränkt werden – und sich daher die Trefferliste zum Nachteil verändert.
Wissensmanagementsysteme unterstützen daher die Anwenderinnen und Anwender mit zusätzlichen Suchoptionen. So wird bei einer semantischen Suche Datenmaterial nicht nach den Schlagwörtern, sondern nach der tatsächlichen Bedeutung gefiltert. Einzelne Suchwörter und deren Fehlinterpretation verlieren dadurch an Relevanz für das Suchergebnis, weil es nicht mehr erforderlich ist, dass das Suchwort in der exakten Schreibweise vorkommen muss.
Der nächste Entwicklungsschritt ist dann die Suche mittels Künstlicher Intelligenz, und damit meine ich nicht unbedingt ChatGPT. Schon vor drei Jahren hatte ich Kontakt zu einem Start-up, das mittels KI und einem Prüfassistenten große Mengen an Dokumenten nach Inhalten und Klauseln durchsuchte, blitzschnell Ergebnisse anzeigte. Der Vorteil dieser Lösung lag vor allem darin, dass diese Inhalte im direkten Zugriff der Anwenderinnen und Anwender lagen und nicht aus der unendlichen und anonymen Welt des Internets gespeist wurden. Die Ergebnisse werden nicht durch Fremdeinwirkung (unbekannte Suchalgorithmen) und zweifelhafte Inhalte (Fake-News) verfälscht.
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„Zeitgewinn durch Wissensmanagement“
Verknüpfung mit anderen Systemen: Eigenes Wissen wird zur Verfügung gestellt
Genau hier liegt der Vorteil einer eigenen Datenhaltung. Wenn das Wissensmanagement auf den Informationen der eigenen Kanzlei beruht, dann kann ich mit einer hohen Verlässlichkeit der Informationen und einer einfachen Weiternutzung ausgehen.
Teilweise verfügen Kanzleisysteme schon über mehr oder weniger ausgereifte Werkzeuge des Wissensmanagements. Schließlich sind diese Programme nichts anderes als Datenbanken, die sowohl Texte als auch Daten verwalten und den Anwenderinnen und Anwendern zur Verfügung stellen. Insofern kann innerhalb der Systeme nach den Inhalten gesucht und die Ergebnisse, wie zuvor beschrieben, durch weitere Parameter eingrenzt werden. So werden gefundene Inhalte in neuen Vorgängen wiederverwendet.
Oft ist jedoch Outlook zum zweiten Gedächtnis der Kanzleien geworden – ein Umstand, der zu immer größeren E-Mail-Konten führt und den IT-Verantwortlichen die Schweißperlen auf die Stirn zaubert. Hand aufs Herz: Wie oft nutzen Sie die Suchfunktion Ihres E-Mail-Clients? Daher gibt es Systeme, die externe Datenquellen wie das lokale Outlook oder das gesamte Exchange-System der Kanzlei durchsuchen können. Natürlich können auch Daten, die nicht in einer Kanzleisoftware, sondern auf dem Fileserver abgelegt wurden, durchsucht werden. Nicht selten erreichen die Datenmengen in Kanzleien heutzutage den Terrabyte Bereich.
Ein Gedächtnis, das nicht verloren geht
Je spezieller Ihre Kanzlei aufgestellt ist, desto wichtiger wird es, dass vorhandenes Spezialwissen verfügbar bleibt. Künstliche oder natürliche Fluktuation werden anderenfalls zur Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit.
Wissensmanagement ist also aus verschiedenen Gründen grundsätzlich für jede Kanzlei ein Muss. Die Frage ist nur in welcher Ausprägung und in welchem Umfang. Ich kenne keine Kanzlei, die komplett ohne Wiederverwertung vorhandener Daten auskommt. Jeder hat irgendwo Informationen gespeichert, auf die zu einem späteren Zeitpunkt zurückgegriffen wird. Es geht doch immer darum, unsere Leistungen durch Nutzung vorhandener Ressourcen zu optimieren, sei es, um Zeit zu sparen oder eine bessere Leistung erbringen zu können. Wenn es zu Ihrem Geschäftsmodell gehört, perfekt ausgearbeitete Verträge zu erstellen, dann werden Sie ein System haben, mit dem Sie die Inhalte mit den relevanten Klauseln zusammenstellen. Wenn es jedoch Ihre Aufgabe ist, im Rahmen einer Risikoanalyse große Datenmengen in kurzer Zeit zu sichten und nach Informationen zu strukturieren, dann werden oder sollten Sie Werkzeuge haben, die Ihnen dies ermöglichen.
Die gute Nachricht ist, dass es solche Systeme gibt und vor allem von der Anwendung und in der Administration so einfach geworden sind, dass es keiner eigenen IT-Abteilung bedarf, um diese Systeme zu nutzen. Grundfunktionen des Wissensmanagements werden von den Kanzleimanagementsystemen bereits von Haus aus mitgeliefert. Spezialanforderungen können nach eigenem Gusto durch externe Systeme ergänzt werden. Ob und gegebenenfalls welcher Schnittstellen zwischen den Systemen es Bedarf, ist im Einzelfall zu klären.
Das Haar in der Suppe
So groß meine eigene persönliche Begeisterung für diese Systeme ist, so möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass das Thema Datenschutz dabei nicht aus den Augen verloren werden darf. Und dabei meine ich nicht unbedingt nur den Datenschutz nach außen, sondern auch den Datenschutz nach innen. Wenn Sie große Datenmengen transparent und nach den unterschiedlichsten Inhalten für jeden durchsuchbar zur Verfügung stellen, dann kann dies natürlich dazu führen, dass Personen Inhalte finden, die nicht für deren Augen gedacht waren. Nehmen wir nur die von mir beschriebene Möglichkeit, das E-Mail-System an ein Wissensmanagement anzukoppeln. Es kann zum Bumerang werden, wenn vertrauliche E-Mail-Kommunikation plötzlich im kanzleiweiten Wissensmanagement zu finden ist. Daher sollten Sie sich im Zusammenhang mit der Einführung und der Nutzung eines solchen Systems genau überlegen, wer auf was zugreifen darf.
Fazit: Bedeutung des Wissensmanagements nimmt zu
Die Kunst des Wissensmanagements, aus der Masse der verfügbaren Informationen die jeweils relevanten zu filtern, wird zukünftig eine immer größere Rolle spielen. Wie das in Ihrer Kanzlei gelingen kann, erfahren Sie in der neuen Spezialausgabe des Legal Tech-Magazins zum Thema Wissensmanagement.
Simon Reuvekamp ist CTO bei Meyer-Köring mit Sitz in Bonn und Berlin. Seit 1990 berät er als Spezialist für Kanzleisoftware und Diktiersysteme Rechtsanwaltskanzleien. Seit 2019 leitet er die IT-Abteilung der Kanzlei mit 90 Mitarbeiter:innen. Die Kanzlei setzt einen eindeutigen Fokus auf den Einsatz von IT. Hierzu zählen diverse Produkte von der klassischen Kanzleisoftware bis hin zu RPA-Anwendungen zur Prozessautomatisierung.