Legal Tech-Unternehmen

Gefährden Legal Tech-Unternehmen wie RightNow, Flightright und Co. die Anwaltschaft?

Von Dr. Benedikt Quarch

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Legal Tech-Unternehmen entstanden, die Verbraucherrechte mithilfe hochentwickelter Algorithmen durchsetzen – und der Markt wächst kontinuierlich. Verblieb das Erfolgsrisiko bislang nicht selten bei den Kunden und Kundinnen (unechtes Factoring bzw. Inkassomodell), kommen zunehmend auch Modelle des echten Factorings oder Consumer Claims Purchasing zum Einsatz, bei denen die Dienstleister sofort einen Geldbetrag an hilfesuchende Verbraucher und Verbraucherinnen entrichten und somit das Erfolgsrisiko übernehmen. Statt der Aussicht auf langjährige Gerichtsverfahren gegen vermeintlich übermächtige Konzerne winkt so eine Teilsumme auf Knopf- bzw. Touchscreendruck.

Der Deutsche Bundestag hat am 10. Juni dieses Jahres mit dem „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ eine der Allgemeinheit eher unter dem Schlagwort „Legal Tech-Gesetz“ bekannte Neuregelung gebilligt. Nachdem der Bundesrat den Vermittlungsausschuss nicht angerufen hat, wird das Gesetz voraussichtlich bereits am 01. Oktober in Kraft treten. Die ambitionierte Geschwindigkeit von Beschlussfassung und Umsetzung sind Ausdruck einer zunehmenden Relevanz technologiegetriebener Rechtsdienstleistungen. Wie steht es dabei um die Auswirkungen auf klassische Berufsträger:innen?

1. Legal Tech-Unternehmen als Gefahr für die Anwaltschaft?

Beachtliche Teile der Anwaltschaft haben auf die Entwicklungen mit Skepsis reagiert. Die Legal Tech-Konkurrenten hätten verschiedene Wettbewerbsvorteile gegenüber klassischen Rechtsanwält:innen und könnten in weiten Teilen langfristig zu einer Verdrängung führen, lauten die Befürchtungen. Bereits ihren sehr nutzerfreundlichen Digitalplattformen, die vielfach an moderne Banking- oder Mobilitätsapps erinnern, können insbesondere kleine Sozietäten nicht adäquat entgegentreten. Kern der Kritik ist allerdings die klassischen Berufsträger:innen verwehrte Tätigkeit auf Erfolgshonorarbasis. Diese Problematik greift das neue „Legal Tech-Gesetz“ auf: Mit dessen Inkrafttreten darf künftig auch die Anwaltschaft Erfolgshonorare vereinbaren, wenn

  • sich die Tätigkeit auf eine pfändbare Geldforderung von höchstens 2.000 € bezieht
  • eine Inkassodienstleistung nur außergerichtlich, im Mahn- oder Zwangsvollstreckungsverfahren erbracht wird,
  • oder der Auftraggeber im Einzelfall ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.

Diese Beseitigung einer wesentlichen berufsrechtlichen Beschränkung stellt einen ersten Schritt hin zu einem „Level Playing Field“ für alle Rechtsdienstleister dar, auf dem sich Anwaltschaft und andere Rechtsdienstleister gleichberechtigt gegenüberstehen.

Mehr Vergleiche als nötig?

Bedenken bestehen teilweise auch im Hinblick auf eine mögliche Kommerzialisierung des Rechts zulasten der Verbraucher:innen und eines etwaigen Interessenkonfliktes zwischen den Legal Tech-Anbietern und deren Kund:innen, der sich aus § 4 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ergeben könnte. So sei es für Legal Tech-Unternehmen regelmäßig attraktiv, frühzeitig mit Vergleichen aus einem gerichtlichen Verfahren auszusteigen, um einen sicheren Gewinn zu erzielen – ohne alle Chancen für ihre Kund:innen ausgereizt zu haben. Sind diese Bedenken gerechtfertigt?

2. Legal Tech-Unternehmen als Gatekeeper für Verbraucherrechte

Die Dienstleistungsangebote von RightNow, Flightright & Co. sind auf kleine bis mittlere Ansprüche ausgerichtet, die von Verbraucher:innen regelmäßig nicht mithilfe einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts durchgesetzt werden – sofern die Verbraucher:innen überhaupt Kenntnis von ihren möglichen Ansprüchen erlangen. Aufgrund des geringen Streitwerts der Einzelforderungen sind solche Ansprüche für klassische Berufsträger:innen oft wenig attraktiv. Die Angebote der Legal Tech-Unternehmen führen hier zu einer vermehrten und effizienteren Durchsetzung von Verbraucherrechten und schließen bestehende Rechtsschutzlücken. Eine solche Verbesserung des „Access to Justice“ stellt keine Kommerzialisierung des Rechts dar, sondern kommt nicht zuletzt auch der Rechtschutzgarantie der einzelnen Verbraucher:innen aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zugute.

Auch die Sorge eines Interessenkonflikts besteht, jedenfalls bei den Modellen des echten Factorings oder des Consumer Claims Purchasing, nicht. Bei der Nutzung eines solchen Angebots erhält der Verbraucher sein Geld sofort und unabhängig von der weiteren Rechtsdurchsetzung. Es liegt daher im originären Interesse der Legal Tech-Anbieter, Ansprüche (auch) gerichtlich möglichst umfassend durchzusetzen. Dabei erfolgt nicht nur die Prozessführung durch Partnerkanzleien, sondern diese werden teilweise bereits im Vorfeld eingeschaltet, um den Forderungen noch mehr Ernsthaftigkeit zu verleihen. Auch diese vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind dabei nach aktueller Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ersatzfähig (Urteil vom 23.7.2020 – I-16 U 99/20).

3. Anwaltschaft und Legal Tech-Unternehmen gehören zusammen

Ein genauerer Blick zeigt: Die Angebote der Legal Tech-Unternehmen funktionieren gerade durch die enge Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft im Rahmen der Anspruchsdurchsetzung. Die innovative Rechtsdurchsetzung der Legal Tech-Unternehmen führt zu Synergieeffekten und bietet allen Beteiligten Vorteile und Chancen. Folge des wachsenden Legal Tech-Marktes ist nicht eine Verdrängung der Anwaltschaft, sondern insgesamt ein Mehr an durchgesetzten Verbraucherrechten. Auch für eine moderne und mandantenorientierte Anwaltschaft bietet die Digitalisierung und Weiterentwicklung des Rechts neue Chancen und Möglichkeiten. Dabei ist das neue „Legal Tech-Gesetz“ ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Foto: Adobe Stock/SFIO CRACHO
Benedikt Quarch
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Dr. jur. Benedikt Quarch, M.A. (Business) ist Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer RightNow Group, sowie u. a. als einer von Forbes 30 under 30 ausgezeichnet und Herausgeber der LegalTech-Zeitschrift im Nomos-Verlag.

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