Rechtsdurchsetzung digital gedacht – Justizminister beraten über Legal Tech

Von Peggy Fiebig

Mit dem aktuellen Stand im Bereich Legal Tech hat sich in der vergangenen Woche die Justizministerkonferenz (JuMiKo) in Lübeck-Travemünde befasst. Grundlage der Diskussionen war ein Arbeitspapier, das in den vorangegangenen zwei Jahren von Vertretern mehrerer Bundesländer erstellt wurde.

Legal Tech nur als Anwalt

Grundsätzlich begrüßten die Ministerinnen und Minister den fortschreitenden Einsatz digitaler Werkzeuge bei der Rechtsberatung und Rechtsverfolgung. Allerdings sei dieser insbesondere in der gerichtlichen Praxis nur dann unbedenklich, wenn es sich hierbei um die transparente und dadurch nachvollziehbare bloße Unterstützung der richterlichen Entscheidungsfindung handelt, heißt es in den Beschlüssen. Einen „Robojudge“ wird es also in absehbarere Zeit nicht geben.

Von größerer aktueller Bedeutung dürfte allerdings die Festlegung der JuMiKo auf den derzeitigen Status quo beim Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sein. Hier wird seit einiger Zeit eine mögliche Öffnung diskutiert, um Legal Tech-Unternehmen, die sich der Durchsetzung von Verbraucherrechten verschrieben haben, einen größeren Handlungsspielraum zu ermöglichen. Die Bundestagsfraktion der FDP hatte dazu vor einigen Wochen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auch eine automatisierte Erbringung von Rechtsdienstleistungen erlauben wollte. Der Vorschlag erntete allerdings umgehend heftige Kritik bei den beiden großen Anwaltsorganisationen. Es bestehe kein Bedarf für eine Regulierung von nichtanwaltlichen Legal Techs, hieß es unisono von Bundesrechtsanwaltskammer und Deutschem Anwaltverein. Und das meinen jetzt auch die Justizminister. Entweder sei eine so genannte Inkassolizenz nach § 2 Abs. 2 RDG ausreichend oder die Rechtsdienstleistung darf nur durch einen Rechtsanwalt erbracht werden. Denn auch wenn die Vorteile für Verbraucherinnen und Verbraucher durch Legal Tech-Portale wegen des niedrigschwelligen Zugangs zur Rechtsdurchsetzung durchaus gesehen werden, müssten die Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere vor unqualifizierter Rechtsberatung geschützt werden. Wie es schon der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Ulrich Wessels in einem Pressestatement vor einigen Wochen sagte: „Wo Legal Tech drauf steht, muss immer auch Anwalt drinstecken.“

Änderungen im Berufs- und Vergütungsrecht denkbar

Grundsätzlich offen zeigten sich die Minister jedoch gegenüber Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht. Denn bisher werden Legal Techs oft mit so genanntem Wagniskapital gegründet und aufgebaut, was Anwälten wegen des bisher geltenden Fremdbesitzverbotes genauso untersagt ist wie die Vereinbarung von Erfolgshonoraren – ebenfalls ein Merkmal vieler Legal Techs. Hier müssten gegebenenfalls Anpassungen vorgenommen werden, will man Anwälten wirklich das Feld der Legal Techs eröffnen.

Wie weit reicht eine Inkassolizenz?

Offen bleibt allerdings noch die Frage, wie weit die Inkassolizenz tatsächlich die derzeitigen Legal Tech-Geschäftsmodelle umfasst. Gegen das Berliner Unternehmen wenigermiete.de hat beispielsweise die Rechtsanwaltskammer Berlin eine Wettbewerbsklage erhoben. wenigermiete.de würde Dienstleistungen erbringen, die ausschließlich ein Rechtsanwalt durchführen dürfe, begründet Präsident Marcus Mollnau das Vorgehen seiner Kammer. Denn das, was wenigermiete.de anbiete, würde über das, was Inkassounternehmen dürften, hinausgehen. In der ersten Instanz haben die Richter vom Berliner Landgericht wenigermiete.de Recht gegeben. Die Rechtsanwaltskammer hat Rechtsmittel eingelegt und will die Auseinandersetzung, wenn nötig, auch bis zum Bundesgerichtshof bringen.

Schneller zu Gericht – Der Hamburger Vorschlag eines „beschleunigten Online-Verfahrens“

Die Justizminister haben sich aber auch ihren eigenen Tätigkeitsbereich – die Justiz – angesehen. Hier soll es in den nächsten Jahren zügig mit der Digitalisierung vorangehen. Die flächendeckende Einführung der E-Akte und der Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr stehen auf der To-do-Liste. Außerdem haben sie sich den Hamburger Vorschlag eines „beschleunigten Online-Verfahrens“ genauer angeschaut. Dabei soll es nach den Vorstellungen des Hamburger Justizsenators Till Steffen um zivilrechtliche Streitigkeiten bis 2.000 Euro gehen. Eine Klage soll per einfachem Online-Formular möglich sein und besonderen prozessualen Regeln unterliegen.  Ziel ist es, Bürgern ein niedrigschwelliges, schnelles Verfahren zur Durchsetzung von geringerwertigen Klagen anzubieten und so die Lücke des so genannten „rationalen Desinteresses“ zu schließen. Damit ist jener Bereich von Rechtsstreitigkeiten gemeint, bei denen der Verbraucher eine gerichtliche Auseinandersetzung wegen des damit verbundenen Aufwandes scheut. Die Arbeitsgruppe der JuMiKo hat vorgeschlagen, das beschleunigte Online-Verfahren im Rahmen einer Pilotphase in seinem Anwendungsbereich zunächst auf bestimmte Bereiche zu beschränken. Es biete sich an, das Verfahren zunächst für stark schematisierte Streitigkeiten mit bezifferten Klageforderungen zu öffnen, heißt es im Abschlussbericht. Zu denken sei etwa an Entschädigungen nach der EU-Fluggastrechteverordnung und nach der EU-Fahrgastrechteverordnung oder aber an Klagen, in denen es um die (teilweise) Rückforderung des Reisepreises wegen Reisemängeln geht. Darüber hinaus kämen auch bestimmte Verkehrsunfallverfahren, bei denen lediglich die Haftungshöhe streitig ist, in Betracht. In ihren finalen Beschlüssen bleiben die Justizminister aber wage: Sie bitten die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz lediglich, die weitere Entwicklung im Hinblick auf ein gerichtliches Online-Verfahren zu beobachten und gegebenenfalls gesetzliche Änderungen zu initiieren.

Konkrete Legal Tech-Beschlüsse nicht in Sicht

Insgesamt scheint Legal Tech auch in der Justiz als Entwicklung mit systemgreifenden Potenzialen, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen, anerkannt zu werden. Von konkreten Beschlüssen und Maßnahmen, die sowohl die Interessen von Rechtsratsuchenden als auch von Anwältinnen und Anwälten wahren, ist man noch weit entfernt.

Foto: Adobe Stock/phonlamaiphoto
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Peggy Fiebig LL.M. ist freie Journalistin in Berlin und arbeitet überwiegend für den Hörfunk. Ihr Schwerpunkt ist die Hintergrundberichterstattung zu aktueller Rechtspolitik und Rechtsprechung.

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