In Zeiten der Digitalisierung wandeln sich die Arbeitsweisen und Kommunikationsmethoden von Anwaltskanzleien. Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen stehen vor der Herausforderung, sowohl den Wünschen ihrer Mandantschaft nach Flexibilität und digitalen Prozessen gerecht zu werden, als auch die gesetzlichen Anforderungen an Vertraulichkeit und Datenschutz zu erfüllen. Doch wie setzt man beides um?
In der Regel erfolgt die Kommunikation mit der Mandantschaft mittels unverschlüsselter E-Mails. Obwohl regelmäßig diskutiert, wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Verwendung von E-Mails nach § 2 Abs. 2 BORA grundsätzlich zulässig ist, wenn der Mandant oder die Mandantin dem explizit zustimmt. Ob dies tatsächlich nach den gesetzlichen Voraussetzungen genügt oder mehr dem Willen der Praxis folgt, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Insbesondere, wenn der Nachrichtenaustausch über Server abläuft, die in Nicht-EU-Ländern stehen. In jedem Fall liegt durch die Verwendung unverschlüsselter E-Mails unbestreitbar ein Sicherheitsrisiko vor.
Aufgrund der veränderten Kommunikationsmöglichkeiten fordern viele Mandant:innen einen einfacheren Zugang zu Kanzleien und wählen diese gezielt danach aus. Viele Kolleginnen und Kollegen gehen mittlerweile dazu über, auch Mandantenrückfragen via WhatsApp oder Facebook zu beantworten. Ein Austausch von vertraulichen Daten über diese Plattformen dürfte jedoch selbst bei einer aktiven Zustimmung der Mandant:innen nicht mit den berufsrechtlichen Vorgaben vereinbar sein. So kann eine weitere Verarbeitung dieser (vertraulichen) Informationen durch privatrechtliche Dritte nicht ausgeschlossen werden, sondern findet vielmehr uneingeschränkt im Rahmen der unterworfenen Datenverarbeitungsvereinbarung statt.
Aus diesen Gründen habe ich mich dafür entschieden, meine eigene Mandanten-App „AdvoNext“ zu entwickeln, die genau diese Probleme adressiert und sowohl Mandantschaft als auch Kanzleien darüber hinaus einen echten Mehrwert bietet.
Hintergrund: digitale Zusammenarbeit als Wettbewerbsvorteil
Mit Beginn meiner Selbstständigkeit wollte ich eine App für meine Mandantschaft bereitstellen, um Dokumente papierlos auszutauschen, Absprachen zu treffen und potenziellen Mandant:innen weitere Vorteile zu bieten, um sich für mich – einen jungen Anwalt ohne Mandantenstamm – zu entscheiden.
Auf der Suche nach einer entsprechenden Lösung stellte ich fest, dass es keine passenden Produkte gab. Lediglich wenige Kanzleien hatten eine App, die jedoch wenig mehr beinhaltete als ein Bild der Kanzlei und die Anschrift. Angesichts dieser Situation entschied ich mich dazu, eine eigene App zu entwickeln.
Die Umsetzung der eigenen Kanzlei-App
Vor der Umsetzung war es notwendig, ein Konzept zu entwickeln, um sowohl höchste Datenschutzanforderungen und Vertraulichkeitsstandards zu erfüllen, als auch den Erwartungen von Anwalt und Mandant:in gerecht zu werden. Eine solche App sollte benutzerfreundlich sein, auf verschiedenen Betriebssystemen funktionieren und sich problemlos in bestehende Kanzleistrukturen einfügen. Zudem sollte sie in der Lage sein, Routineabläufe und Kommunikation zu automatisieren, um die Effizienz in der Kanzlei zu steigern, ohne eine zusätzliche Belastung für die Mitarbeitenden zu verursachen. Zugleich war es erforderlich, dass die App den Bedürfnissen sowohl kleiner als auch großer Kanzleien entspricht und die Möglichkeit bietet, bei Bedarf zusätzliche oder individuelle Funktionen hinzuzufügen.
Aufgrund meiner großen Computeraffinität und einigen Semestern Informatikstudium begann ich selbst mit der Umsetzung – jedoch wurde mir schnell klar, dass ich dies neben meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt weder zeitlich noch fachlich leisten kann. Daraufhin habe ich die App zusammen mit einem studierten Informatiker von Grund auf neu konzipiert.
Rechtliche Grundlagen und Datenschutz
Bei der Entwicklung standen der Datenschutz und die Einhaltung rechtlicher Vorgaben stets im Vordergrund. Um den Anforderungen der DSGVO und berufsrechtlichen Regelungen gerecht zu werden, haben wir die App so konzipiert, dass sie den höchsten Sicherheitsstandards entspricht. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, basierend auf dem aktuellen technischen Standard und den Empfehlungen des BSI, stellt sicher, dass keine Daten von Mandant:innen abgefangen oder eingesehen werden können. Auch der Serverstandort in Deutschland gewährleistet eine datenschutzkonforme Verarbeitung der Daten. Die Anforderungen an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 2 Abs. 2 BORA werden so in jedem Fall gewahrt.
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Möglichkeiten und Funktionen der Kanzlei-App
Wir schufen zudem die Möglichkeit, die App mit geringem Aufwand an das Design jeder Kanzlei anzupassen, sodass Mandant:innen eine individuelle App ihrer Kanzlei erhalten. Im Übrigen stehen eine vollständige Postkorb-Kommunikation, Dateiaustausch, PDF-Scan und -Komprimierung, Terminerinnerungen, Abwesenheitsmitteilungen, Neujahrs- und Weihnachtsgrüße, Push-Benachrichtigungen u. v. m. zur Verfügung. Auch war es mir wichtig, den Aufwand in der Kanzlei zu verringern, sodass Nachrichten standardisiert gespeichert und abgerufen werden können und Mandant:innen z. B. auf die Bürozeiten oder Abwesenheitszeiten ihrer Kanzlei hingewiesen werden, sollte eine Nachricht in diesen Zeiträumen eintreffen. So entsteht zu keinem Zeitpunkt der Eindruck, dass es sich um einen WhatsApp-Austausch handelt.
Feedback, Korrekturschleifen und kontinuierliche Weiterentwicklung
Nach über zweieinhalb Jahren Entwicklungsphase haben wir die erste grundlegende Version des Produkts zum Laufen gebracht. Einen Großteil der Zeit haben wir in die Implementierung einer starken Verschlüsselung investiert, sodass die Datensicherheit gewährleistet ist. Anschließend zog ich befreundete Anwälte zurate und diskutierte mit ihnen die Funktionen und Abläufe. Diese testeten die ersten Versionen in ihren Kanzleien. Das führte zu vielen Anpassungen, insbesondere bei größeren Kanzleien, deren Abläufe mir nicht in Gänze vertraut waren. Das Feedback und die Erfahrungen dieser Kollegen waren von unschätzbarem Wert für die Weiterentwicklung und Verbesserung.
Während der Entwicklungsphase haben wir zusätzliche Funktionen implementiert, die den Bedürfnissen dieser Kanzleien gerecht werden. Dazu gehören u. a. eine umfangreiche Mitarbeiterverwaltung, Aktenverwaltung und Berechtigungssysteme. In Zusammenarbeit mit befreundeten Kanzleien testeten wir die App über mehrere Monate im Livebetrieb und nahmen immer weitere Verbesserungen vor.
Nach dem sehr erfreulichen Feedback haben wir eine Reihe weiterer Wünsche auf unserer To-do-Liste. Unter anderem sollen zeitnah Terminvereinbarungen, Rechnungsbegleichungen und Videokonferenzen direkt über die App ermöglicht werden. Zudem arbeiten wir daran, dass neue Mandant:innen direkt über die App erfasst werden, sodass eine zeitaufwendige Stammdateneinbindung zukünftig entfällt.
Mehrwert für die Mandantschaft und meine Kanzlei
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Mandant:innen die Möglichkeit der Kommunikation über meine App sehr schätzen. Mehrmals haben mir neue Mandant:innen bereits mitgeteilt, dass dies einer der Gründe war, sich für meine Kanzlei zu entscheiden. So wurde ich zu meiner Überraschung von einem 76-jährigen Mandanten, dem ich aufgrund seines Alters die App-Nutzung im Beratungsgespräch nicht vorgeschlagen hatte, darauf angesprochen. Auch in meiner Kanzlei ist zu spüren, dass die Kommunikation schneller abgewickelt werden kann. Durch standardisierte Antwortmöglichkeiten kann ich schnell auf Mandantenrückfragen reagieren und z. B. Ostergrüße innerhalb von drei Minuten an die gesamte Mandantschaft versenden.
Gescannte Dokumente, wie Verträge oder vergessene Unterlagen, erhalte ich schnell in einer gut lesbaren Qualität, was zuvor häufig mühsam war, da den Mandant:innen oftmals kein Scanner zur Verfügung stand. Außerdem schicke ich zufriedenen Mandant:innen nach der Abwicklung eine kurze Einladung zur Abgabe von Bewertungen. Da diese direkt am Smartphone auf die entsprechenden Seiten geleitet werden, ist die Abgabe einer Bewertung für sie mit geringem Aufwand verbunden und die Zahl meiner Bewertungen hat sich spürbar erhöht. Dies wurde mir auch von befreundeten Kanzleien bestätigt.
Kanzlei-App nützlich für Mandatsarbeit und Mandantenakquise
Die Umsetzung einer eigenen Kanzlei-App hat sich für mich in jedem Fall gelohnt. Ich habe die App nun einige Monate im produktiven Einsatz und die Rückmeldung meiner Mandantschaft ist durchweg positiv. Der ebenfalls positive Anklang bei den Kolleg:innen bestärkt mich letztlich in der Entscheidung, diese Lösung auch anderen Kanzleien zur Verfügung zu stellen. AdvoNext hat sich nicht nur als hilfreiches Werkzeug für die Mandantenkommunikation und den papierlosen Dokumentenaustausch erwiesen, sondern auch als effektives Mittel, um sich potenziellen Mandant:innen attraktiver zu präsentieren.
Bild: Adobe Stock/©TarikVision
Michael Goldmaier ist Rechtsanwalt und hat Jura in Saarbrücken und Halle (Saale) studiert. Mit hoher technischer Affinität und Fachwissen im Urheber- und Medienrecht, unterstützt Rechtsanwalt Goldmaier Firmen, IT-Startups sowie Künstler und Künstlerinnen bundesweit.