Legal Tech kleine Kanzleien

Legal Tech – nur für die Großen?

Eine Orientierungshilfe für die Kosten-Nutzen-Bewertung in kleinen Kanzleien

Von Jasmin Isphording

Seit einigen Jahren ist Legal Tech in aller Munde. Mit diesem Artikel sollen vor allem Einzelanwält:innen und Inhaber:innen kleiner Kanzleien verstehen, wie sie mit dieser Entwicklung umzugehen haben. Im Vordergrund des Beitrags stehen die Überlegungen, die Sie anstellen sollten, um zu erkennen, wie Legal Tech-Angebote und damit verbundene Ausgaben für die eigene Kanzlei bewertet werden.

1. Was ist Legal Tech?

Wegen der stetigen technischen Fortschritte fällt eine eindeutige Definition des Begriffs Legal Tech schwer. Im Kern geht es darum, juristische Tätigkeiten mit Hilfe von IT durchzuführen und gegenüber der bisherigen Arbeitsweise so Vorteile zu erzielen. Die Entwicklung kann in drei Stufen erklärt werden. Dabei bietet jede Stufe Chancen.

Stufe 1: Digitalisierung

Vor allem schnellere Datenverbindungen, günstigere Kosten für Speicherplatz und schnellere Computer, bessere Bildauflösungen sowie die Einführung des beA und die vergangene Pandemie sind Gründe dafür, dass die Digitalisierung in der Anwaltschaft in den letzten Jahren einen Sprung nach vorne gemacht hat. Die Digitalisierung ist dabei nicht neu. Schon viele Jahre lang können auch Einzelkanzleien ihre Akten digital und fast komplett papierlos bearbeiten oder Online-Datenbanken nutzen. Neu ist, dass die Schnittstelle zur Justiz jetzt ebenfalls digital ist. Neu ist ebenfalls, dass Gerichtsverhandlungen und Fortbildungen nun auch vermehrt online stattfinden.

Die Akzeptanz und Nutzung dieser neuen Möglichkeiten unterscheidet sich von Einzelkanzlei zu Einzelkanzlei. Manche tun sich schwer mit dem Sprung ins rein digitale Arbeiten. Andere arbeiten zwar digital, nutzen jedoch nur einen Bruchteil der Funktionen, die beispielsweise eine bereits eingesetzte Kanzleisoftware oder andere Programme bieten.

Besonders die Bereitschaft zur Standardisierung schafft Vorteile – vor allem, wenn Rechtsanwaltsfachangestellte beschäftigt werden. Ein Beispiel könnte die Verwendung von Standardschreiben oder Vorlagen sein. Diese werden einmalig für die jeweilige Situation entwickelt, abgespeichert und können schnell in der Software ausgewählt werden. Gepaart mit Klarheit über die Art und Weise sowie die Reihenfolge, wie manche Dinge bearbeitet werden, schafft die Offenheit für Standardisierung und die konsequente Umsetzung schnell relevante Vorteile.

Stufe 2: Automatisierung

Von der Standardisierung zur Automatisierung ist es nicht weit. Die Grundlage dafür ist Klarheit über die Abläufe und Logik. Bei der Automatisierung löst eine Aktion direkt eine nächste aus. Beispiele aus der Praxis:

  • Automatischer Versand einer Mahnung, wenn kein Zahlungseingang verbucht ist
  • Generierung von Dokumenten und Versand einer Nachricht, nachdem der Mandant oder die Mandantin ein Formular ausgefüllt hat
  • Auslösen einer Aktivität, sobald ein bestimmtes Ereignis erfolgt oder ein Zeitpunkt erreicht ist
  • Automatischer Abgleich von Daten und Verwendung des jeweiligen Ergebnisses für die nächsten Schritte
  • Auslesen von Informationen und ihre Weiterverarbeitung Manche Kanzleisoftware kann dies bereits seit Jahren. Manchmal wird es durch neue Anbieter angeboten oder eigens programmiert
  • auch als Schnittstelle.

Solche Automatisierungsansätze werden oft als Legal Tech bezeichnet und sind die Grundlage für Legal Tech Unternehmen wie Flightright oder hartz4widerspruch.de. Standardisierung und Automatisierung eröffnen vor allem für kleinere Kanzleien viele Vorteile und müssen nicht teuer sein.

Stufe 3: Künstliche Intelligenz

Ebenfalls interessant ist es, wenn Muster nicht direkt erkennbar sind. In diesen Fällen helfen Programme, die solche Muster erkennen können oder „selbstständig denken“. Auch wenn es manche Funktionen schon seit mehreren Jahren gibt, laufen weitere Entwicklungen für eine neue Form der intelligenten Unterstützung auf vollen Touren. Treibende Kräfte sind dabei vor allem Großkanzleien und Rechtsabteilungen. Beispiele:

  • Textanalyse eines langen Schriftsatzes nach zeitlichem Ablauf, Fundstellen, Beteiligte etc.
  • Analyse von vielen Schriftsätzen oder Urteilen nach Mustern und anderen Erkenntnissen
  • Beantwortung von Rechtsfragen oder „intelligente Suche“
  • Selbstständige Erstellung von Texten, z. B. mit ChatGPT
  • Chatbots in der Mandatsanbahnung oder Kommunikation.

Weitere nennenswerte Entwicklungen sind die Blockchain und generell die Bemühungen rund um das Thema „Smart Contracts“.

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„Legal Tech für kleine Kanzleien“

2. Legal Tech für kleine Kanzleien als Chance oder Risiko?

Genauso wie die Entwicklungen und Trends in anderen Bereichen, können alle Fortschritte von Legal Tech eine Chance oder ein Risiko für das bisherige Arbeiten und die bisherige Geschäftsgrundlage sein. Dies gilt auch für Einzelanwält:innen und kleine Kanzleien.

Wettbewerb

Vor allem die Möglichkeiten einer schnellen und massenhaften Abwicklung von Mandanten und Mandantinnen führte bereits zum Markteintritt neuer Wettbewerber. Sind eine gute Skalierbarkeit und professionelles Online-Marketing vorhanden, werden schnell Mandate gewonnen. Bietet das Gebührenrecht zusätzlich die Möglichkeit, dass die Leistung für den Mandanten oder die Mandantin am Ende kostenlos sein darf, kann dies Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung der kleineren Kanzleien haben.

Ob sich die Investitionen in solche Geschäftsmodell lohnen, zeigt sich jedoch immer erst Jahre später.

Neue Möglichkeiten

Mit den Entwicklungen im Bereich Legal Tech kommen vor allem neue Wege. Diese können für neue oder veränderte Geschäftsmodelle genutzt werden oder als Unterstützung im Kanzleialltag gesehen werden – auch für kleinere Kanzleien. Wie sehr dabei auch Einzelkanzleien und kleinere Kanzleien von Legal Tech profitieren können, hängt vor allem vom bisherigen Kanzleiprofil und Offenheit für solche Lösungen ab.

3. Nutzen und Vorteile

Die Digitalisierung soll sich nicht nur durch die Einsparung von Reisezeit und Reisekosten rechnen. Mit der Auswahl, Inbetriebnahme und Nutzung von Angeboten entstehen Kosten. Das sind vor allem Zeit und Geld. Wie bei anderen Investitionen gilt es zu prüfen, ob sich diese lohnt. Dass ein Nutzen nicht immer monetär sein muss, wird klar, wenn Einzelanwält:innen und kleine Kanzleien den Blickwinkel noch etwas erweitern. Statt „nur“ auf die eigentliche juristische Arbeit zu gucken, kann überlegt werden, ob Ausgaben in Legal Tech oder in andere IT-Lösungen (Hardware, Softwarelösungen) nicht auch in Bezug auf die Mandantenakquise, die Buchhaltung, die Kontaktaufnahme oder andere administrative Tätigkeiten sinnvoll sind.

Vor allem bei Einzelanwält:innen und kleineren Kanzleien geht es im Kern um schneller, mehr, besser oder leichter:

  • Schnellere Mandatsbearbeitung (weniger Zeitaufwand für einzelne Tätigkeiten)
  • Kürzere Mandatslaufzeit
  • Reduktion der Fehlerwahrscheinlichkeit
  • Besserer Schlaf, z. B. durch besseres Fristenmanagement
  • Weniger Störungen und so mehr konzentriertes Arbeiten
  • Mehr Zeit für die Mandatsbearbeitung
  • Mentale Entlastung, weil weniger „gedacht“ oder entschieden werden muss
  • Erfüllt Mandantenerwartungen
  • Bei weniger Frustration wird die Arbeit schneller und leichter erledigt
  • Hilft bei der Akquise neuer Mandate und Umsatzsteigerung
  • Kompensiert den Personalmangel
  • Eröffnet eigene neue Einkommensströme
  • Weniger verlorene Zeit, z. B. Gespräche mit ungeeigneten Mandaten

Idealerweise rechnet sich die Ausgabe am Ende finanziell durch Umsatzsteigerungen oder Einsparungen. Ebenfalls können die Ausgaben gerechtfertigt sein, um sich unabhängiger zu machen, sich in der Zukunft einen neuen Markt aufzubauen oder sich selbst mehr Freizeit, Freude und besseren Schlaf zu gönnen.

4. Typische Kosten

Die typischen Kosten in Verbindung mit dem Einsatz von Legal Tech hängen von der Vision ab.

Anbieter von Legal Tech-Lösungen haben hohe Investitionskosten. Bis sich die Ausgaben für sie rechnen dauert es oft viele Jahre. Diese werden auf die Kundin oder den Kunden meistens als monatliche Kosten umgelegt.

Wer als Kunde eine cloudbasierte Lösung buchen möchte, die auch andere Kanzleien nutzen können, zahlt daher oft nur monatliche Raten.

Wer sein Geschäftsmodell umändern oder eine komplexere Lösung integrieren möchte, zahlt mehr. Ein neues Legal Tech-Unternehmen benötigt sehr viel mehr Kapital für die Technik, das Personal, das Marketing etc. und sollte als echtes Start-up geplant werden.

Auch in kleineren Kanzleien können die Kosten folgenden Umfang annehmen:

  • Startkosten (Zeit und Geld) für Installation oder individuelle Anpassungen am Programm, Schulungen, Kosten für die Integration in die bestehende IT-Landschaft oder Anschaffung neuer Geräte,
  • einmalige oder monatliche Kosten für die Nutzung der Lösung, z. B. Softwarelizenz,
  • ggf. Extrakosten für Support oder Updates.
  • Zeit für die Einarbeitung und wiederkehrende Justierungen und
  • immer wieder Schulungen, um den Nutzen zu maximieren.

Bei einem Vergleich sollte auch geklärt werden, ob es nach Arbeitsplätzen, gleichzeitigen Nutzer:innen, angelegten oder aktiven Akten oder der Anzahl von Anfragen oder ähnlichem geht und ob Speicherplatz oder andere Extras Geld kosten.

Soll eine Kanzleisoftware durch eine andere abgelöst werden, entstehen zusätzlich Kosten für die Datenmigration sowie für die entsprechenden Schritte im Vorfeld und im Nachgang.

Sollten individuelle Lösungen programmiert werden, sind Entwickler:innen zu zahlen und zu steuern.

In jedem Fall sollte ausreichend Zeit und Vorlauf eingeplant werden, um solche Zusatzprojekte im normalen Kanzleialltag erfolgreich zu meistern. Kanzleiberater:innen helfen bei Analyse, Planung, Umsetzung und Implementierung der jeweils angestrebten Digitalstrategie.

5. Auswahl und Entscheidung

Am Ende sollte immer ein Nutzen stehen. Dafür wird eine bisher nicht genutzte Chance genutzt oder ein Problem gelöst. Ob die mögliche Lösung durch die Kanzlei selbst gesucht wurde oder erst durch den Legal-Tech Anbieter präsentiert wurde, ist unerheblich.

Proaktiv oder reaktiv

Generell lohnt es sich, die bisherige Arbeitsweise immer mal wieder unter die Lupe zu nehmen. Beispielsweise mit folgenden Fragen:

  • Was nervt oder stört?
  • Wo wird Zeit verschenkt?
  • Was dauert zu lange?
  • Was könnten andere machen?
  • Wo haben wir ein Problem?
  • Was ist zu teuer?
  • Wofür fehlt ständig die Zeit?
  • Wo passieren oft Fehler?

Finden sich solche Punkte, können die Ursachen bestimmt werden. Lösungen sind oft durch Schulungen, andere Arbeitsabläufe, dem Einsatz bisher ungenutzter Funktionen von bestehenden Softwarelösungen oder der Entscheidung für eine Auswahl neuer Dienstleistungen möglich. Manchmal bietet es sich an, aktiv Geschäftspartner:innen nach einer Lösung zu fragen oder konkret, z. B. gezielt im Bereich Legal Tech, zu recherchieren.

Für die proaktive Suche fehlt oft die Zeit. Häufiger kommt es vor, dass Kanzleien von entsprechenden Legal Tech-Anbietern kontaktiert werden.

Die folgenden fünf Tipps helfen, damit die Angebote richtig bewertet werden können und nicht das Gefühl aufkommt, etwas zu verpassen.

6. Fünf Tipps für die richtige Entscheidung

1. Welchen Nutzen bietet das Angebot?

Klären Sie bei jedem Angebot, ob es Ihnen einen finanziellen, zeitlichen oder anderen Vorteil bringt – auch eine Kombination ist möglich.

2. Gibt es einen anderen Weg?

Manchmal können bereits eingesetzte Software- Programme ähnliches. Prüfen sie dies und fragen sie bei den Anbietern nach. Gibt es noch andere Legal Tech-Anbieter mit einer ähnlichen Lösung? Dann kontaktieren und vergleichen Sie diese.

3. Integration und Schnittstelle?

Überlegung, wie die Lösung in bisherige Abläufe und Systeme eingebunden wird und ob sie akzeptiert wird. Wird eine direkte Anbindung möglich oder lohnt es sich auch über einen Umweg, z. B. einer Zwischenspeicherung in einem Ordner? Welche weiteren Ausgaben, Schulungen und Anpassungen fallen mit der Einführung ein? Wie ist die Unterstützung seitens des Anbieters – auch später? Welche Vorarbeit und sonstigen Aufwand muss man einplanen, damit alles läuft? Notieren Sie sich den jeweils anfallenden finanziellen und zeitlichen Aufwand – auch für die Liquiditätsplanung.

4. Wann rechnet sich die Ausgabe?

Mit welchen Annahmen arbeiten Sie bei der Einschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses? Wie ist die Vertragslaufzeit? Werden Sie durch diese Ausgabe mindestens ein Mandat pro Monat zusätzlich abrechnen können, lohnt sich die Entscheidung besonders bei cloudbasierten Lösungen häufig bereits.

5. Erwartungen und Planung

Klären Sie für sich die Erwartungen an die Ausgabe und kommunizieren sie diese intern. Bestimmen Sie im Vorfeld und nach der Kaufentscheidung wie, wann und durch wen die Lösung genutzt wird und welche Änderungen in den Abläufen damit verbunden sind. Sichern Sie die Akzeptanz. Treffen Sie eine Entscheidung und seien Sie trotz Alltagsstress konsequent bei der Einführung und Nutzung.

7. Aussicht: Chancen nutzen

Idealerweise werden Akten nicht mehr wie bisher bearbeitet, sondern die Arbeitsweise wird auf die Vorzüge digitaler Lösungen angepasst. Welche Ausgaben sich lohnen und wie „intelligent“ diese sein müssen, hängt am Ende auch von der Offenheit der Nutzer für diese neuen Wege ab. Einzelanwält:innen und kleine Kanzleien haben insgesamt den Vorteil, dass schneller entschieden werden kann, aber auch den Nachteil, dass mit einer neuen Lösung viel Aufwand verbunden ist. Dennoch lohnt sich die Offenheit vor allem für Einzelanwält:innen und kleine Kanzleien. Genau Sie profitieren von den Möglichkeiten, weil genau Sie regelmäßig viele verschiedene Tätigkeiten übernehmen, um einen funktionierenden und rentablen Kanzleibetrieb zu sichern – auch in der nicht-juristischen Arbeit.

Aus der langjährigen Erfahrung als Kanzleiberaterin empfehle ich stets die Kanzleiabläufe zu optimieren und dafür vorhandene Lösungen noch besser zu nutzen sowie sich gleichzeitig mehr für die neuen Angebote zu öffnen. „Zeit ist Geld“ – und wer sich neben dem anspruchsvollen Beruf mehr Privatleben wünscht, erkennt in den meisten Legal Tech-Lösungen die langersehnte Chance und nicht die Gefahr.

Bild: Adobe Stock/©sulit.photos
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Dipl. Kauffrau Jasmin Isphording ist Referentin und seit über 15 Jahren Inhaberin der Kanzleiberatung Jasis Consulting. Mit einem betriebswirtschaftlichen Blick unterstützt sie kleine bis mittelgroße Anwaltskanzleien dabei, die hohen Erwartungen zu erfüllen, den Umsatz zu steigern, die Freude an der Arbeit zurückzubringen und gleichzeitig den Gewinn zu steigern.

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