Mehr Praxisbezug auf der Berlin Legal Tech 2019

Von Markus Weins

Die neuen Workshops bezogen die Teilnehmer stärker mit ein

Eine Neuerung der diesjährigen Berlin Legal Tech stellten die acht Workshops dar. Sie fanden zu den Themenbereichen „Corporate Finance auf der Blockchain“ und „Automatisierung für Kanzleien, Unternehmen & Verwaltung“ statt. In diesem Artikel berichten wir über die vier Workshops zum Thema Automatisierung und die dort angesprochenen häufig auftretenden Probleme bei der Implementierung von neuen Tools. Gastgeber Prof. Dr. Stephan Breidenbach führte als Moderator durch die Workshops.

Workshop 1: Do-It-Yourself-Automatisierung für Unternehmen leicht gemacht

Im Mittelpunkt des ersten Workshops stand ein Tool, das den rund 70 Teilnehmern eine einfache Bedienung ohne Programmierkenntnisse versprach. Geleitet wurde der Workshop von Steffen Huß (Lead Data Scientist bei BRYTER), der kurzfristig für den angekündigten Referenten Michael Grupp einsprang. Wohltuend rasch stieg Huß aus der Firmenpräsentation aus und tauchte mit den Teilnehmern direkt in die Nutzeroberfläche BRYTERs ein. Hier konnten sich die Teilnehmer am Beispiel eines live erstellten Flugverspätungstools davon überzeugen, wie einfach und schnell man einen Entscheidungsbaum baut, der je nach Eingabe das gewünschte Ergebnis zeigte. Das Beispiel war für die anwesenden Juristinnen und Juristen vielleicht nicht ideal gewählt, verdeutlichte aber anschaulich die Einfachheit der Anwendung. Und mit ein wenig Fantasie konnte man sich vorstellen, wie ein etwaiger Einsatz in einer Kanzlei oder einem Unternehmen, zum Beispiel als Vertragsgenerator, erfolgen kann. Weitere Pluspunkte des BRYTER-Tools: Ausgabe der Ergebnisse in Word, Rechenfunktionen, Anbindung an interne und externe Datenbanken.

Aus dem Publikum kam die Frage, wie lange es dauere, sich mit dem Tool so vertraut zu machen, dass man mit der Erstellung eines Dokumentenautomaten beginnen könne. „Eine Stunde“, die Antwort. Das Tool wird zurzeit vor allem in mittelgroßen und großen Kanzleien eingesetzt, da sich die Jahresnutzungsgebühr ab 10.000 € aufwärts bewegt. Interessant ist auch, dass BRYTER das Tool studentischen Legal Tech-Labs kostenfrei zur Verfügung stellt. Mehr unter bryter.io.

Workshop 2: Cap Table Management und weitere Automatisierungslösungen für Unternehmen

Yoko Spirig (Co-Founder and CPO at Ledgy)  stellte im zweiten Workshop das Startup „Ledgy“ vor, welches  Cap Table (kurz für „Capitalization Table“: Eine tabellarische Aufstellung über die Besitzverhältnisse im Unternehmen) und andere Automatisierungslösungen anbietet. Jeder, der mit umfangreichen Excel-Tabellen arbeitet, kennt das Problem: Die Tabellen sind sehr fehleranfällig, intransparent und umständlich. Zudem haben Startup-Gründer oft wenig Erfahrung mit Finanzen, was zu hohen Kosten führt, wenn sie bei jeder Finanzierungsrunde eine professionelle Unterstützung hinzuziehen müssen.

Im Workshop zeigte Yoko Spirig anhand eines konkreten Beispiels sehr anschaulich, wie man einen sogenannten Stock Option Pool für Mitarbeiterbeteiligung in Excel rechnen würde und wie einfach und transparent  Ledgy den Prozess automatisieren kann. Für vertiefende inhaltliche Details empfehlen wir den Besuch des Blogposts.

Workshop 3: Entscheidungsautomatisierung für Unternehmen und Verwaltung

Prof. Stephan Breidenbach (Legal Tech Center) fragte gleich zu Beginn seines Workshops: „Was wollt ihr automatisieren und warum macht ihr es nicht?“. Die Antworten waren breit gefächert und reichten von der automatisierten Einarbeitung von Gesetzesänderungen bis hin zu der automatisierten Verarbeitung von immer wiederkehrenden gleichlautenden Änderungswünschen in Verträgen. Als Gründe für die Zurückhaltung bezüglich der Automatisierung wurden in erster Linie fehlende Ressourcen, knappe Etats und das Misstrauen gegenüber neuen Technologien angeführt.

Breidenbach empfahl zu Beginn einer etwaigen Automatisierung die Chance zu nutzen, das bisherige Vorgehen bzw. Verhalten zu überprüfen und sinnvollerweise Änderungen vorzunehmen.

Der Hausherr stellte ergänzend die heutigen Möglichkeiten dar, in wenigen Manntagen selbst komplizierteste Anforderungen erfüllen zu können. So habe beispielsweise sein Team, bestehend aus einem Wissensarchitekten und drei Experten, in drei Tagen ein Tool gebaut, das 1.400 individuelle Klageschriften formuliere. Je nach Umfang der Anforderungen könnten bei kleineren Projekten Tools wie BRYTER helfen, bei größeren, umfangreicheren und komplizierteren Anforderungen sei es sinnvoll, fachmännische Unterstützung anzufordern. Zum Ende seines Vortrags plädierte Professor Breidenbach dafür, die heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung als Chance zu begreifen, etwas Sinnvolles zu gestalten und nicht nur Arbeitsplätze platt zu machen.

Workshop 4: Zukunftsfähiges Vertragsmanagement für die Rechtsabteilung

Gemeinsam mit dem Referenten Dr. Alexander Steinbrecher (Bombardier Transportations) ermittelten und kategorisieren die Teilnehmer Aspekte, die sie bei der Erstellung von Verträgen störten. Beispiel hierfür war, dass vorhandene Technik, wie zum Beispiel E-Mail-Verteiler, nicht optimal genutzt würden. Oder, dass zu viele Versionen der Verträge erstellt und angepasst würden, und es schwer sei, den Überblick zu behalten. Aber auch, dass es keine durchgehende Struktur bei der Erstellung von Verträgen gäbe. Für eine angestrebte Digitalisierung fehle der Überblick über die am Markt befindlichen Tools. Zudem sei es nicht möglich, eine eingegrenzte Auswahl an Tools im laufenden Betrieb zu testen. Daraus ergebe das sich das Problem, dass man sich auf irgendein Angebot festlege, ohne zu wissen, ob dies das optimale Tool sei, und man Gefahr laufe, bei einem eventuell unzureichenden Tool hängen zu bleiben. Und weil das ausgewählte Tool dann nicht optimal zu den Anforderungen passe, würde es auch nicht genutzt werden. Zudem sei es nicht ausreichend, wenn die Rechtsabteilung eine neue Vertragssoftware einsetze, die anderen Abteilungen damit aber nicht umgehen könnten oder wollten.

Als wichtigstes Problem bei der Digitalisierung wurde der Mensch identifiziert. Um erfolgreich ein Vertragstool einzusetzen, müsse man sich zwingend intern auf die Form der Umsetzung einigen und die Geschäftsführung müsse dafür sorgen, dass das Tool genutzt wird. Dr. Steinbrecher mahnte darüber hinaus an, dass neuinstallierte Software zwingend zu vorhandenen Systemen passen müsse.

Die Gruppe formulierte im Anschluss sechs goldene Regeln zur Integration eines Vertragsgenerators:

  1. Vor der Auswahl eines neuen Tools müssen die internen Prozesse geprüft und angepasst werden
  2. Der Markt der Vertragsgeneratoren muss vor der Auswahl gut analysiert werden
  3. Das Tool muss (fast) optimal zu den Anforderungen passen
  4. Die Anwender müssen gut geschult werden und auf dem Stand bleiben
  5. Die neue Software muss kompatibel mit internen System sein
  6. Die neue Software muss aktuell sein und aktuell bleiben

Dr. Steinbrecher empfahl zum Ende des Workshops für die zukünftige Arbeit mit Verträgen, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, auf der der Vertrag in einer einzigen Version von allen gleichzeitig bearbeitet werden könne, sodass das Problem mit den vielen unterschiedlichen Versionen nicht mehr entstehe. Er plädierte zudem dafür, auf das Formulieren von Maximalforderungen zukünftig zu verzichten. Wenn sich über diesen Punkt beide Seiten einig seien, könne man viel Zeit sparen. Er empfahl zudem, bei der Vertragsformulierung eine einfache Sprache zu wählen, die auch Nicht-Juristen verstehen („Schluss mit der Geheimsprache der Anwälte!“).

Fazit: Der Versuch, mehr praxisnähe in den Kongress zu bringen, ist in Ansätzen gelungen und sicher eine kluge Ergänzung der Konferenz. Teilweise war der Redeanteil der Referenten noch etwas zu hoch und der vertriebliche Ansatz der Firmenvertreter zu groß. Dennoch werden viele Teilnehmer mit praktischen Tipps und umsetzbaren Ideen zurück in ihre Kanzleien und Unternehmen gegangenen sein.

legal-tech.de war als Medienpartner dabei und hat spannende Eindrücke der Workshops gesammelt:

Unser Bericht zum Hackathon der Berlin Legal Tech 2019:

„Be excellent to each other!“ – Berlin Legal Tech Hackathon 2019

Unser Bericht zur Konferenz der Berlin Legal Tech 2019:

Konferenz der Berlin Legal Tech 2019 – Legal Tech in seiner ganzen Bandbreite

Weitere Beiträge

Markus Weins ist Geschäftsführer des FFI-Verlags, das Unternehmen hinter legal-tech.de. Von 2008 bis 2014 leitete Markus Weins den Bereich Marketing und Vertrieb des Deutschen Anwaltverlags. 2015 gründete er den FFI-Verlag mit Sitz in Hürth bei Köln.
freie-fachinformationen.de ffi-verlag.de.

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