sammelklage inkasso

„Und täglich grüßt das Murmeltier“: Zum Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso

Teil 1: Status Quo für Rechtsdienstleister

Von Benedikt M. Quarch und Jan Neumann

Welche Tätigkeiten von Rechtsdienstleistern sind von der Inkassoerlaubnis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG gedeckt, bzw. bei welchen Tätigkeiten wird sie überschritten? Im November 2019 bestätigte der BGH zunächst mit seiner wegweisenden „LexFox“ Rechtsprechung die Zulässigkeit des Legal Tech Inkasso im Grundsatz. Mit weiteren darauffolgenden BGH-Urteilen und Inkrafttreten des sog. „Legal Tech Gesetzes“ im Oktober 2021 rollte die Liberalisierungswelle weiter. Einige Unsicherheiten bestehen dennoch fort. Dieser Beitrag bietet einen Überblick der relevanten Rechtsprechung und Gesetzgebung, fasst den Status Quo für Rechtsdienstleister zusammen und zeigt vor aktuellem Hintergrund auf, welche weiteren Schritte für echte Rechtssicherheit beim Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso noch notwendig sind.

Es ist eines der bedeutendsten Legal Tech Geschäftsmodelle. Die gebündelte Geltendmachung einer Vielzahl abgetretener Ansprüche in Sammelklagen. Moderne Rechtsdienstleister (sog. „Legal Techs“) lassen sich eine Vielzahl möglicher Ansprüche, meist von Verbrauchern gegen Unternehmen, abtreten und klagen diese Forderungen dann gebündelt ein. Dabei trifft die Zedenten kein Prozess- und Anwaltskostenrisiko wie es bei einer herkömmlichen gerichtlichen Verfolgung ihrer Ansprüche der Fall wäre. Denn üblicherweise verlangen Legal Tech Rechtsdienstleister eine lediglich im Erfolgsfall geschuldete Provision. Darüber hinaus profitieren die Kunden von Legal Techs insofern, als dass die Bündelung ihrer Forde­rungen mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Ansprüche ande­rer Zedenten eine deutlich stärkere Verhandlungsmacht gegen den Anspruchsgegner – etwa bei Vergleichsverhandlungen – schafft als dies bei Einzelklagen der Fall wäre.

Ihr Geschäfts­modell stützen die Legal Techs in der Regel auf eine Registrie­rung als Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG. Diese Registrierung erlaubt ihnen aufgrund besonderer Sach­kunde Rechtsdienstleistungen im Bereich Inkasso zu erbrin­gen. Unter Inkassodienstleistung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG die „Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forde­rungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, ein­ schließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung“ zu verstehen.

I.  Legalität des Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso?

Seit Jahren wird vor deutschen Gerichten in unzähligen Ver­fahren[1] darüber gestritten, ob einzelne Geschäftsmodelle von Legal Tech Rechtsdienstleistern RDG-konform sind oder ob die Vereinbarungen (inklusive der Abtretungen) zwischen Rechtsdienstleistern und ihren Kunden nach § 134 BGB auf­grund Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (unerlaubte Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen) nich­tig sind.

Zweiteres hat die feh­lende Aktivlegitimation des klagenden Legal Tech Rechts­dienstleisters zur Folge und kann in bestimmten Fällen zum Verlust der Forderung von Kunden wegen Verjährung führen. Im Wesentlichen geht es immer um zwei Hauptfragen:

Ers­tens: Sind die Tätigkeiten eines Rechtsdienstleisters (noch) von der Inkassoerlaubnis gedeckt, bzw. bei welchen Tätigkei­ten wird sie überschritten? Streit entbrannte dabei vor allem beim Thema ob Rechtsdienstleister umfangreiche Prüfungs- und Beratungsleistungen und/oder Hilfstätigkeiten, wie etwa die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen oder die Aus­übung von Gestaltungsrechten, um Ansprüche erst aktiv ent­stehen zu lassen, erbringen dürfen.

Zweitens: Führen verschie­dene Leistungspflichten, zu denen sich ein Rechtsdienstleister im Rahmen seines Geschäftsmodells gegenüber seinen Kun­den und ggf. Dritten verpflichtet, zu einer unzulässigen Interessenskollision im Sinne des § 4 RDG?

Dies kann dann der Fall sein, wenn die geschuldete Rechts- bzw. Inkassodienstleistung einen unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungsverpflichtung haben kann und hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Das vermeintliche Vorliegen einer solchen, unzulässigen Interessenskollision wird häufig dann ins Feld geführt, wenn Rechtsdienstleister mit einem prozessfinanzie­renden Dritten zusammenarbeiten.

II. Status Quo

Mittlerweile wurde das Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso durch mehrere BGH-Entscheidungen und nicht zuletzt auch durch das „Legal Tech Gesetz“ (Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ vom 10.8.2021) gestärkt und zahlreiche seiner Aspekte in ihrer grundsätzlichen Legalität bestätigt. Nichtsdestotrotz ist noch lange nicht alles geklärt und es bestehen weiterhin Unsicher­heiten fort. Festhalten lässt sich bisher wohl:

  • Registrierten Inkassodienstleistern ist eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und eine substanzielle recht­liche Beratung des Kunden über den Forderungsbestand gestattet. Das hat der BGH bereits 2019 in seiner „LexFox“ Rechtsprechung klargestellt.[2] Mit Inkrafttreten des Legal Tech Gesetzes fand dies sodann auch Eingang in § 2 2 Satz 1 RDG, welcher um den Zusatz „Inkassodienstleistung ist […], einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtli­chen Prüfung und Beratung.“ ergänzt wurde.
  • Auch die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen und die Ausübung von Gestaltungsrechten, um Ansprüche erst aktiv entstehen zu lassen hat der BGH in „LexFox“ als von der Inkassoerlaubnis gedeckt bestätigt.[3] Im konkreten Fall ging es um das Versenden einer Rüge nach § 556g Abs. 2 BGB an den Vermieter der Zedenten, welche Entstehungs­voraussetzung für einen Rückzahlungsanspruch nach der Mietpreisbremse ist.
  • Der Inkassobegriff schließt Geschäftsmodelle ein, die aus­ schließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einzie­hung von Forderungen im Wege des sogenannten „Sam­melklage-Inkasso“ abzielen.[4] Hiermit beschäftigte sich der BGH ausführlich in der sog. „Airdeal“ Entscheidung. Der Begriff der „außergerichtlichen Rechtsdienstleistung“ sei dabei adressatenbezogen in dem Sinn zu verstehen, dass lediglich an das Gericht adressierte Handlungen nicht erfasst werden.[5] Alle übrigen Rechtsdienstleistungen sind auch dann als außergerichtlich einzuordnen, wenn sie inhaltlich allein auf eine gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs ausgerichtet sind und nur in diesem Zusam­menhang sinnvoll erscheinen, wie etwa der Entwurf einer Klageschrift.[6] Einem registrierten Inkassodienstleister ist die gerichtliche Geltendmachung einer abgetretenen For­derung erlaubt, sofern er hierzu einen Rechtsanwalt beauf­tragt.[7] Für die Zulässigkeit solcher „Sammelklagen“ spielt die Anzahl der abgetretenen Forderungen keine Rolle.[8]
  • Allein die vertragliche Zusammenarbeit eines Rechtsdienstleisters mit einem prozessfinanzierenden Dritten begründet regelmäßig noch kein Gefährdungsmoment oder gar eine unzulässige Interessenskollision im Sinne des § 4 RDG hinsichtlich der ordnungsgemäßen Erbringung einer Rechtsdienstleistung zu der er sich verpflichtet hat. Von § 4 RDG und damit mittelbar von der Nichtigkeits­folge des § 134 BGB werden Fälle nicht erfasst, bei denen sich der Einfluss von Dritten auf die bloß passive Bereitstel­lung finanzieller Mittel beschränkt und der Dritte auf­grund von Berichtspflichten lediglich über die aktuelle Lage informiert wird, sonst aber keine Entscheidungsbe­fugnis hat.[9] Es mag in der Praxis jedoch auch Vertragsge­staltungen zwischen Rechtsdienstleistern und Prozessfinan­zierern geben, bei denen der Prozessfinanzierer weiterge­hende Rechte und Einflussmöglichkeiten hat. Wann dies im Einzelfall dann noch mit § 4 RDG vereinbar ist oder ob die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung konkret gefährdet ist, lässt sich nicht pauschal beantwor­ten.
  • Die Inkassoerlaubnis umfasst auch den Einzug von Forde­rungen, die ausländischem Sachrecht unterfallen.[10] Das hat der BGH aktuell anhand eines Falls, bei dem es um die Durchsetzung von gegebenenfalls nach schweizerischem Recht zu beurteilenden Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal ging, entschieden.[11] Einige Instanzgerichte, z. B. die Vorinstanzen LG Braunschweig und OLG Braunschweig oder auch das LG Stuttgart urteilten dazu vor kurzem noch gegenteilig.[12] Laut jüngster BGH Rechtsprechung jedoch sei eine nach weitere Registrierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG berechtigt, auch ausländischem Recht unterfallende Forde­rungen einzuziehen. Dies gelte nicht nur für den Fall, dass es sich um eine schon titulierte oder jedenfalls unbestrittene Forderung handelt und eine materiellrechtliche Prüfung der Forderung deswegen unterbleibt, sondern auch für den Fall, dass die Prüfung der Forderungen ausländischen Rechts erfolgt und vom Inkassodienstleister seinen Vertragspartnern gegenüber auch geschuldet ist.[13]

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Artikelreihe, welche weiteren Schritte für echte Rechtssicherheit beim Legal Tech (Sammelklage-)Inkasso noch notwendig sind. Alternativ finden Sie den vollständigen Beitrag in der LTZ (Ausgabe 4/22) 👇

Hinweis | Der Beitrag wurde erstveröffentlicht im Nomos Verlag in der Zeitschrift
LegalTech: Zeitschrift für die digitale Rechtsanwendung.

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Der Autor Quarch, ist Co-Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer Right-Now Group und Mitherausgeber der LTZ; der Autor Neumann war bis September 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der RightNow-Group und ist jetzt als Masterand bei der Kanzlei Gleiss & Lutz tätig.

Bild: DALL·E
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