Rechtsdigitalisierung Europa

Digitalisierung und Zugang zum Recht – eine europäische Perspektive

Von Peggy Fiebig

Wo steht Europa in Sachen Rechtsdigitalisierung? Diese Frage sollte eine Konferenz des Bundesjustizministeriums letzten Donnerstag beantworten. Das Ministerium wollte damit im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Punkt setzen. So diskutierten in der ersten Hälfte der Online-Veranstaltung, die unter dem Titel „Zugang zum Recht im Zeitalter der Digitalisierung“ stattfand, mehrere europäische Justizministerinnen und Justizminister darüber, welche Möglichkeiten die Digitalisierung im Recht heute schon Verbrauchern bietet und wie diese künftig ausgebaut werden könnten.

Coronakrise als Digitalisierungspush?

Europas Justizkommissar Didier Reynders, der – fast schon symbolträchtig – sein Statement erst nach Beseitigung technischer Übertragungsschwierigkeiten halten konnte, betonte eingangs, dass die aktuelle Coronakrise gerade auch die Justiz vor große Schwierigkeiten gestellt und damit die Diskussion um Digitalisierung und Zugang zum Recht ordentlich gepusht habe. Die Covid-19-Pandemie habe gezeigt, dass der Papierweg in vielen Bereichen unzulänglich sei. Die Technik biete hier Möglichkeiten, Justizsysteme transparenter zu machen, Kosten zu sparen und Prozessverzögerungen zu vermeiden. Reynders kündigte an, dass die Kommission eine Bestandsaufnahme über den Stand der Digitalisierung in den Rechtssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten erstellen wird. Verglichen werden soll dabei die Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationssysteme zwischen Gerichten und Nutzern, die Online-Verfügbarkeit von veröffentlichten Gerichtsentscheidungen, die Vorkehrungen für die Erstellung maschinenlesbarere Gerichtsentscheidungen und das Vorhandensein von Informations- und Kommunikationstechnologien für die Fallbearbeitung und Geschäftsstatistik. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme könnten schon beim nächsten Justizministertreffen im Oktober vorgestellt werden, sagt Reynders. Anschließend würde dann die Kommission ein Bündel konkreter Maßnahmen vorschlagen, um die Digitalisierung auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene zu fördern, auch mit finanzieller Unterstützung der EU.

Portugal – alle Gerichtsentscheidungen digitalisiert

Ob Deutschland bei einer solchen Bestandsaufnahme einen vorderen Platz belegen würde, dürfte allerdings mehr als fraglich sein. Diesen Eindruck erweckte zumindest der Bericht der portugiesischen Justizministerin Francisca Van Dunem. Wie sie berichtet, konnte dort der Justizbetrieb während der letzten Monate fast nahtlos aufrechterhalten werden – dank der Technik. Videoverhandlungen waren die Regel, nicht die Ausnahme, erzählte die Ministerin. Im Übrigen habe Portugal bereits in den siebziger Jahren mit dem Aufbau von Entscheidungsdatenbanken begonnen und kann heute auf diese Daten zurückgreifen und für Anwendungen künstlicher Intelligenz nutzen. Alle Gerichtsentscheidungen werden in Portugal digitalisiert, sei es vom kleinen Amtsgericht bis hin zu den Urteilen und Beschlüssen des obersten Gerichtshofes. Und auch den Rechtsuchenden bringe die Digitalisierung direkte Vorteile: Sie könnten entweder bei Gericht oder auch von zuhause aus auf ihr konkretes Verfahren zugreifen und so den aktuellen Bearbeitungsstand erfahren. Durch diese Transparenz habe die Justiz enorm an Akzeptanz unter den Bürgerinnen und Bürgern aber auch den im Rechtssystem Beschäftigten gewonnen, stellt Justizministerin Dunem fest.

Digitalisierung der Justiz in Deutschland – noch viel zu tun

Von einer einheitlichen Urteilsdatenbank und deren Nutzung durch Künstliche Intelligenz ist Deutschland noch weit entfernt. Befragt vom Moderator der Veranstaltung, dem Berliner Rechtsanwalt Markus Hartung, gibt Bundesjustizministerin Lambrecht dennoch ein recht optimistisches Bild darüber, wie sie sich die Justiz in zehn Jahren vorstellt. Von einem weitgehend papierlosen Rechtsverkehr spricht sie dabei, von der elektronischen Durchsuchbarkeit von Gerichtsdokumenten und von der Nutzung digitaler Werkzeuge zur inhaltlichen Auswertung von elektronischen Akten. Damit könnte, so hofft die Ministerin, RechtsanwältInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen die Arbeit so erleichtert werden, dass sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könnten und Prozesse beschleunigt werden. Die Ministerin plädiert für einfache Online-Rechtsberatung, niedrigschwelligen Online-Zugang zur Justiz und Online-Konfliktlösungen, damit der Zugang zum Recht auch für jene Zielgruppen eröffnet werden könnte, die sich ansonsten nie an ein Gericht wenden würden.

Niederlande – Recht sind nicht nur Gerichte

Der niederländische Minister für Rechtsschutz Sander Decker betonte, dass es beim Zugang zum Recht nicht nur um den Zugang zu Gerichten, sondern immer mehr auch um Streitbeilegung außerhalb des klassischen Justizsystems gehe. Wichtig für die Menschen seien drei Aspekte: leicht zugängliche Informationen über das Recht und über die Möglichkeiten der Streitschlichtung, die Nutzung neuer Möglichkeiten der Streitschlichtung und eine dann auch effektive Streitschlichtung. Der Fokus dabei muss auf den Bürgerinnen und Bürgern liegen und nicht auf den Institutionen und Verfahren, auf Lösungen und nicht auf Urteilen, sagte Decker. Es gehe um digitale Werkzeuge, denen die Menschen vertrauen und das werde dann auch mehr Menschen helfen, Zugang zum Recht zu bekommen und zu nutzen.

Umdenken bei der Umsetzung digitaler Justiz notwendig

Die Panelteilnehmer und -teilnehmerinnen waren sich darin einig, dass bei der Umsetzung der Digitalisierungspläne ein „von Oben nach Unten“ nicht funktionieren wird. Bürgerinnen und Bürger sowie Justizbeschäftigte müssten in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, es brauche auch Platz für Experimente. Nur dann könne die notwendige Akzeptanz, das notwendige Vertrauen auf allen Seiten gewonnen werden.

Foto: eu2020-bmjv-access-to-justice.de
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Peggy Fiebig LL.M. ist freie Journalistin in Berlin und arbeitet überwiegend für den Hörfunk. Ihr Schwerpunkt ist die Hintergrundberichterstattung zu aktueller Rechtspolitik und Rechtsprechung.

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