Bucerius Herbsttagung

Kerngeschäft und Innovation gleichzeitig meistern – das war die 11. Bucerius Herbsttagung

Von Verena Schillmöller und  Jasmin Kröner

Insgesamt über 200 Teilnehmende nahmen sowohl vor Ort in Hamburg als auch digital an der 11. Bucerius Herbsttagung am 18. und 19. November teil. Nachdem die 10. Bucerius Herbsttagung 2020 komplett online stattfand, wurde sie diesmal als hybride Veranstaltung ausgerichtet. Zwei Tage lang fanden spannende Vorträge und Workshops mit Experten und Expertinnen zum Thema „Kerngeschäft und Innovation gleichzeitig meistern“ statt: Wie optimiere ich mein Kerngeschäft, treibe aber gleichzeitig Innovationen voran? Antworten finden Sie in unserem Veranstaltungsbericht.

So gelingen Innovationen

Den ersten Vortrag des Tages zum Thema Lead & Disrupt - The Ambidextrous Organisation hielt Charles O’Reilly, Professor an der Stanford Graduate School of Business und Autor des Buches „Lead and Disrupt“. O’Reilly gilt quasi als Erfinder des Begriffs „organisationale Ambidextrie“: Dem Wortursprung von nach bezeichnet der Begriff Beidhändigkeit und bedeutet, dass für Unternehmen sowohl die Exploitation (Optimierung des aktuellen Kerngeschäfts) als auch Exploration (Vorantreiben von Innovationen) wichtig sei. O‘Reilly stellte fest, dass sich bei vielen erfolgreichen Unternehmen nach einiger Zeit das sogenannte „Success Syndrome“ einstelle. Diese Firmen würden zu lange an veralteten Geschäftsmodellen festhalten, ohne den Blick in die Zukunft zu richten. Um zu demonstrieren, welche Folgen das haben kann, stellte O‘Reilly Firmen aus gleichen Geschäftsbereichen gegenüber, so z. B. Netflix und Blockbuster (beides ursprünglich Videotheken). Während Netflix frühzeitig in den Streamingmarkt investierte, hat sich Blockbuster auf seinem alten Geschäftsmodell (dem Verleih von Videos und DVDs) ausgeruht und ist 2013 insolvent gegangen.

Um den Erfolg eines Unternehmens auch in Zukunft zu sichern und die organisationale Ambidextrie umzusetzen, nannte O‘Reilly drei Faktoren:

  1. Ideate: Die Identifizierung von potenziellen Geschäftsmodellen, z. B. durch Methoden wie Design Thinking und Open Innovation.
  2. Incubate: Beweisen, dass man eine tragfähige Geschäftsidee hat, z. B. durch den Entwurf eines Business Model Canvas oder einem Lean Startup-Konzept.
  3. Scale: Organisationale Ambidextrie schaffen mit den erfolgversprechendsten Geschäftsmodellen aus den vorrausgegangenen Schritten.

In der Fragerunde nach dem Vortrag kam die Frage nach Tipps für die Digitalisierung und Innovationen in der Anwaltskanzlei auf – wie identifiziere ich, welche Bereiche ich digitalisieren sollte? O‘Reilly nannte hier den „customer standpoint“, also die Mandantenperspektive, als wichtigen Startpunkt. Kanzleien sollten sich die Frage stellen, wie sie Prozesse für Mandant:innen erleichtern können. Als Beispiel führte O’Reilly die von Amazon gegründeten Amazon Stores an. Amazon hat den für viele Kunden und Kundinnen nervigsten Faktor beim Einkaufen identifiziert und abgeschafft: Das Warten in den oft langen Schlangen an der Kasse. Die Amazon Stores haben konsequenterweise keine Kassen mehr; stattdessen hat Amazon eine andere technische Lösung für den Bezahlvorgang gefunden.

Digitale Kommunikation & Chatbots

Im ersten Vortrag nach der Mittagspause Seeds in Practise – Innovation konkret stellten Rechtsabteilungen und Kanzleien Innovationen aus der Praxis vor. Anne Graue, inzwischen Legal Councel bei einem deutschen Automobilhersteller, berichtete von ihrer Arbeitserfahrung bei einem Startup und wie dort die digitale Kommunikation optimiert wurde. Vor der Optimierung gab es im Unternehmen eine heterogene Tool-Landschaft: Verschiedene Abteilungen nutzten verschiedene Tools, die jedoch keine Schnittstellen hatten und nicht abteilungsübergreifend genutzt werden konnten. Das stellte vor allem die Rechtsabteilung vor Probleme, die mit den vielen verschiedenen Tools umgehen musste. Um sich auf ein Tool zu einigen, wurden die folgenden Kriterien für ein Kommunikationstool aufgestellt:

  • Ticketing-System: Transparenter Überblick über offene Ausgaben
  • Self-Service: FAQ und Checklisten, auf die alle Mitarbeitenden Zugriff haben
  • Wissensmanagement

Letztendlich entschied man sich im Startup für das Tool Notion, das sowohl firmenintern als auch zur Kommunikation mit den Kunden und Kundinnen genutzt wurde. Als „Lessons Learned“ für die Auswahl eines passenden Kommunikationstools gab Frau Graue den Zuhörenden folgende Punkte mit:

  • Client-Centricity: Das Tool muss zum Unternehmen und den Kunden und Kundinnen passen, es gibt keine „One-Size Fits All“-Lösung.
  • Single Point of Entry: Kommunikationskanäle auf ein Minimum reduzieren.
  • Verständnis: Die Nutzung der Tech-Tools wirklich verstehen.
  • Ambassadors: Einbindung der Rechtsabteilung z. B. durch gezielten Einsatz von „Botschaftern“, die den Umgang mit dem Tool erläutern.

Einen weiteren Vortrag mit einem konkreten Beispiel für Innovation aus der Praxis hielt Thorge Konermann von Henkel. Bei Henkel gibt es eigene Teams, die sich nur mit Legal Tech beschäftigen.

Intern im Unternehmen eingeführt wurde zum Beispiel eine „Antitrust App“, die ein FAQ zu verschiedenen kartellrechtlichen Themengebieten enthält und für alle Mitarbeitenden zur Verfügung steht. So können sich Mitarbeitende zu Fragen direkt in der App informieren. Das entlaste die Rechtsabteilung. Weiterhin wurde innerhalb Microsoft Teams ein Chatbot implementiert, der bei entsprechenden Fragen automatisch Erläuterungen zu diversen Corporate Standards liefert. Die Kosten für beide Projekte waren gering, stellen im Arbeitsalltag aber eine große Erleichterung dar.

Herausforderungen beim Innovationsmanagement?

Der zweite Tag der Herbsttagung punktete mit sieben spannenden Workshops. Wolters Kluwer Deutschland stellte im Rahmen des Workshops „Future Ready Lawyer“ die gleichnamige diesjährige Studie vor. Im Rahmen der Studie gaben 77 Prozent der befragten Juristinnen und Juristen an, dass sie zwar Auswirkungen und eine steigende Bedeutung von Legal Tech erwarteten, aber nur 32 Prozent gaben an, dass ihre Organisation auf kommende Veränderungen vorbereitet sei. Die Fähigkeiten zur Bewältigung der zunehmenden Herausforderungen scheinen somit noch ausbaufähig.

Die Impulsgeber des Workshops, Sebastian Quirmbach und Sven Wilhelmy von der agilen Kanzlei Quirmbach & Partner berichteten, dass auch sie mit Herausforderungen zu kämpfen haben, wenn es um Veränderungen gehe: So äußerten Mitarbeitende etwa, dass die bearbeiteten Fälle zu speziell für Standardisierungen seien, oder dass man keine Zeit für Veränderungsprozesse habe. Wie gelingt hier ein Umdenken? „Wir gestalten den Change mit dem gesamten Team, nicht von oben nach unten“, so Wilhelmy. Dafür hat die Kanzlei sich ein agiles Manifest auf die Fahne geschrieben:

Die Arbeit in crossfunktionalen, kleinen, selbstbestimmten Teams trägt hier zum Erfolg der Kanzlei bei, sowie Zusammenschlüsse mit Legal Tech-Unternehmen wie Vinqoo und der Einsatz von Tools wie Legal Smart Documents.

Unternehmerische Verantwortung in Kanzleien – wo stehen wir?

Der Workshop „Die zukunftsorientierte Kanzlei“ offenbarte mit einer Vielzahl an Blitzvorträgen, welche Beispiele es in der Anwaltschaft schon für das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) gibt. So berichtete Sebastian Keding vom Team Green bei McDermott Will & Emery, welche Maßnahmen die Kanzlei schon zur Ressourcenschonung umgesetzt hat: Abschaffung von Plastikflaschen und Kapselmaschinen, Obstkörbe mit regionalen Waren und Recycling von Elektrogeräten. Auch das Thema Pro Bono-Rechtsberatung wurde im Rahmen des Workshops thematisiert. Hier kam Stefanie Wismeth, Leiterin der Geschäftsstelle der CMS Stiftung zu Wort. Die Gesellschaft, deren Stifterin die Sozietät CMS Hasche Sigle ist, kümmert sich um Menschen, die keinen Zugang zum Recht haben. Denn, so Wismeth, obwohl man denken würde, dass in einem Rechtssystem wie in Deutschland alle Menschen Zugang zum Recht haben, gebe es immer vulnerable Gruppen, z. B. Opfer von häuslicher Gewalt oder Menschen mit Migrationshintergrund, die das Rechtssystem teils nur bedingt verstehen. Die Stiftung agiert hier als Mittler zwischen Organisationen (Geldgebern) und Sozietät (Rechtsberatung), gibt selber aber keine Rechtsberatung.

Bucerius Herbsttagung als gelungene Hybridveranstaltung mit aktuellem Thema

Obwohl der Begriff der organisationalen Ambidextrie vielen Teilnehmenden vor der Veranstaltung nicht bekannt war, ist die gleichzeitige Optimierung von Kerngeschäft und das Vorantreiben von Innovationen in Unternehmen als auch in Kanzleien bereits ein wichtiges Thema und wird auch in Zukunft eine Kernherausforderung bleiben. Das Bucerius CPL richtete eine gelungene 11. Herbsttagung aus und meisterte die hybride Veranstaltungsform ohne technische Probleme. Mit einer eigens für die Veranstaltung erstellten App war es auch online möglich, den Vortragenden Fragen zu stellen und sich mit anderen Teilnehmenden über einen Chat zu vernetzen. Vor Ort wurde die Möglichkeit zu networken in den Pausen nach den Vorträgen rege bei gutem Essen und Getränken genutzt. Moderatoren und Moderatorinnen waren sich am Ende einig, dass das hybride Format das Veranstaltungsformat der Zukunft sei, die physische Teilnahme jedoch einen Mehrwehrt biete, den eine Online-Veranstaltung nicht ersetzen könne. Man freue sich auf eine „volle Hütte“ nächstes Jahr bei der 12. Bucerius Herbsttagung. Diese wird bereits geplant – schließlich ist nach der Herbsttagung vor der Herbsttagung.

Fotos: FFI-Verlag
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Verena Schillmöller ist beim FFI-Verlag in den Bereichen Produktmanagement und Redaktion tätig. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Bereich Legal Tech.

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Jasmin Kröner ist beim FFI-Verlag in den Bereichen Produkt-
management und Redaktion tätig.

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