Schweitzer Zukunftsforum 2019

2. Schweitzer Zukunftsforum: Legal Tech für Mittelstandskanzleien erlebbar machen

Von Markus Weins

Das 2. Schweitzer Zukunftsforum verdoppelt die Zahl der Teilnehmer*Innen auf 180 gegenüber dem Vorjahr und lässt einen digitalen Aufwärtstrend für Rechtsanwaltskanzleien (be)greifbar werden.

Am 21. Mai 2019 fand in Hamburg das 2. Schweitzer Zukunftsforum statt – verbunden mit dem Anspruch, die „Digitalisierung in der juristischen Praxis\" speziell für den Kanzlei-Mittelstand zu erleichtern. Zwölf Fachreferenten  und Firmenvertreter beleuchteten die neuesten Entwicklungen der Legal Tech-Branche in Theorie und Praxis. Eine Mischung, die laut anschließender Umfrage neun von zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer als sehr gelungen bewerteten.

Schweitzer verstärkt positiven Aufwärtstrend in Sachen Legal Tech

Es war den freudigen Gesichtern der Forums-Initiatoren Barbara Mahlke und Philipp Neie anzusehen, dass sie mit dem großen Interesse an der Veranstaltung sehr glücklich waren. „Auch das kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass das Thema „Legal Tech“ auf wachsendes Interesse unter kleinen und mittelgroßen Anwaltskanzleien stößt. Schön, dass wir dazu beitragen können“, so Geschäftsführer Neie.

Das Programm wurde von Barbara Mahlke in Kooperation mit Patrick Prior (legal-tech-verzeichnis.de/Advotisement) entwickelt. Es stellte sich als eine gelungene Mischung aus einem Theorieteil mit hochkarätigen Referenten wie Florian Glatz und praxiserprobten Tool-Präsentationen, die durch Firmenvertreter sachlich vorgestellt wurden, heraus. Sehr souverän und unterhaltsam begleitete dabei Moderator Jorg Foitzik von Uniconcepts die Teilnehmer und Referenten durch den Tag.

Mut zur Innovation statt Angst vor Verdrängung!

In der Einführung widmete sich Patrick Prior von Advotisement der Frage: „Wo steht Legal Tech heute?“. Dabei unterschied er einerseits zwischen Legal Tech für Rechtsanwälte (z.B. Programme zur automatisierten Dokumentenanalyse und -erstellung) und andererseits zwischen Legal Tech für Verbraucher (wie Plattformen zur Geltendmachung von Fluggast-, Mieter- oder Arbeitnehmerrechten). Den Fokus legte er dabei auf die Chancen, die Anwaltskanzleien heute bereits zur Erleichterung der Anwaltsarbeit ergreifen können.

Ein Aufzug für das Recht und die Zerschlagung von Dokumenten

Dann wurde es praktisch: Dr. Stefan Brunnenberg präsentierte „sein“ Tool „Lawlift“, das durch automatisierte  Dokumentenerstellung den Alltag der Anwaltschaft erleichtern soll – immerhin bestehe rund 40 Prozent der anwaltlichen Arbeit aus händischer, wenn auch musterbasierter Dokumentenerstellung. „Mit Lawlift haben wir ein in Deutschland programmiertes und auf hiesige Bedürfnisse zugeschnittenes Tool, das bereits in vielen Kanzleien eigesetzt wird und nachweislich funktioniert“, so Patrick Prior über den Anbieter.

Auch Simon Ahammers Produkt „SMASHDOCs“, ein webbasierter Texteditor, legt den Finger in die Wunde ineffizienter Kanzleiarbeit. Sehr anschaulich und durch vielfaches Kopfnicken im Publikum bestätigt, beschrieb er das tägliche Dilemma in Kanzleien und die Frustration von Anwälten, wenn mehr als zwei Personen an einem Worddokument arbeiten und das Versions-Chaos seinen Lauf nehmend die Arbeit immer schwieriger macht (Typische Dateibezeichnung wie wir sie alle kennen: Vertrag_Musterkanzlei_24052019_final_final2mw_ ganzfinal3st.doc). Er versprach den Anwesenden, dass sein Tool einer Vielzahl an beteiligten Personen das parallele Bearbeiten eines Dokuments ermöglicht, ohne zu einem Chaos an sich überschneidenden, widersprüchlichen und inkompatiblen Versionen zu führen. „Das wäre ja zu schön“, so eine Reaktion aus dem Saal.

DATEV und Wolters Kluwer Deutschland mit Angeboten von heute und morgen

Das dritte Tool, die „Juristische Textanalyse“ von DATEV, wurde von Michael Woltz präsentiert. Das Unternehmen entwickelt seine anwaltsspezifischen Lösungen stetig fort und bietet beim Abschied von der Papierakte einen praktischen, digitalen Helfer, der alle relevanten Fakten von digitalisierten Schriftstücken automatisch erkennt und für den Anwalt oder die Anwältin einfacher nutzbar macht. Dabei, so Woltz, müsse der Nutzer seinen gewohnten Arbeitsablauf noch nicht einmal ändern. Zur Seite sprang Woltz der Rechtsanwältin Heike Barth, die die Datenbank LEXinform Anwalt als Alternative zu beck-online und Co. präsentierte.

Eine ganzheitliche Lösung stellte dann Christian Lindemann von Wolters Kluwer vor: „Legal Matter Management“ lautet das Schlagwort unter dem das Hürther Unternehmen aktuell ein umfassendes Konzept zur gesamten Prozessabdeckung entwickelt. „CaseWorX Baurecht“ stellte Wolters Kluwer bereits in der Vorwoche auf dem Deutschen Anwaltstag 2019 in Leipzig erstmals vor. Weitere Editionen sollen folgen. Interessant ist das Preismodell, das sich in mehreren Stufen angepasst an der Zahl der Mandate orientiert. Laut Lindemann sind bei der Entwicklung umfangreiche Analysen der Arbeitsabläufe von Kanzleien vorausgegangen.

Mit Charme und Witz die Blockchain verständlich erläutern – geht das?

Dann ging es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder auf das theoretische Hochreck, denn Florian Glatz thematisierte die Blockchain. In den wenigen, zur Verfügung stehenden Minuten schaffte Glatz es, die komplexe Blockchain-Technologie und die damit verbundenen Entwicklungen (Dezentralisierung der Daten-Infrastruktur bei gleichzeitiger Zentralisierung der Buchführung, Smart Contracts etc.) verständlich zu machen, sodass auch Einsteiger ihre Berührungsängste verloren und eine erste Idee, vor allem aber Neugierde auf mehr, entwickeln konnten.

Dass eine Begeisterung für das Thema Legal Tech in all seinen Ausprägungen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besteht, wurde insbesondere in den sich den Vorträgen jeweils anschließenden Fragerunden deutlich. Dort zeigte sich auch, wie durchmischt das Tagungspublikum war: sehr spezifische Fachfragen, z.B. zur Blockchain-Technologie, wechselten sich ab mit Grundsatzfragen wie: „Müssen Juristen überhaupt noch denken?“.

Fachkräftemangel und der Wunsch nach menschlicher Innovation

Im  zweiten Block der Veranstaltung ging es um das Recruiting von Renos und Refas. Und wer glaubte, nach dem Mittagessen sein Gehirn dimmen und die Aufmerksamkeit sinken lassen zu können, der täuschte sich. Die Vorsitzende des RENO Bundesverbandes Ronja Tietje präsentierte Zahlen, die alle im Saal bis in die letzte Reihe wachrüttelten. Tietje machte klar, dass die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungen im Bereich der Rechtsanwalts- und Notariatsangestellten weit unter dem eigentlichen Bedarf liegt – und jährlich zurückgeht! Qualifizierte Fachkräfte zu finden wird damit für Kanzleien immer schwerer. Diese Entwicklung lässt sich auch nicht – wie einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vielleicht gehofft hatten – durch den Einsatz neuer Legal Tech-Produkte ausgleichen. Stattdessen seien die Kanzleien gefordert, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für sich zu gewinnen und auch zu halten. Hier wurde deutlich, dass viele Kanzleien nicht erfüllen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf Augenhöhe zu begegnen, regelmäßige Feedback-Gespräche zu führen und eine Perspektive zu bieten. In Kanzleien besteht also vor allem ein Bedarf nach menschlicher Innovation, dem sich die Verantwortlichen heute stellen müssen. Sehr interessant war die innere Haltung der Referentin. Sie zeigte keinerlei Angst vor der Digitalisierung, sondern forderte alle dazu auf, diese nicht nur für sich, sondern auch zur Weiterentwicklung  der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu nutzen. „Lassen Sie uns gemeinsam mit Ihren Angestellten die Zukunft der Rechtsanwaltskanzleien sichern“, so Tietje.

Appell an Unis: Auch das Jurastudium muss modernisiert werden

Den vielleicht unterhaltsamsten Auftritt bot der Jüngste im Referententeam, Tianyu Yuan  von LEXsuperior. Der Versuchung, seine App in den Vordergrund zu rücken, widerstand er und warb stattdessen nachdrücklich für mehr praxisnähe im Jurastudium. Er fragte sich und das Publikum, welche Fähigkeiten die Zukunft Juristen abverlangt und wie die Juristenausbildung darauf reagieren müsse. Sein Vortrag skizzierte die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Algorithmen, beleuchtete wo der Jurist unersetzlich bleiben wird und welches Potenzial in Digitalisierung und Automatisierung für die juristische Tätigkeit schlummere. Seine plastischen Beispiele erzeugten viele Lacher. So zeigte er den aktuellen US-Präsidenten neben dem  Trump-Tower und fragte, welchen Fall aus der Juristenausbildung die beiden Bilder abbilden: „Kommen Sie drauf? Es ist der Grundstückserwerb durch unerkannt Geisteskranke!“. „Es hat Spaß gemacht, zuzuhören und interessant war es auch!“ fand die Geschäftsführerin des HAV Claudia Leicht.

Am Ende des Tages entzauberte der letzte Referent Dr. Juergen Erbeldinger von ESCRIBA, die vielfach überhöhten Erwartungen an „Künstliche Intelligenz“. Vieles, so der promovierte Mathematiker, lasse sich auf „einfache Klausellogik“ zurückführen. Damit griff er auch einen Aspekt seines Vorredners, Tianyu Yuan, auf: Die KI ist wie der/die Anwalt/in nicht in der Lage, einen Sachverhalt zu erfassen, das relevante rechtliche Problem und damit die potenziell einschlägige Norm zu benennen oder gar darunter zu subsumieren. Von einem Subsumtionsautomaten, wie ihn so mancher herbeiträumt, oder fürchtet, kann also keine Rede sein. Das sollte den einen oder anderen in der Rechtsberatungsbranche ein wenig beruhigen.

„Es war super. Geile Sache!“

Barbara Mahlke, Organisatorin des Schweitzer Zukunftsforums, zeigte sich sehr zufrieden: „Es war noch besser als beim ersten Mal, noch spannender, noch prägnanter. Und ich finde es auch klasse, dass die Referentinnen und Referenten so gut untereinander vernetzt sind – geile Sache!“. Philip Neie ergänzte: „Ich finde es so schön, dass wir es schaffen, dass unsere Kunden hierher kommen, und zwar nicht die Großen, die auf jede Veranstaltung gehen, sondern gerade der Mittelstand. Wir brauchen diese Informationen und Ratschläge genauso wie die, die sie von hier mit nach Hause nehmen und umsetzen können.“

Nach sechs Stunden voller neuer Eindrücke rund um das Geschehen am Legal Tech-Markt ging das zweite Schweitzer Zukunftsforum zu Ende. Und jedem der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war klar, dass sich eine Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt. Auch für diejenigen, die sich erstmals mit Problemstellungen aus diesem Bereich beschäftigten, hatte Tianyu Yuan eine zwar bekannte, dafür passende Weisheit im Gepäck: „A journey of a thousand miles begins with a single step.“.

Fotos: FFI-Verlag

Video zum Schweitzer Zukunftsforum


 

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Markus Weins ist Geschäftsführer des FFI-Verlags, das Unternehmen hinter legal-tech.de. Von 2008 bis 2014 leitete Markus Weins den Bereich Marketing und Vertrieb des Deutschen Anwaltverlags. 2015 gründete er den FFI-Verlag mit Sitz in Hürth bei Köln.
freie-fachinformationen.de ffi-verlag.de.

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