Change Management

Change Management: Es lebe Legal Tech! Oder: Scheitern einprogrammiert

Von Dr. Martin Biehaule

Kleine wie größere Kanzleien spüren zunehmend den Druck im Rechtsmarkt, sich mit Legal Tech in den verschiedensten Ausprägungen auseinandersetzen zu müssen. Trotz strategisch korrekter Zielsetzung und intuitiv bedienbarer Software kommt in der Praxis regelmäßig die Frage auf: Warum scheitern Legal Tech-Projekte ganz oder teilweise? 

Eine unpopulärere Antwort lautet: Derartige Projekte scheitern oft auf der sozial organisationalen Ebene. Es fehlt die Aufmerksamkeit für die Veränderung, die sich in jedem einzelnen Kopf und dem gemeinsamen Kanzleibewusstsein einstellen muss sowie eine strukturierte Vorgehensweise für den Change Management-Prozess. Das nachfolgende Konzept erläutert optimale Bedingungen, um eine echte Veränderung bei jedem Einzelnen und damit neue Denkstrukturen für die Kanzleiorganisation zu schaffen.

Aufmerksamkeit für Rahmenbedingungen des Projekts

Ausgangspunkt für Projekte, die Neuerung und Veränderung mit sich bringen, ist immer ein stabiler Rahmen, der Sicherheit schafft. Die Einführung von Legal Tech muss Phasen provozieren, in denen alte Arbeitsgewohnheiten aufgebrochen und verändert werden. Diese Veränderung von Gewohntem bringt jedoch immer ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit und Unsicherheit mit sich, welche jedoch hinnehmbar ist, wenn ein ansonsten sicherer und stabiler Rahmen um das Projekt besteht. Sicherheit und Stabilität bedeutet z. B. Gelegenheiten zu eröffnen, ausreichend Fragen rund um das Projekt stellen zu können und vorab Transparenz zu erhalten, wie man als zukünftiger Legal Tech-User die Software in einem Probebetrieb testen kann. In diesem Zuge sollte insbesondere das Thema Arbeitsplatzsicherheit Beachtung finden. Befürchtungen, durch Legal Tech „weg-rationalisiert“ zu werden, werden das Projekt massiv behindern.

Werden die Rahmenbedingungen um das Legal Tech-Vorhaben von Beteiligten als stabil, d. h. unterstützend und dem Projekt zugewandt, erlebt?

Neben einem stabilen Rahmen geben motivierende Bedingungen dem Projekt von innen heraus die nötige Energie und den Antrieb, um vorzuschreiten und Problemstellungen zu lösen. Jedoch ist Vorsicht geboten mit kurzfristig wirksamen externen Motivatoren, wie finanziellen Anreizen, bei denen schnell Gewöhnungs- und Relativierungseffekte eintreten. Begeisterung für die Projektziele, ein erweiterter Verantwortungsspielraum oder die Einräumung eigenverantwortlichen Handelns in vertretbarem Maße sind beispielhafte Möglichkeiten, die Motivation zu fördern.

Welche Bedingungen und Angebote, die sich förderlich auf die Veränderungsbereitschaft und Motivation im Sinne des Projekts auswirken, lassen sich im Rahmen des Legal Tech-Projekts zur Verfügung stellen?

Um dem Projekt und den damit einhergehenden Veränderungen einen Nährboden zu bieten, muss die Harmonie zwischen Projektvorgehen und der Aufnahmebereitschaft der Kanzlei fortlaufend beachtet werden. Die organisationale Gemütsverfassung wirkt sich zum einen auf die Art der Vorgehensweise aus, also wie und mit welchen Maßnahmen Legal Tech eingeführt wird, zum anderen auf den zur eigenen Organisation passenden zeitlichen Takt, um zeitlich unrealistische Projektgeschwindigkeiten zu vermeiden.

Passen die Dosis der Projektmaßnahmen/Veränderungsimpulse und die zeitlichen Abstände zum Takt der Kanzlei?

Demontage bisheriger Arbeitsprozesse

Vor der praktischen Einführung eines neuen Tools ist es hilfreich, diejenigen Denk- und Arbeitsgewohnheiten und konkreten Arbeitsabläufe zu klassifizieren, welche voraussichtlich im Change Management-Prozess verändert werden müssen, um die Zielsetzung des Legal Tech-Projekts zu erreichen.

Welche bisherigen Denk- und Verhaltensmuster sowie Arbeitsabläufe und sonstigen Prozesse sind voraussichtlich von Veränderungen betroffen, die nötig sind, um das anvisierte Legal Tech-Ziel zu erreichen?

Gewohnte Arbeitsabläufe können trotz offizieller Veränderung mitunter beharrlich weiterbestehen. Um Bisheriges zu demontieren, muss zunächst identifiziert werden, um welche Gewohnheiten und Arbeitsabläufe es sich handelt. Gleichzeitig sollen sich die betroffenen Mitarbeitenden, Kollegen und Kolleginnen länger und intensiver mit den neuen relevanten Anforderungen, angepassten Kanzleiprozessen im (testweisen) Einsatz des neuen Legal Tech-Tools und den damit verbundenen Abläufen auseinandersetzen. Eine längere Vorbereitungsphase vor der Einführung lohnt sich!

Change Management setzt vor der konkreten Einführung an

Die mit dem Legal Tech-Projekt einhergehende Veränderung muss vor Beginn der eigentlichen Einführung als bedeutsam und sinnvoll eingeordnet werden, damit der aufzubringende Aufwand lohnenswert erscheint. Eine tragfähige Argumentation über Sinn und Nutzen des einzuführenden Legal Tech-Tools steht vor dem Beginn der eigentlichen Einführung.

Im Übrigen lässt sich der subjektive „Wert“ und somit Sinn des Legal Tech-Projekts allein schon durch die frühe Einbindung von betroffenen Kolleginnen und Kollegen steigern. Wer sich einbringt, misst dem Projekt eine größere „Bedeutsamkeit“ bei und setzt sich automatisch für die Projektziele ein.

Erleben die vom Legal Tech-Projekt betroffenen Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen das Ziel und die Vision des Projekts als sinnvoll?

Eine mehrstufige Vorbereitung lädt ein, die zukünftigen Arbeitsprozesse „häppchenweise“ zu probieren. In einer schon fortgeschrittenen Projektphase können Testszenarien oder Pilotprojekte ein geeignetes Mittel sein, das zukünftige Szenario in einem noch geschützten Rahmen erlebbar zu machen. Erste Durchläufe benötigen mehr Zeit! Zu Beginn sollte eine höhere Fehlertoleranz gelten und die Option bestehen, Rückmeldung zu den angedachten Arbeitsabläufen zu geben.

Sind in der Projektplanung Phasen vorgesehen, in denen alle betroffenen Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen Gelegenheit erhalten, zukünftige Arbeitsstrukturen und -prozesse auszuprobieren und Einfluss auf deren Gestaltung zu nehmen („Feedbackschleife“)?

Die konkrete Einführung

Sind die zuvor beschriebenen Vorbereitungen umfassend durchlaufen, ist die konkrete Einführung des Legal Tech-Tools ein eher unspektakulärer Akt. Zuvor bereits getestete und eingeübte Arbeitsprozesse laufen aufgrund der Vorbereitungsphase im Realbetrieb eines Mandates deutlich routinierter und weniger fehleranfällig ab. Wichtig bleibt, den Verwendern des neuen Tools weiterhin einen Kanal für Rückfragen zur Funktionsweise des Tools und den veränderten Arbeitsprozessen in der Kanzlei offen zu halten.

Nachträglich: Erfolg stabilisieren!

Bevor das Projekt beendet wird, sind in zeitlichen Abständen ggf. mehrere kurze Phasen einzuplanen, die neue Abläufe und Arbeitsweisen als neue „Gewohnheit“ festigen. Das können beispielsweise Auffrischungen von Schulungsmaßnahmen sein oder regelmäßige themenspezifische Meetings zum Legal Tech-Tool, Erproben verschiedener Varianten der Anwendung, aber auch Anerkennung der Neuerungen in der internen Kommunikation.

Wer sich mit der Schaffung optimaler Bedingungen beschäftigt, gibt Spielraum für (Weiter-)Entwicklung und kann daher nicht exakt vorhersehen, wie sich die Kanzlei durch Legal Tech verändert – doch wer es einmal schafft, neue Denkstrukturen zu etablieren, wird davon auch bei Folgeprojekten profitieren.

Foto: Adobe Stock/Song_about_summer
Weitere Beiträge

Dr. Martin Biehaule ist Senior Manager Projekte bei GSK Stockmann. Er ist Experte für Organisationsentwicklung und Change Management im Kontext der digitalen Transformation und Legal Tech. Darüber hinaus ist er als Alumnus der Stiftung der Deutschen Wirtschaft aktiv.

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