Von Ulrike Meising
Im ersten Teil der Artikelserie haben wir uns mit dem Einsatz von Legal Tech im Bereich des Familienrechts beschäftigt, der von Berechnungen geprägt ist und in vielen Kanzleien schon Alltag ist…
… womit wir bei dem (anscheinend) nicht zu berechnenden Anteil im Familienrecht wären: Neben Berechnungen ist eine weitere zentrale Aufgabe des Familienrechts, Veränderung von Beziehungssystemen zu begleiten und den daran beteiligten Menschen Schutz durch Rechtsdurchsetzung zu gewähren.
Wie soll in diesem Bereich anders als mit wohlgefeiltem Fließtext herausgearbeitet werden, dass Ada-Sophia mit all ihrer Hypersensibilität und Hochintelligenz nur unter den Argusaugen der nichtarbeitenden Mutter und strikt veganer Ernährung ihr volles Potenzial abrufen kann?
Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat inzwischen verstanden, dass Familienrecht in diesem Bereich einen beachtlichen Renovierungsstau vor sich herschiebt und wird langsam aktiv. Noch werden Begriffe wie Mutter und Vater und nicht Eltern verwendet; noch ist entgegen den Erkenntnissen der Trennungsforschung paritätische Elternschaft nicht der Regelfall; weiterhin wird dem Irrglauben gefolgt, Umgang und Unterhalt stünden in keiner Verbindung und Kinder seien irgendwie „minder“ (in ihren Rechten und Bedürfnissen) zu ihren Eltern.
Hier hilft ein Blick in Nachbarländer, die sich bereits von vielen dieser Dogmen gelöst haben und experimentierfreudig sind.
App sorgt für Transparenz
Es gibt inzwischen erfolgreiche Software z. B. in den USA, die Trennungsfamilien verwenden, um Umgang, wichtige Termine, Bedarfe und Finanzen für alle Beteiligten sichtbar zu machen. Hier kommt es nicht so sehr auf das Berechnungspotenzial der Software an, sondern auf das Transparenz-Potenzial der Digitalisierung:
Wenn eine Trennungsfamilie über eine App kommuniziert,
- muss nicht mehr seitenlang geschrieben werden, wer wann (nicht) angerufen hat: Auf einen Klick kann Kommunikation sichtbar gemacht werden;
- können Beteiligte selbst unmissverständlich erkennen, wann, wie oft wer wen kontaktiert hat;
- muss kein Elternteil nachts minutiöse Listen führen, wieviel Zeit Leon wo verbracht hat – und daher vielleicht doch 50,00 Euro Unterhalt verlangen kann;
- können fortschrittliche Algorithmen die Qualität der Kommunikation bewerten: aggressiv, verletzend, fragend, freundlich, emphatisch, wertschätzend etc. und Verbesserungsvorschläge machen;
- können alle mitlesen und so wird schnell von Beleidigungen und Manipulationen gelassen;
- kann eine gemeinsame Fotowand allen Beteiligten Einblicke in das neue Leben von Kindern und Ex-Partnern geben. So lernen sie schnell, dass auch bei Veränderung der Familienkonstellation neues Leben bunt, schön, anstrengend und … anders ist.
Gegen diese Vorteile minimaler Eingriffe, Selbstständigkeit der Beteiligten und Geschwindigkeit von Veränderungen wirkt z. B. das x-te Gerichtsverfahren zur Manifestation vormaliger Zustände oder theoretischer Familienmodelle blass und aus der Zeit gefallen.
Auch halbsachverständige Gefälligkeitsgutachten haben gegenüber diesen Erkenntnissen und Verhaltensänderungen keine Chance; die Beteiligten nehmen vielmehr ihr Schicksal selbst in die Hand.
Und last but not least: Wenn Beteiligte eindeutige Übersicht über Kosten haben, ändert sich das Thema Unterhalt vom machtbesessenen Zweikampf zum realistischen Blick auf Möglichkeiten und Bedarf:
…das Ende der Düsseldorfer Tabelle – mit der doch alles begann?
Lesen Sie auch „Legal Tech im Familienrecht: Was Software im „unberechenbaren“ Familienleben berechnen kann“
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Ulrike Meising ist Rechtsanwältin & Fachanwältin für Familienrecht mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im IT-Recht. Außerdem ist sie Mediatorin, Referentin & Anwendungs-Testerin – und neugierig, wie Digitalisierung Mandantschaft und Justiz positiv verändern können.
kanzlei-meising.de