Von Markus Hartung
„Anwältinnen und Anwälte unterliegen anderen Regeln als Legal Tech-Unternehmen, auch wenn sie dasselbe tun.“ Dies beschreibt den Umstand, den das sogenannte Legal Tech-Gesetz, das am 1. Oktober in Kraft tritt, auflösen soll, ganz treffend. Das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt – wie es offiziell heißt – hat das Ziel, Anwaltschaft und Legal Tech-Unternehmen bezüglich ihrer Rechte und Pflichten einander anzugleichen, um letztlich den Zugang zum Recht zu steigern. Im Interview mit Legal Tech-Experte Markus Hartung erläutert er, warum das Gesetz durchaus kontrovers diskutiert wird und wie seine Einschätzung des Gesetzes ausfällt.
Wie wirksam ist das sogenannte Legal Tech-Gesetz wirklich bezüglich einer rechtlichen Angleichung von Kanzleien und Legal Tech-Unternehmen?
Markus Hartung: Das Gesetz bewirkt eine Anpassung, aber keine völlige Gleichstellung. Ihre Frage legt aber den Finger in die Wunde: Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen ist u. a., dass Anwälte und Inkassounternehmen selbst dann, wenn sie dasselbe tun, unterschiedlichen Regeln unterliegen. Der Anwaltschaft ist deutlich weniger erlaubt, obwohl man von ihr eigentlich mehr an Berufsethik und Core Values erwartet als von Inkassounternehmen, egal ob nun mit oder ohne Legal Tech. Anwaltsorganisationen haben in solchen Situationen die seltsame Eigenart, nicht ein Mehr an Freiheit für die Anwaltschaft zu fordern, sondern ein Mehr an Unfreiheit für die anderen. Das war schon immer so, lässt sich aber verfassungsrechtlich kaum begründen und erzeugt europarechtlich nur Kopfschütteln.
Das neue Gesetz verkleinert den Unterschied, ohne ihn zu beseitigen, oder wie es in der Anhörung im Rechtsausschuss hieß: Die Rechtslage wird durch das neue Gesetz weniger inkohärent als vorher, aber nicht kohärent. Aber das, befürchte ich, hat sich die Anwaltschaft selber zuzuschreiben – gerade der erbitterte Widerstand der BRAK ist nicht ohne Folgen geblieben: Wenn es nach dem BMJV gegangen wäre, hätten Anwälte mehr Befugnisse für Erfolgshonorare und auch für Prozessfinanzierungen erhalten.
Betrachtet man das Gesetz aber durch die Verbraucherbrille, dann ist es ein echter Fortschritt, weil die Rechtslage bei den nichtanwaltlichen Anbietern besser (weil rechtssicherer) wird und das Schutzbedürfnis der Verbraucher durch deutlich mehr Informationspflichten befriedigt wird. Hier ist zwar seitens des BRAK-Vizepräsidenten kritisiert worden, das werde eh niemand lesen, aber damit tut man dem Verbraucher Unrecht: Sie sind deutlich erwachsener und können anhand der Informationen besser entscheiden, ob sie einen Rechtsdienstleister oder einen Anwalt bzw. eine Anwältin beauftragen.
Wie bewerten Sie die neue Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren für Anwältinnen und Anwälte?
M.H.: Positiv – schon deshalb, weil die bisherige Lage einfach schlecht ist, das kann wirklich nur besser werden. Die vielen Bedenken, die ja hauptsächlich von Anwaltsfunktionären kommen, teile ich nicht. Anwaltshonorare müssen einen Bezug zum Nutzen der Sache für Mandanten haben, nicht nur zum Streitwert, denn sonst werden sie nicht mehr akzeptiert. Das sehen wir ja bei der Bereitschaft der Verbraucher, sich auf Erfolgshonorarmodelle einzulassen, wenn sie finden, dass es ihnen nutzt. Warum soll das bei Anwälten anders sein?
Was denken Sie, in welchen Fällen das Erfolgshonorar maßgeblich zum Einsatz kommen wird?
M.H.: Wir haben drei neue und sehr unterschiedliche Fallgruppen, in denen ein Erfolgshonorar zum Einsatz kommen kann:
- Bei pfändbaren Geldforderungen von höchstens 2.000 Euro.
- Bei außergerichtlichen Inkassodienstleistungen oder Mahn- und Zwangsvollstreckungsverfahren.
- Einzelfälle, in denen der Auftraggeber ohne ein Erfolgshonorar von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.
Ob die neue Möglichkeit, bei Werten bis 2.000 Euro ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, lebhaft genutzt werden wird, kommt mir eher zweifelhaft vor. Die Kanzleien, die ernsthaft im Inkassogeschäft tätig sind, werden die neue Nr. 2 nutzen, und für die Anwaltschaft wird es leichter, nach der neuen Nr. 3 Erfolgshonorare zu vereinbaren. Wir sollten die Änderungen nach einer gewissen Zeit evaluieren und sehen, ob nachgebessert werden muss.
Anwältinnen und Anwälte müssen sich aber auch darauf einstellen, dass Erfolgshonorar nicht nur heißt, dass es im Zweifel mehr gibt – richtiger wäre die Bezeichnung „ergebnisabhängige Vergütung“, und da kann man auch mal leer ausgehen, wenn man keinen Erfolg hatte. Diese Erwartung ist bei Verbrauchern heute tief verankert, und damit muss man nolens volens umgehen.
Welche Auswirkungen wird das Legal Tech-Gesetz auf neue Geschäftsmodelle innerhalb der Anwaltschaft haben?
M.H.: Nun ja, um ein Geschäftsmodell wie bei einem Legal Tech-Unternehmen auszubauen, braucht man mehr als die Erlaubnis, Erfolgshonorare zu vereinbaren. Solange sich Kanzleien nur aus ihrem Cashflow oder dem Vermögen ihrer Verwandtschaft finanzieren können, wird es für neue Geschäftsmodelle sehr schwer. Ich glaube daher nicht, dass wir da sehr viele Änderungen sehen werden.
Hat das Gesetz das Potenzial, den Zugang zum Recht in Deutschland zu steigern?
M.H.: Ja, weil die Rechtslage für nichtanwaltliche Rechtsdienstleister rechtssicherer wird. Ich glaube daher, dass wir da viel mehr erleben werden als bisher. Allerdings können (und dürfen) diese Dienstleister längst nicht alles anbieten, was Verbraucher nachfragen, so dass der absolute Löwenanteil an Rechtsberatung nach wie vor durch die Anwaltschaft stattfinden wird. Das neue Recht schafft aber per se keine neue Anwaltschaft. Das muss uns aber nicht sorgen, denn die Anwaltschaft verändert und verjüngt sich ohnehin und wird auch in Zukunft die wichtigste Säule in der Rechtsberatung bleiben – und zwar überall dort, wo es nicht um standardisierbaren (wenn auch für Verbraucher:innen wichtigen) Kleinkram geht.
Bei allen Segnungen der Technik: Anwältinnen und Anwälte sind unverzichtbar.
Wenn man das Legal Tech-Gesetz als Schritt zu mehr Zugang zum Recht versteht, welche Reformen sollten dann in Zukunft folgen?
M.H.: Der nächste Gesetzgeber hat vom jetzigen Gesetzgeber den Auftrag erhalten, sich das System der außergerichtlichen Rechtsdienstleistung insgesamt anzusehen und ggfls. neu zu gestalten. Da ist auch viel zu tun. Ein praktisches Beispiel: Dass ein Legal Tech-Inkassounternehmen bei der Durchsetzung einer Forderung von 250 Euro helfen darf, nicht aber bei der Abwehr einer Forderung von 250 Euro, versteht ja niemand mehr. Die Frage lautet daher, was aus dem Anwaltsmonopol wird. In den Ländern, in denen es so etwas noch gibt, löst es sich zunehmend auf, weil man erkennt, dass Anwälte – bei aller Unverzichtbarkeit, siehe oben – eben doch nicht für alles gebraucht werden, weil ihre Leistung für viele Rechtsthemen einfach zu teuer ist.
Der Gesetzgeber wird also mit der Regulierung experimentieren müssen und kann das auch, weil er sog. „Regulatory Sandboxes“ möglich machen will (bei uns heißt das „Reallabor“; das ist die Regulierung „im Sandkasten“, wo man an einem kleinen Beispiel übt, ohne gleich das ganze System über den Haufen zu werfen). Wenn sich herausstellt, dass eine weitere Aufweichung des Anwaltsmonopols für den Zugang zum Recht besser ist, dann, so befürchte ich, wird man am jetzigen Modell nicht festhalten können. Aber das erfordert noch viele Untersuchungen und Diskussionen, bevor wir taugliche Ergebnisse haben.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr Hartung!
Das Interview führte Nadia Neuendorf.
Foto: Adobe Stock/©JFL Photography
Markus Hartung ist Rechtsanwalt, Mediator und Geschäftsführer der Kanzlei Chevalier. Seit 2006 ist er Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), von 2011 bis 2019 als Vorsitzender. Weiterhin ist er Mitglied im Ausschuss Anwaltliche Berufsethik. Ende 2017 ist das von ihm mitherausgegebene und mitverfasste Buch „Legal Tech. Die Digitalisierung des Rechtsmarkts“ erschienen.