ChatGPT Anwalt

Was machen ChatGPT und KI mit dem Anwaltsberuf?

Interview mit Markus Hartung: „Die KI ist weiter, als wir dachten.“

Google-CEO Sundar Pichai prophezeit, dass Anwältinnen und Anwälte besonders von den Veränderungen durch Künstliche Intelligenz betroffen sein werden – und zwar im positiven Sinne: KI könnte den Anwaltsberuf so sehr verbessern, dass letztlich mehr Menschen diesen Beruf ausübten[1]. Eine interessante These, die dazu anregt, darüber nachzudenken, wie genau Künstliche Intelligenz und besonders Sprachmodelle wie ChatGPT schon jetzt Einfluss auf die juristische Arbeit nehmen. Ist eine Nutzung im großen Stil unter Berücksichtigung der Datenschutz- und Urheberrechtspflichten auch in Deutschland realistisch; und wie verhält es sich mit KI im Gericht? In diesem Interview mit Rechtsanwalt Markus Hartung lesen Sie, wie er die aktuellen Entwicklungen einordnet und diese Fragen beantwortet.

Herr Hartung, ChatGPT ist in aller Munde und stellt offenbar auch den Rechtsmarkt auf den Kopf. Wie beurteilen Sie die derzeitigen Entwicklungen in Sachen KI und ChatGPT? Wird sich die juristische Arbeit nachhaltig verändern?

Markus Hartung: Die Veröffentlichung von ChatGPT und anderen Sprachmodellen zeigt mindestens, wie weit die KI inzwischen ist: deutlich weiter, als wir dachten. Man mag im juristischen Bereich noch skeptisch sein über das, was ChatGPT liefert, denn häufig ist das unbrauchbar. Aber andererseits sind die Arbeitsergebnisse speziell juristisch trainierter Sprachmodelle wiederum sehr gut und zeigen, welches Potential KI hat – auch welches Bedrohungspotential. Wird sich die juristische Arbeit nachhaltig verändern? Ja, sehr sogar. Das ist aber nicht anders als bei anderen Berufen.

Was genau wird sich in Kanzleien durch KI und insbesondere den Einsatz von ChatGPT aus Ihrer Sicht verändern und welche Chancen und Risiken ergeben sich damit für den Berufsstand?

M. H.: Sprachmodelle liefern nicht nur Rechercheergebnisse, sondern gleich brauchbare Texte – Memos, Vertragsentwürfe, Schreiben und Schriftsätze. Damit meine ich nicht ChatGPT, sondern speziell für Juristinnen und Juristen entwickelte Programme wie etwa CoCounsel. Ein großer Teil an Grundlagen- und Vorbereitungsarbeit kann also automatisiert werden, dafür braucht man keine Anwältinnen und Anwälte mehr, sondern allenfalls juristisch geschultes Personal, das Prompting und Plausibilitätskontrolle übernimmt. Für die richtige Beratung sind nach wie vor Anwälte erforderlich, aber die werden dann häufig auf der Basis automatisch erstellter Texte arbeiten.

Wenn der Google-CEO meint, Sprachmodelle würden gerade den Anwaltsberuf verbessern, dann klingt mir das etwas sehr optimistisch, mindestens aber ungenau: Denn dass der Bedarf an juristisch geschultem Personal steigt, und durch Sprachmodelle weiter steigen wird, steht außer Frage. Aber ob man für die Befriedigung dieses Bedarfs tatsächlich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (verstanden als Volljuristen mit Anwaltszulassung) braucht, halte ich eher für zweifelhaft.

Die Risiken liegen jedenfalls auf der Hand, denn das bisherige Geschäftsmodell verträgt sich damit nicht. Der Anwaltschaft fällt es nicht leicht, ihre Leistungen zu bewerten und zu bepreisen, wenn es nicht um gesetzlich vorgegebene Pauschalen oder die Berücksichtigung des Zeitaufwandes geht. Hinzu kommt, dass Unternehmensrechtsabteilungen ebenfalls Sprachmodelle einsetzen können und dadurch die Beauftragung externer Beraterinnen und Berater beeinflusst wird. Aber die Chancen liegen ebenfalls auf der Hand, denn Anwältinnen und Anwälte haben die Chance, mit wertvoller Beratung ganz andere Level der Mandantenbeziehung zu erreichen als heute. Das mag manchen zu allgemein oder gar blauäugig vorkommen, aber Anwältinnen und Anwälte haben gar keine andere Chance, wenn sie auch künftig beauftragt werden wollen.

Wie bewerten Sie die Bedenken rund um den Datenschutz und ChatGPT?

M. H.: Das muss man sehr ernst nehmen. Mandantendaten sind tabu, die darf man nicht für das Prompting verwenden. Ich gehe aber davon aus bzw. hoffe es doch sehr, dass alles, was nach ChatGPT kommt – das ist ja letztlich nur ein Spielzeug – den Datenschutz by design berücksichtigen wird.

Schwieriger werden die urheberrechtlichen Fragen sein: Sind von Sprachmodellen erstellte Werke urheberrechtlich geschützt? Und wie freizügig dürfen sich Sprachmodelle im Internet an dort vorhandenem Wissen bedienen? Alles noch ungelöst.

Halten Sie das Szenario „Künstliche Intelligenz im Gericht“ zeitnah für realistisch? Wie könnte KI dort gewinnbringend eingesetzt werden?

M. H.: Wenn wir von Sprachmodellen reden, müssen wir uns spezielle Use Cases ansehen und uns außerdem im Klaren darüber sein, dass wir von Technik unterhalb der Ebene der Richterinnen und Richter sprechen. Vielleicht gibt es Software, die richterliche Funktionen ersetzen kann, aber da steht nun mal das Grundgesetz vor – aus gutem Grund. Zur Vorbereitung von Entscheidungen kann man das durchaus verwenden, auch wenn damit erhebliche Gefahren verbunden sind: Denn die Versuchung, automatisch erstellte Texte, die so überaus überzeugend klingen, nicht mehr so eingehend zu überprüfen, ist schon sehr hoch. Im Übrigen gibt es KI-Software, die jedenfalls in Pilotverfahren in der Justiz bereits verwendet wird. Dort geht es insbesondere um Auswertung und Strukturierung von Prozessstoff. Man würde sich eine schnelle Verbreitung wünschen, aber die Justiz leidet an grotesker Unterfinanzierung und unklaren Zuständigkeiten, so dass man sehr geduldig sein muss. Und schließlich: Man würde sich bzw. der Justiz erst einmal eine vernünftige technische Grundausstattung wünschen, bevor wir hier über flächendeckenden Einsatz von KI reden. Sina Dörr, Richterin am Landgericht und Co-Leiterin des Legal Tech Think Tanks der nordrhein-westfälischen Justiz beim OLG Köln sagt dazu „Learn to walk before you run“. Damit hat sie recht.

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt, Mediator und Geschäftsführer der Kanzlei Chevalier. Seit 2006 ist er Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), von 2011 bis 2019 als Vorsitzender. Weiterhin ist er Mitglied im Ausschuss Anwaltliche Berufsethik. Ende 2017 ist das von ihm mitherausgegebene und mitverfasste Buch „Legal Tech. Die Digitalisierung des Rechtsmarkts“ erschienen.

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