Von Benedikt M. Quarch und Jan Neumann
Nachdem der erste Teil des Beitrags zum Thema Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso den Status Quo für Rechtsdienstleister zusammengefasst hat, zeigt dieser zweite Teil vor aktuellem Hintergrund auf, welche weiteren Schritte für echte Rechtssicherheit beim Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso noch notwendig sind.
I. Forderungsabwehr durch Rechtsdienstleister
Im Gegensatz zur Forderungseinziehung soll die Forderungsabwehr Rechtsdienstleistern hingegen nach aktuell wohl ganz herrschender Meinung nicht erlaubt, sondern der Anwaltschaft vorbehalten sein. Der BGH äußerte dazu im vierten Leitsatz zu „LexFox“, dass von einer Nichtigkeit nach § 134 BGB insbesondere dann regelmäßig auszugehen sei, wenn ein registrierter Inkassodienstleister Tätigkeiten vornimmt, die von vornherein nicht auf eine Forderungseinziehung im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG, sondern auf die Abwehr von Ansprüchen gerichtet sind.[1] Detaillierter musste sich der BGH mit dieser Frage bisher nicht befassen, weil nach seiner Sicht das betreffende Aufforderungsschreiben der Klägerin an den Vermieter schon überhaupt keine Forderungsabwehr dar stelle.[2] In der Literatur tauchen aktuell aber auch Argumentationen auf die anzweifeln, ob die Trennung zwischen Inkasso, also Forderungseinziehung, und Forderungsabwehr langfristig überhaupt sinnvoll, auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten, durchzuhalten ist.[3]
II. Weitere Interessenskollisionen möglich
Dass § 4 RDG auch losgelöst von Fragen im Zusammenhang mit Prozessfinanzierung eine wichtige Rolle bei der Zulässigkeit der Geschäftsmodelle von Rechtsdienstleistern spielen kann, zeigt eine aktuelle, interessante Entscheidung des LG Stuttgart.[4]Dieses urteilte auf die Kartellschadensersatzklage einer Rechtsdienstleisterin hin, es läge ein unzulässiger Interessenskonflikt im Sinne des § 4 RDG und folglich eine Gefährdung der ordnungsgemäßen Erfüllung einer anderen Leistungspflicht im Verhältnis der Klägerin zu den einzelnen Zedenten untereinander vor.[5]
Das LG Stuttgart begründet seine Entscheidung mit Besonderheiten der gebündelten Geltendmachung von – im vorliegenden Fall stark heterogenen – Ansprüchen im Kartellrecht. Im Kartellschadensersatzrecht schließen sich die Ansprüche (mutmaßlich) Geschädigter häufig gegenseitig aus. Kartellierte Produkte werden in der Regel über mehrere Marktstufen hinweg vertrieben und bezogen. Folge ist, dass die Primärgeschädigten ihren Schaden auf ihre eigenen Kunden (teilweise) abwälzen, so dass diese ebenfalls „indirekt“ vom Kartell geschädigt werden. Eine solche Schadensweiterwälzung kann der Schädiger dem Geschädigten regelmäßig auch entgegenhalten.[6] Während also der Primär geschädigte sich gegen den Einwand der beklagten Kartellanten verteidigen muss, er habe den Schaden auf seine Abnehmer weitergewälzt, muss der indirekt Geschädigte nachweisen, dass der Schaden auf ihn selbst abgewälzt wurde.
Die Ansprüche der direkten und indirekten Abnehmer des kartellbetroffenen Guts schließen sich gegenseitig aus. Ein Inkassodienstleister verhalte sich laut LG Stuttgart im Prozess widersprüchlich, wenn er in solchen Konstellationen zugunsten des indirekten Abnehmers vorträgt, der Schaden sei weitergewälzt worden, und zugunsten des direkten Erwerbers (Primärgeschädigten) vorträgt, der Schaden sei nicht weitergewälzt worden. Dem könne der Inkassodienstleister zwar dadurch begegnen, dass er die Ansprüche in ein Eventualverhältnis stellt. Damit stellt er aber die Interessen des einen Kunden hinter die Interessen des anderen Kunden zurück. Nichts Anderes gelte, wenn der Inkassodienstleister die Ansprüche etwa nach Marktstufen gruppiert und getrennt einklagt: Ein Tatgericht wird im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch dann regelmäßig zu berücksichtigten haben, wenn eine Partei in verschiedenen Prozessen sich selbst widersprechend vorträgt.[7]
Das Urteil des LG Stuttgart verdeutlicht, dass es auch nach mehreren grundlegenden BGH Entscheidungen zum Legal Tech Sammelklage-Inkasso und Inkrafttreten des Legal Tech Gesetzes immer noch Fälle gibt, bei denen sich das Geschäftsmodell von Rechtsdienstleistern im Nachhinein als nicht mit dem RDG vereinbar zeigt.
III. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes der Registrierung – ja oder nein?
Es ist ein altbekanntes Problem, dass Rechtsdienstleister mit ihren Geschäftsmodellen zwar teils erfolgreich bei der für sie zuständigen Stelle registriert werden und eine Inkassoerlaubnis erhalten (aktuell ist die Aufsicht auf 38 verschiedene Stellen zersplittert[8]), dies Ihnen jedoch nicht garantiert, dass ihr Geschäftsmodell in späteren Zivilverfahren von den dann zuständigen Gerichten nicht doch für unzulässig erklärt wird. Eine Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes der Registrierung als Inkassodienstleister, weshalb die Zulässigkeit des Verhaltens der registrierten Rechtsdienstleister einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen sei, lehnte der BGH 2019 in „LexFox“ (am Maßstab des Prüfumfangs der Registrierung nach damals geltender Rechtslage richtigerweise) ab.[9] Auf diese Entscheidung verweist auch ganz aktuell das LG Stuttgart.[10] Zu erwähnen wäre in dem Zusammenhang eigentlich jedoch auch gewesen, dass anders als noch 2019 der Prüfungsumfang des verwaltungsrechtlichen Registrierungsverfahren mit in Kraft treten des Legal Tech Gesetzes eine deutliche Intensivierung erfahren hat. Die zuständigen Stellen prüfen nun schon im Registrierungsverfahren, ob die beabsichtigten Tätigkeiten des Antragstellers Inkassodienstleistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 RDG darstellen und bestimmte Dienstleistungsmodelle von Legal Techs damit von der Inkassoerlaubnis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG gedeckt sind. In der Gesetzesbegründung hieß es dazu: „Die nach § 13 Absatz 2 RDG-E erforderlichen Angaben im Registrierungsverfahren bedeuten eine Intensivierung der inhaltlichen Prüfung der Inkassodienstleistung gegen über der bisherigen Rechtslage. Diese genauere Überprüfung des Geschäftsmodells kann für die Zivilgerichte im Sinne einer Tatbestandswirkung beachtlich sein“.[11]
Hinderlich ist dabei jedoch, dass die behördliche Zuständigkeit für die Registrierung von und Aufsicht über Inkassodienstleister(n) nach wie vor zersplittert ist. Die Zersplitterung der Aufsicht auf aktuell 38 verschiedene Stellen, die einen Flickenteppich von sich teils grundsätzlich und erheblich wider sprechenden Einzelfallentscheidungen schaffen, verhindert die Ausbildung einer einheitlichen Rechtspraxis und damit auch die in der Gesetzesbegründung zum Legal Tech Gesetz in Aussicht gestellte Rechtssicherheit für Rechtsdienstleister. Dieses Problem ging der Gesetzgeber mit dem Legal Tech Gesetz (noch) nicht an. Jedoch wurde der neuen Bundesregierung mit einer Entschließung des damaligen Bundestages aufgetragen unter Beteiligung der Länder bis zum 30.6.2022 einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Übertragung der Aufsicht auf eine zentrale Stelle auf Bundesebene vorsieht. Ein entsprechender, aktueller Referentenentwurf des BMJ[12] sieht nun eine solche Zentralisierung der Aufsicht über die nach dem RDG registrierten Personen beim Bundesamt für Justiz vor. Eine Bündelung beim Bundesamt für Justiz als zentral zuständige Stelle auf Bundesebene würde zukünftig für eine einheitliche Bewertung der Zulässigkeit von Legal Tech Geschäftsmodellen sorgen. Außerdem könnte das weitläufige Spannungsverhältnis zwischen modernen Legal Tech Geschäftsmodellen und dem antiquierten Rechtsdienstleistungsrecht besser überblickt und Wissen an einer Stelle nachhaltig aufgebaut werden. Eine konsequente und einheitliche Beurteilung der Zulässigkeit verschiedener „Legal Tech Inkasso Modelle“ durch eine aus schließlich zuständige und mit einem umfassenden Prüfungsauftrag ausgestattete Aufsichts- und Registrierungsstelle spräche zukünftig dann als sehr überzeugendes Argument für eine tatsächliche spätere Beachtlichkeit des Verwaltungsaktes der Registrierung für die Zivilgerichte im Sinne einer Tatbestandswirkung.
Vorerst bleibt für Rechtsdienstleister, die ihr Geschäft auf ein Inkassozessionsmodell stützen, jedoch die Gefahr, dass ihr Geschäftsmodell in Zivilverfahren für unzulässig erklärt wird, weiter bestehen. Vermeiden ließe sich dies – darauf weist auch das LG Stuttgart hin – mit Sofortkaufmodellen, also echtem Factoring, wo das wirtschaftliche Risiko der Forderungseinziehung allein beim Dienstleister liegt.[13] Eine Handvoll Rechtsdienstleister bietet Kunden solche Modelle bereits an.
Der erste Teil unserer Artikelserie befasst sich mit der Zulässigkeit des (kollektiven) Forderungseinzugs durch Legal Tech und zeigt den Status quo für Rechtsdienstleister auf.
Hinweis | Der Beitrag wurde erstveröffentlicht im Nomos Verlag in der Zeitschrift
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Der Autor Quarch, ist Co-Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer Right-Now Group und Mitherausgeber der LTZ; der Autor Neumann war bis September 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der RightNow-Group und ist jetzt als Masterand bei der Kanzlei Gleiss & Lutz tätig.