Deutschlands Anwaltschaft befindet sich im Umbruch. Und das in vielerlei Hinsicht. Aufgrund der rückläufigen Zahl an Studierenden oder dem Wechsel von Jurist:innen in andere Wirtschaftszweige gibt es viel weniger klassische Rechtsanwält:innen. Zudem wird sich der Personalschwund zukünftig noch verstärken, weil laut Soldan Institut in weniger als zehn Jahren die geburtenstarken Zulassungsjahrgänge mit rund 5.000 Anwält:innen das Rentenalter erreichen und den Markt verlassen. Ergänzend bemerken Kanzleien aktuell eine erhöhte Wechselbereitschaft von angestellten Anwält:innen hin zu anderen Arbeitgebern. Gemäß der aktuellen Studie „Future Ready Lawyer“ von Wolters Kluwer gaben 58 Prozent der Anwält:innen an, dass sie ihre derzeitige Position sehr oder eher wahrscheinlich verlassen werden.
Jedes dieser genannten Phänomene führt zu einem erheblichen Wissensverlust, da die Mitarbeitenden über Jahre viel Wissen gesammelt haben, was aber oft nur in deren Köpfen, in persönlichen Unterlagen oder auf lokalen Laufwerken gespeichert ist. Werden nun neue Anwält:innen eingearbeitet, führt dies zu Doppelarbeit, die aufgrund des steigenden Kostendrucks von Mandant:innen immer weniger akzeptiert wird. Zudem werden die zu bewältigenden Rechtsfragen immer komplexer. Anwält:innen bilden für sich individuelle Wissenssilos, was den Zugriff auf das Wissen und die Dokumente von Kolleg:innen erschwert und wertvolle Zeit kostet. Im schlimmsten Fall führt dies zu Fehlern, da die Organisation nicht aus den Erfahrungen einzelner Mitarbeiter:innen lernt.
Daher ist es wichtig, eine solide Wissensmanagementstrategie zu entwickeln, die einfach umzusetzen ist und Wissenssilos beseitigt. Es gilt, Wissen als wertvolle Ressource nachhaltig zu managen.
Welche Vorteile bringt modernes Wissensmanagement in der Kanzlei?
Wissensmanagement dient nicht nur als Selbstzweck, sondern ist ein wichtiges Mittel zur effizienten Organisation der Kanzlei. In einer digitalen Welt, in der riesige Mengen an Informationen erzeugt und gespeichert werden, ist eine effiziente Verwaltung dieser Informationen von entscheidender Bedeutung. Die zentrale Frage, die sich dabei stellt: Wie kann man das Wissen in der Kanzlei effektiv managen und für alle zugänglich machen? Im Fokus steht zum einen der Zugang und die Wiederverwendung vorhandenen Wissens bei Mitarbeitenden, damit diese darauf zugreifen und von Leistungen, Kenntnissen und Erfahrungen anderer, die dieses Wissen einmal aufgebaut haben, profitieren können. Zum anderen, und das ist der entscheidendere Aspekt, um langfristig Effizienzgewinne realisieren zu können. Zudem fördert ein gutes Wissensmanagement den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit z. B. zwischen den Referatsmitgliedern, indem es ihnen ermöglicht, auf gemeinsame Ressourcen zuzugreifen und ihr Fachwissen zu teilen.
Die Ergebnisse von Recherchen und juristischen Konstruktionen werden zwar als wiederverwendbar angesehen; mangels eines schnellen und sicheren Zugriffs auf existierende Arbeitsergebnisse jedoch im Einzelfall immer wieder neu erstellt. Tatsächlich wird das „Rad leider immer wieder neu erfunden“ und man ärgert sich, dass die wertvollen Daten nicht griffbereit gesichert sind. Daher macht sich der gezielte Zugriff auf vorherige fallspezifische Dokumentationen, erstellte Dokumente, Templates und angebundene Online-Datenbanken schnell bezahlt:
Die Schnelligkeit in der Beratung steigt, ebenso die Arbeitszufriedenheit, da eine Vielzahl an repetitiven Aufgaben entfällt.
Zudem kann durch die zentrale Speicherung von Rechtsfällen, Gerichtsentscheidungen und den schnellen Zugriff auf gesetzliche Richtlinien ein Wissensmanagementsystem dazu beitragen, Risiken zu minimieren. Mittels dieser Mechanismen kann sichergestellt werden, dass die benötigten Informationen immer aktuell sind. Ein einfacher Zugang ermöglicht es den Anwält:innen, jederzeit alle verfügbaren Informationen zu berücksichtigen, so dass nichts Relevantes übersehen wird. Das versetzt Kanzleien in die Lage, eine fundierte und exzellente rechtliche Beratung anzubieten.
Die richtige Wissensstrategie je nach Kanzleiausrichtung
Ist eine Kanzleistrategie vorhanden, lässt sich daraus auch schnell eine Wissensstrategie ableiten. Die Kanzleistrategie sollte analysiert werden, um die Positionierung im Wettbewerb und ihre Stärken und Schwächen hinsichtlich vorhandener Kompetenzen und Ressourcen zu bestimmen. Dabei sollten Fragen wie die Schwerpunkte der Beratung, wichtige Rechtsbereiche, zu pflegende Mandate und Märkte beantwortet werden. Die Beantwortung dieser Fragen bestimmt folglich den Auf- und Ausbau der notwendigen Wissensressourcen. So würde eine Kanzlei mit Mittelstandsmandaten eine Vorlagendokumentensammlung zum GmbH-Recht aufbauen und diese in den Fokus ihres Wissensmanagements stellen.
Neben der Wissensstrategie ist die Schaffung einer „Wissenskultur“ ebenso ein wichtiger Faktor in der erfolgreichen Etablierung eines Wissensmanagements in der Kanzlei. Wenn es darum geht, als Anwältin oder Anwalt Wissen zu teilen, wird es oft schwierig. In vielen Kanzleien besteht an dieser Stelle schon Verbesserungsbedarf, da viele Anwält:innen lieber als „Einzelkämpfer:innen“ agieren und es Zurückhaltung bei der Wissensteilung gibt.
Viele befürchten durch die Wissensteilung eine Art Kompetenzverlust. Diese Probleme müssen überwunden werden, da viele komplexe Mandate eine effiziente Zusammenarbeit erfordern.
Das Kanzleimanagement muss geeignete Rahmenbedingungen und Anreize schaffen, um eine effektive Wissensteilung zu fördern. Dazu gehört die Unterstützung von Initiativen des Wissensmanagements durch die Senior-Partner und Kanzleiführung, die Wertschätzung für Beiträge zum Wissensmanagement und eine Motivationsstruktur für Anwält:innen und Mitarbeitende, sich für das Wissensmanagement zu engagieren.
Für welche Kanzleien eignet sich Wissensmanagement besonders?
Da die oben beschriebenen Rahmenbedingungen die gesamte Rechtsberatungsbranche betreffen, eignet sich ein Wissensmanagement-System grundsätzlich für alle Kanzleien. Es gibt jedoch unterschiedliche Mehrwerte, je nach Anzahl der Mitarbeitenden, Anzahl der Standorte oder den betreuten Rechtsgebieten.
Größere Kanzleieinheiten mit vielen Anwält:innen, verschiedenen Referaten und unterschiedlichen Rechtsgebieten profitieren offensichtlicher vom Wissensmanagement, indem sie sicherstellen, dass das gesammelte Wissen kanzleiweit ohne große Hürden zugänglich ist und genutzt werden kann. Zudem können Kanzleien mit einem hohen Aufkommen an Dokumenten und Schriftverkehr die dort gebundenen Informationen einfacher erschließen und für neue Mandate darauf zurückgreifen. Aber auch kleinere Einheiten oder Boutiquen mit ihrem Spezialisierungsgrad müssen permanent spezifisches Fachwissen sammeln und den Wissensstand aktuell halten, was ein Wissensmanagement besonders wichtig macht. Kanzleien, deren Mandant:innen häufig wechseln oder temporäre Anwält:innen einstellen, müssen sicherstellen, dass das notwendige Wissen leicht zugänglich ist, um Mandant:innen effektiv zu betreuen.
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„Zeitgewinn durch Wissensmanagement“
Was zeichnet gutes Wissensmanagement in der Kanzlei aus?
In Zeiten exponentiell wachsender Wissensmengen sollte jede Art von Information weitestgehend automatisch im System verfügbar sein. Wissensmanager:innen in den Kanzleien sind sich einig, dass eine automatisierte Quellenverarbeitung Zeit spart und die Qualität der Anwendung erhöht. Zudem können verschiedene Quellen eingebunden werden.
Um die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden zu steigern, sollte für die Anwender:innen der Zugang zum Wissensmanagement möglichst einfach gestaltet sein.
Idealerweise lässt sich über ein einfaches Suchfeld das gesamte Kanzleiwissen „googlen“.
Mittels ergänzender Suchoperatoren können die Suchergebnisse eingegrenzt werden. Künstliche Intelligenz (KI) und Dokumentenautomatisierung können in das Wissensmanagement- System integriert werden, um die Effizienz und Qualität der Arbeit zu verbessern. KI-Systeme können große Datenmengen zuverlässiger und zutreffender analysieren als der menschliche Sachverstand. Sie können bei der Erstellung von Verträgen, bei der juristischen Recherche, bei der Erarbeitung von Schriftsätzen oder in der Kommunikation mit Mandant:innen wirkungsvoll unterstützen. KI ersetzt beispielsweise die bisherige manuelle Verschlagwortung, was Zeit spart und die Qualität erhöht, und sortiert Suchergebnisse nach Relevanz im Zusammenhang mit dem Suchbegriff und weiteren Kriterien.
Zusätzlich sollte das Wissensmanagement in der Lage sein, das in der Kanzlei etablierte Rechte- und Rollenkonzept widerzuspiegeln, um die vollständige Kontrolle über sensible Informationen zu bewahren und nur autorisierte Zugriffe zu ermöglichen.
Verbindung mit der E-Akte in der Kanzleisoftware
Moderne Tools zum Wissensmanagement sollten mit der E-Akte und der Kanzleisoftware kombiniert werden. Da ein Großteil des kanzleiweiten Wissens in Dokumenten gespeichert ist, ist zudem die Anbindung zu einem Dokumenten-Management-System (DMS) elementar.
Nicht selten kommt es während der Fallbearbeitung vor, dass einer Information bei der ersten Recherche zunächst kein Wert beigemessen wird und diese nicht in die Akte übernommen werden soll. Wochen oder Monate später ergeben sich Zusatzinformationen, die der ursprünglichen Information eine hohe Relevanz verleiht. Beispielsweise werden der Kanzlei bei der Mandatierung im Versicherungsrecht zahlreiche Dateien zur Dokumentation und Beweisführung wie Fotos, Karten, Protokolle oder Videos mit hohem Speicherbedarf übergeben. Gleiches gilt für die dokumentenintensive baurechtliche Beratung.
Zunächst lassen sich alle im Rahmen eines Mandats erhaltenen Informationen in einem speziellen Verzeichnis auf dem Kanzleiserver speichern, das mit der E-Akte in der Kanzleisoftware verknüpft wird. Nachfolgend strukturiert die Wissensmanagement-Software diese Daten mit der enthaltenen Texterkennungstechnologie (OCR). In der Akte selbst nutzen Anwält:innen die Suchtechnologie des Wissensmanagements und greifen auf einfache Weise auf alle Daten zu, um diese auszuwerten. Mit nur einem Mausklick finden die relevanten Dokumente dann ihren Weg in die korrespondierende Akte. Im Ergebnis behalten Kanzleien jederzeit den Überblick über alle möglichen, fallrelevanten Daten und erfüllen ganz nebenbei nicht nur den Grundsatz der Datensparsamkeit, sondern sparen auch Speicherplatz bei der späteren Archivierung der Akte.
Neue Möglichkeiten im Bereich Wissensmanagement
Die juristische Arbeit ist schriftfixiert und dokumentenlastig. Erforderte die Erstellung und Pflege von Musterdokumenten bisher einen erheblichen Aufwand, können mittlerweile KI-gestützte Systeme auf das Kanzlei-Wissensmanagement zurückgreifen und auf dem vorhandenen Wissen aufbauend wiederkehrende Dokumente mit nur wenigen Klicks automatisiert erstellen. Betrachtet man dann noch die Möglichkeit, die aktuellste Rechtsprechung mittels Anbindung einer Online-Rechercheplattform zu ergänzen, kann das „Brot und Buttergeschäft“ fast komplett mittels des vorhandenen Kanzleiwissens bedient werden und es bleibt wertvolle Zeit für komplexere Mandate.
Ein effizienzsteigerndes Wissensmanagement kann nur dann in der Kanzlei etabliert werden, wenn jeder dazu beiträgt, um dann in Folge von den Vorteilen der Wissensteilung partizipieren zu können. Demnach sollte sowohl das Befüllen des „Wissenstanks“ einfach sein und bestenfalls automatisch in der bereits genutzten Kanzleiorganisationssoftware enthalten sein, sodass das Einpflegen der Daten, Dokumente, Notizen, Ergebnisse aus Recherchedatenbanken etc. nur einmalig erfolgen muss, als auch das Abrufen und Bereitstellen des Wissens am „Point-of-Need“ jederzeit mittels einer smarten Suchfunktion, die jeder versteht, praktikabel anwendbar sein.
Bild: Adobe Stock/©Ljudmila
Hanny Vonderstein verantwortet als globale Produktmanagerin für Wolters Kluwer die Einbindung von Legal SmartDocuments als Dokumentenautomatisierungslösung in die Kanzlei- und Unternehmensorganisation und begleitet die Anforderungen bis zur technischen Umsetzung und Weiterentwicklung.