Scheitern Legal Tech

Wenn Legal Tech-Projekte scheitern: So gelingt der zweite Anlauf

Die Digitalisierung verspricht Effizienz, Innovation und einen Wettbewerbsvorteil. Doch nicht jedes Projekt verläuft nach Plan. Viele Kanzleien und Rechtsabteilungen haben bereits erlebt, dass vielversprechende Legal Tech-Initiativen stocken, scheitern oder nicht die gewünschten Ergebnisse liefern. Ein gescheitertes Digitalisierungsprojekt kann frustrierend sein, Ressourcen verschlingen und die anfängliche Begeisterung dämpfen. Aber: Ein gescheitertes Digitalisierungsprojekt bedeutet noch nicht das Ende des Digitalisierungsweges.

Dieser Beitrag beleuchtet nicht nur die technischen und strategischen Gründe, warum Legal Tech-Projekte scheitern können, sondern legt einen besonderen Fokus auf den entscheidenden Faktor Mensch. Wie geht das Team mit Rückschlägen um? Wie schafft man nach einer Enttäuschung wieder eine Aufbruchsstimmung? Und wie stellt man sicher, dass der nächste Anlauf unter besseren Vorzeichen – auch für die Beteiligten – steht?

Warum Legal Tech-Projekte straucheln – der Faktor Mensch im Fokus

Die Gründe für das Scheitern von Digitalisierungsprojekten in der Rechtsbranche sind vielfältig und oft miteinander verknüpft. Neben den offensichtlichen Aspekten wie unklarer Zielvorstellung oder der Wahl der falschen Technologie, spielt der Mensch eine zentrale Rolle. Ein häufiger Stolperstein ist die mangelnde Einbindung und Akzeptanz durch die Endnutzer:innen– Anwälte und Anwältinnen sowie Mitarbeitende. Widerstände gegen Veränderungen sind in traditionell geprägten Strukturen wie Kanzleien oft besonders stark ausgeprägt und können Projekte zum Erliegen bringen, selbst wenn die Technologie passt.

Darüber hinaus geraten Projektteams in IT-Projekten oft aus ihrer Komfortzone. Neue Technologien, ungewohnte Arbeitsweisen und der Druck, etwas Komplexes umzusetzen, können zu erheblichem Stress führen. Unter Stress verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen sachlichen Herausforderungen und persönlichen Empfindungen. Statt den Fortschritt durch Digitalisierung und eine Arbeitserleichterung nehmen Menschen die Veränderung als Kritik an sich und ihrer bisherigen Arbeitsweise wahr. Dies kann schnell zu Missverständnissen und offenen oder latenten Konflikten im Team oder zwischen Abteilungen führen, die den Projektfortschritt empfindlich stören oder ganz blockieren.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die oft unrealistische Erwartung an Fachexpert:innen oder Product Owner. Sie sollen parallel zu ihrem anspruchsvollen Tagesgeschäft auch noch die Konzeption und Einführung eines neuen Systems stemmen. Diese Überlastung führt unweigerlich zu Engpässen, Frustration, sinkender Motivation und beeinträchtigt letztlich die Qualität des Projektergebnisses.

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Nach dem Rückschlag: Analyse, Regeneration und Fehlerkultur

Ein gescheitertes Projekt einfach zu den Akten zu legen und zum nächsten Thema überzugehen, wäre verschenktes Potenzial, sowohl fachlich als auch menschlich. Der erste und wichtigste Schritt für einen Neuanfang ist eine ehrliche und gründliche Analyse, warum das Projekt nicht erfolgreich war. Dabei sollten alle Beteiligten – vom Management über die IT bis hin zu den Nutzer:innen – in einem sicheren Raum einbezogen werden. Es geht darum, die Ursachen zu verstehen, nicht Schuldige zu suchen. Eine offen gelebte Fehlerkultur ist hier entscheidend. Sie ermöglicht es den Beteiligten, Frustration abzubauen und aus den Erfahrungen zu lernen.

Genauso wichtig wie die Analyse ist die Regeneration des Teams. Ein gescheitertes oder auch nur sehr anstrengendes Projekt zehrt an den Kräften und der Motivation. Es braucht Zeit und Raum, um durchzuatmen, die Erlebnisse zu verarbeiten und wieder Energie zu tanken. Eine bewusste Pause und die Anerkennung der geleisteten Arbeit – auch wenn das Ergebnis nicht wie gewünscht war – sind essenziell. Eine klare Aussicht darauf, wie es besser gemacht werden kann und welche Unterstützung das Team beim nächsten Mal erhält, schafft Hoffnung und reduziert Zukunftsängste.

Konflikte adressieren und mit neuem Elan starten

Die im Projektverlauf möglicherweise entstandenen Konflikte dürfen nicht ignoriert werden. Gerade weil Digitalisierungsprojekte emotional belastend sein können und persönliche Empfindungen eine Rolle spielen, ist es wichtig, diese Spannungen professionell aufzugreifen. Dies kann durch moderierte Gespräche oder Workshops geschehen, um Missverständnisse auszuräumen und das Vertrauensverhältnis im Team und zwischen den Stakeholdern wiederherzustellen. Eine offene Kommunikation über die Schwierigkeiten und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, legen den Grundstein für die zukünftige Zusammenarbeit.

Für den nächsten Digitalisierungsversuch müssen die Learnings aus der Analyse und den Teamerfahrungen konsequent umgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere die realistische Planung der benötigten Ressourcen und die faire Verteilung der Arbeitslast. Es muss klar sein, dass die Einführung komplexer Systeme zusätzliche Kapazitäten bindet. Fachexpert.innen oder Product Owner benötigen klare Entlastung im Tagesgeschäft oder das Projekt muss mit dedizierten Ressourcen ausgestattet werden. Nur so lassen sich Engpässe vermeiden und die Qualität sicherstellen.

Wählen Sie für den nächsten Anlauf klare, realistische Ziele, binden Sie Nutzer:innen von Anfang an aktiv ein und stellen Sie ausreichend Schulungen und Support bereit. Ein schrittweiser Ansatz und das Feiern kleiner Erfolge können helfen, die Motivation im Team hochzuhalten und das Vertrauen in die Digitalisierung zurückzugewinnen.

Fazit: Scheitern als Lernchance und menschliche Herausforderung

Gescheiterte Digitalisierungsprojekte sind in der dynamischen Legal Tech-Welt keine Seltenheit. Sie sind schmerzhaft, bieten aber eine einzigartige Gelegenheit zum Lernen und zur Verbesserung – gerade auch auf menschlicher Ebene. Wer die Gründe für das Scheitern analysiert, eine offene Fehlerkultur lebt, dem Team Raum zur Regeneration gibt, entstandene Konflikte aktiv adressiert und aus Fehlern bei der Ressourcenplanung lernt, kann den Digitalisierungsprozess in der Kanzlei oder Rechtsabteilung langfristig erfolgreich gestalten. Sehen Sie Rückschläge nicht als Endpunkt, sondern als wertvolle, wenn auch teuer erkaufte, Lektion auf dem Weg zur digitalen Reife.

Tipps für den Neuanfang nach dem Digital-Flop – mit Fokus auf Mensch und Team

  • Ehrliche Analyse im sicheren Raum: Identifizieren Sie die Gründe für das Scheitern ohne Schuldzuweisungen. Fördern Sie eine offene Fehlerkultur.
  • Raum zur Regeneration: Planen Sie bewusste Pausen für das Team nach anstrengenden Projektphasen oder einem Fehlschlag ein.
  • Leistung anerkennen: Würdigen Sie den Einsatz und die Arbeit des Teams, auch wenn das Ergebnis nicht perfekt war.
  • Konflikte aktiv ansprechen: Gehen Sie proaktiv auf Spannungen im Team oder zwischen Stakeholdern ein und suchen Sie nach Lösungen.
  • Realistische Ressourcenplanung: Stellen Sie sicher, dass Fachexpert:innen und Product Owner ausreichend Zeit und Unterstützung für Projektarbeit erhalten.
  • Arbeitslast fair verteilen: Vermeiden Sie die Überlastung einzelner Schlüsselpersonen durch klare Zuständigkeiten und zusätzliche Ressourcen bei Bedarf.
  • Klare Aussicht auf Verbesserung: Zeigen Sie dem Team, wie die Learnings in zukünftigen Projekten umgesetzt werden und welche Unterstützung sie erwarten können.
  • Kleine Erfolge feiern: Bauen Sie positive Erlebnisse ein, indem Sie Zwischenziele erreichen und feiern.

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Als erfahrene Digital Transformation Beraterin und zertifizierter systemischer Coach unterstützt Lisa Wiesenfeld Führungskräfte, Teams und Unternehmen dabei, digitale Veränderungen erfolgreich zu gestalten. Mit über elf Jahren Expertise in Cloud-Transformation, HR-Technologie und digitaler Strategie liegt ihr Fokus auf praxisnahem Coaching und der Begleitung zu mehr Wirkung im beruflichen Alltag.

Bild: Adobe Stock/©nuthawut
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