Von Ramiza Schöne
Der Notarberuf, ursprünglich als Gerichts- oder Gemeindeschreiber im Römischen Reich etabliert, zeichnet sich seit jeher durch seine Fähigkeit zur Anpassung und Innovation aus. Dieser Berufsstand, der schon damals für seine Fertigkeiten bei der Dokumentation juristischer Vorgänge geschätzt wurde, hat sich im Laufe der Jahrhunderte stetig weiterentwickelt. Heute, in einer Ära, in der Begriffe wie Digitalisierung, qualifizierte elektronische Signatur, E-Akte und XML selbstverständlich geworden sind, steht das Notariat an der Schwelle zu einer weiteren signifikanten Transformation. Dieser Artikel beleuchtet, weshalb gerade der Notarberuf zu den digital fortschrittlichsten Bereichen in der Rechtsbranche zählt.
Der „Lebenszyklus“ einer notariellen Urkunde
Um zu verstehen, wie digital der notarielle Beruf bereits ist, lohnt sich ein genauer Blick auf den Arbeitsablauf im Notariat: Von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Archivierung.
1. Beratung, Beglaubigung und Beurkundung
Das Tagesgeschäft eines Notars bzw. einer Notarin umfasst hauptsächlich Beratung, Beglaubigung und Beurkundung. Während die Beratung in einigen Fällen von qualifizierten Mitarbeitenden übernommen werden kann, sind Beglaubigungen und Beurkundungen ausschließlich dem Notar bzw. der Notarin oder einem amtlich bestellten Vertreter vorbehalten. Ob es um den Erwerb von Grundeigentum, die Gründung, den Verkauf oder die Liquidation einer GmbH geht oder um die Regelung von Eheverträgen und Scheidungsfolgen – das Gesetz schreibt vor, dass man sich hierfür an einen Notar/eine Notarin wenden muss.
2. Digitalisierung im Notariat am Beispiel des Grundstückskaufvertrags
Für viele Menschen stellt der Erwerb von Grundeigentum, beispielsweise einer Wohnung, ein einmaliges und bedeutendes Ereignis dar. In diesem Beitrag möchte ich am Beispiel der Abwicklung eines Grundstückskaufvertrags (im Folgenden als GKV bezeichnet) aufzeigen, wie digitalisiert und effizient der Notarberuf heute ausgeübt werden kann.
Erstkontakt und Datenerfassung
Ein:e Notar:in wird aktiv, sobald er oder sie beauftragt wird. Typischerweise erfolgt der erste Kontakt der Mandantschaft mit der Kanzlei telefonisch oder per E-Mail. Eine der ersten Fragen ist oft: „Wie schnell können wir einen Termin bekommen?“ Ein Termin wird in der Regel erst vergeben, wenn der Entwurf des GKVs vorbereitet ist. Die Vorbereitung des Entwurfs kann jedoch erst begonnen werden, wenn dem Notar/der Notarin alle wesentlichen Informationen vorliegen. Im Falle eines GKVs sind dies Angaben zu den Vertragsparteien, dem Kaufobjekt und dem Kaufpreis. Hier bieten digitale Lösungen, wie Online-Formulare, die Möglichkeit, alle relevanten Informationen effizient und strukturiert zu erfassen. Dies reduziert den Papieraufwand und beschleunigt die Vorbereitung des Entwurfs.
Einsatz von Online-Formularen
In fortschrittlichen Kanzleien werden bereits PDF-Formulare oder webbasierte Online-Formulare eingesetzt. Diese cloudbasierten Lösungen sammeln alle notwendigen Daten und ermöglichen eine strukturierte Bearbeitung. Eine Herausforderung besteht jedoch oft darin, dass diese Anwendungen keine direkte Schnittstelle zur verwendeten Notarsoftware bieten. Die Daten aus den Online-Formularen müssen daher manuell in die Software übertragen werden. Eine effizientere Lösung wäre die Entwicklung von Datenblättern in Zusammenarbeit mit dem Softwareanbieter, um eine direkte Übertragung der Daten in die Aktenverwaltung zu ermöglichen.
Online-Terminkalender: Eine effiziente Alternative
Obwohl Online-Terminkalender in Notariaten noch nicht weit verbreitet sind, bieten sie eine effiziente Alternative zur herkömmlichen Terminvereinbarung. Sie ermöglichen den Mandant:innen, selbstständig Termine zu buchen, was besonders für jüngere Generationen attraktiv ist, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind. Bei der Implementierung eines solchen Systems sollte auf eine intuitive Benutzeroberfläche und eine klare Kategorisierung der verschiedenen Terminarten geachtet werden. Dies erleichtert die Auswahl des passenden Termins und gewährleistet eine effiziente Terminplanung.
Entwurfsvorbereitung
Sobald die erforderlichen Daten vorliegen, kommt eine hochwertige Notarsoftware zum Einsatz. Diese Software sollte in der Lage sein, die Daten effizient zu verarbeiten und idealerweise direkt in die Aktenverwaltung zu importieren. Moderne Softwarelösungen bieten hierzu verschiedene Funktionen, wie etwa die automatische Zuordnung von Amtsgerichten oder Gutachterausschüssen basierend auf Grundbuchdaten. Die Verwendung von Textbausteinen oder einer Textbaumstruktur erleichtert die Erstellung von Entwürfen. Ein gut strukturiertes Vertragsmuster spart Zeit und erhöht die Genauigkeit der Dokumente.
Einsicht in öffentliche Register online
Ein wesentlicher Teil der notariellen Arbeit ist die Einsichtnahme in öffentliche Register, wie das Handels- und Grundbuchregister. Die Online-Verfügbarkeit dieser Register hat den Zugriff und die Geschwindigkeit der Informationsbeschaffung deutlich verbessert. Zudem ermöglichen einige Bundesländer den Download von Grundbuchdaten in strukturierten Formaten. Der elektronische Grundbuchverkehr wird im Gegensatz zum Handelsregister sukzessive aufgebaut. Beispielsweise sind Schleswig-Holstein und Hessen komplett elektronisch, während u. a. Bayern den elektronischen Grundbuchverkehr schrittweise anbietet.
Nutzung weiterer digitaler Register
Zusätzlich zu den klassischen Registern nutzen Notar:innen eine Reihe weiterer digitaler Ressourcen, darunter das Zentrale Vorsorgeregister, das Zentrale Testamentsregister, das elektronische Urkundenverzeichnis, das Transparenzregister und spezielle Landesregister (z. B. Landesnaturschutzgesetz). Amtliche Lagepläne sowie Karten zu ausgewiesenen oder geplanten Sanierungsgebieten und Erhaltungssatzungen werden von größeren Verwaltungen auch zwischenzeitlich online zur Verfügung gestellt.
Online-Beurkundungsverfahren und seine Zukunft
Das Online-Beurkundungsverfahren (OBV) ist ein zukunftsweisender Schritt für ein digitales Notariat. Die Möglichkeit, bestimmte Rechtsgeschäfte wie GmbH-Gründungen online zu beurkunden, vereinfacht und beschleunigt den Prozess erheblich. Während die Online-Beurkundung bei Grundstücksgeschäften noch in der Entwicklung ist, zeigen Beispiele aus anderen Ländern das Potenzial dieser Technologie.
Die volle Implementierung des OBV könnte die Notariatsdienstleistungen noch zugänglicher und effizienter gestalten. In Österreich ist das Notariat bereits fast komplett digitalisiert. Lediglich die Testamentsbeurkundung erfolgt durch die persönliche Vorsprache beim Notar/bei der Notarin. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch das deutsche Notariat eine ähnliche Entwicklung erwartet. Insbesondere die Unterschriftsbeglaubigung eignet sich hervorragend, diese ausschließlich als Fernbeglaubigung durchzuführen.
Vollzug und Verteilung der Urkunde
Nach der Beurkundung wird die Urkunde an die relevanten Behörden und Parteien zugestellt. Der Vollzug in Gesellschafts- und Handelsregistersachen ist vollständig elektronisch möglich. In einigen Bundesländern ist dieser Prozess auch in Grundbuchsachen bereits ausschließlich elektronisch möglich.
Die Einführung von eNoVa (elektronischer Notar-Verwaltung-Austausch) im Jahr 2024 wird es den Notar:innen ermöglichen, zunächst auf freiwilliger Basis, Grundstücksgeschäfte nahezu vollständig elektronisch abzuwickeln. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines vollständig digitalen Vollzugs dar und spiegelt die fortschreitende Digitalisierung im Notariatswesen wider.
Archivierung
Nachdem erfolgreichem Vollzug der Urkunde, d. h. wenn der Kaufpreis bezahlt, sämtliche abzulösende Gläubiger befriedigt sind und der Käufer/die Käuferin als neue:r Eigentümer:in im Grundbuch eingetragen ist, so ist die Urkunde zu archivieren. Neben der papiergebundenen Urkundensammlung, übergibt der Notar/die Notarin seit 2022 auch eine elektronisch beglaubigte Abschrift der Urkunde an das elektronische Urkundenarchiv.
Die elektronische Nebenakte, die die Korrespondenz zwischen dem Notariat und allen Beteiligten, Behörden und Organisationen abbildet, kann seit ein paar Jahren ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen elektronisch geführt werden. Hierfür gilt die Verordnung über die Führung notarieller Akten und Verzeichnisse (NotAktVV).
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Potenziale und Herausforderungen der Digitalisierung
Die Digitalisierung bietet enorme Vorteile für das Notariat: Sie führt zu einer erheblichen Kosten- und Zeitersparnis, steigert die Effizienz und verbessert die Zugänglichkeit der Dienstleistungen. Gleichzeitig stehen die Notariate vor Herausforderungen wie dem Datenschutz und der Notwendigkeit, mit den sich ständig ändernden Technologien Schritt zu halten.
Die Inkompatibilität neuer Marktangebote mit bestehender Notarsoftware kann die Akzeptanz neuer Technologien erschweren. Die Gewährleistung von Sicherheit, beispielsweise im Hinblick auf Identitätsdiebstahl und Betrug, ist entscheidend für den Erfolg der digitalen Transformation im Notariat. So wichtig es ist, darauf hinzuweisen, dass unsere Gesellschaft und damit die Endverbraucher:innen auch jünger und damit digitalaffiner werden, so wichtig ist es auch, darauf hinzuweisen, dass stets auch ein analoges Angebot für die ältere Generation bereitzustellen ist.
Das Notariat wird somit zwar digital, aber aufgrund der besonderen Stellung weiterhin auch analoge Dienstleistungen anbieten. In einigen ländlichen Regionen, wo der Bedarf für eine ständige Amtsnotariatsstelle nicht besteht, bieten sich sog. Amtstage als Lösung an. Ein vollständig digitales Notariat könnte in Zukunft eine ähnliche Option für persönliche Termine anbieten, vielleicht unter der Bezeichnung „Analoge Amtstage“.
Der nächste Sprung in Sachen Digitalisierung steht an
Der Notarberuf zählt zu den digital fortschrittlichsten in der Rechtsbranche, da er historisch schon immer an der Spitze der Datenverwaltung und Dokumentation stand. Die digitale Transformation hat ihn weiter revolutioniert: Von der Erstkontaktaufnahme bis zur Archivierung der Urkunden und Nebenakten kann der gesamte Prozess digital aufgesetzt werden (siehe „Lebenszyklus“ einer Urkunde). Der nächste bahnbrechende Sprung wird der Austausch des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Verwaltungsbehörden sein.
Die Digitalisierung im Notariat ist eine notwendige Evolution, die diesen Berufsstand grundlegend verändert. Diese Transformation hat bereits vor Jahren begonnen und setzt sich kontinuierlich fort. Während wir uns an neue Technologien anpassen, bleibt die Kernfunktion des Notariats – die unparteiische und sorgfältige Dokumentation und Beglaubigung/Beurkundung von Rechtsgeschäften – beständig und wichtiger denn je.
Ein sorgfältig geplanter, rechtssicherer und schrittweiser Ansatz zur Digitalisierung, der die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt, ist für den erfolgreichen Wandel des Notariats entscheidend. Die Digitalisierung im Notariatswesen ist nicht nur ein Trend, sondern eine Notwendigkeit, um die Rechtsdienstleistungen zu modernisieren und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken.
Checkliste: Digitalisierung im Notariat
1. Digitalisierungsstand prüfen: Welche digitalen Prozesse sind bereits etabliert?
2. Datenschutz sicherstellen: Sind Ihre digitalen Systeme datenschutzkonform?
3. Mitarbeiterschulung: Ist Ihr Team im Umgang mit digitalen Tools geschult?
4. Digitale Prozessanpassung: Werden digitale Prozesse regelmäßig überprüft und angepasst?
5. Rechtliche Konformität: Entsprechen Ihre digitalen Prozesse und Software den aktuellen rechtlichen Anforderungen?
Bild: Adobe Stock/©Nuthawat
Ramiza Schöne, Notarberaterin und Gründerin von notartec, Notarreferentin, ist bekannt für ihre Rolle als Digital-Creator und Moderatorin des Podcasts „Digital im Notariat – Schöne neue Welt“. Mit ihrem Fokus auf intuitive und praxisorientierte Lösungen unterstützt sie Notare und deren Teams, digitaler zu werden. Ihr Angebot umfasst maßgeschneiderte Coachings und Schulungen für Mitarbeiter und Führungskräfte sowie langfristige Automatisierungsprojekte.