Teil 2: Eindrücke von der Berlin Legal Tech 2020: Legal Tech hat kein Ende

Von Bettina Taylor

Mandantenzufriedenheit und Legal Tech

Im Themenblock „Qualität durch Legal Tech“ stach vor allem das Thema Mandantenzufriedenheit hervor. Alisha Andert, Head of Legal Innovation bei der Arbeitsrechtskanzlei Chevalier, erzählte in ihrem Vortrag „Mandantenzufriedenheit durch Legal Tech“, mit welchen technischen Prozessen die Zufriedenheit von Mandanten erzielt, gesichert und letztlich auch objektiv gemessen werde. Die aus Flightright entstandene Kanzlei Chevalier berät vornehmlich Menschen, die sich in einer Kündigungssituation befinden. „Anfangs wollten wir Flightright nur für das Arbeitsrecht machen, haben aber schnell gemerkt, dass wir das Prinzip nicht eins zu eins übertragen können. Wer Fluggastrechte einklagt, will sich Aufwand sparen und am Ende einfach seine Entschädigung. Menschen, denen gekündigt wurde, befinden sich in einer hochemotionalen Situation. Sie haben oft Existenzängste und brauchen rund um die Uhr einen Ansprechpartner.“ Hier beschrieb Andert, wie nicht nur Service und hohe telefonische Erreichbarkeit für Mandantenzufriedenheit sorgten, sondern wie automatisierte Prozesse Anwältinnen und Anwälte entlasteten und mehr Zeit für die eigentliche Rechtsberatung schafften. „Wir lassen keine Frage unbeantwortet und erklären unseren Mandanten ihre Sachlage so oft er oder sie es möchte. Das ist erst durch die Nutzung einer digitalen Akte möglich, auf die jeder zugreifen kann. Wir erzeugen Vertrauen beim Mandanten und Legal Tech hilft uns dabei“, so Alisha Andert. Weiterhin sorge Suchmaschinenoptimierung dafür, dass Betroffene Chevalier überhaupt erst im Internet finden. „Wer arbeitsrechtliche Beratung sucht, googelt erst mal Dinge wie ‚Abfindung berechnen‘ oder ‚Kündigung was tun‘. Das bedeutet, wir müssen nicht nur bei Google ganz oben sein, sondern unsere Website so attraktiv wie möglich gestalten.“ Dafür sorge u. a. ein Tool, das im Schnellcheck-Verfahren die mögliche Abfindungssumme berechnet. Chevalier gehöre zudem zu den wenigen Kanzleien in Deutschland, die mit Marketing-Begriffen wie ‚Customer Journey‘ oder ‚Customer Centricity‘ arbeite. Mandantenzufriedenheit mache man mithilfe der Kennzahl des ‚Net Promoter Score‘ (NPS) messbar. „Den NPS berechnen wir, indem wir fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand uns weiterempfiehlt. Aktuell erreichen wir einen NPS von +78. In der Rechtsbranche beträgt der Durchschnitt +29.“ Während in Branchen wie dem Online-Handel Servicebewusstsein selbstverständlich ist, scheint die deutsche Rechtsbranche hier noch Konzepte entwickeln zu müssen. Andert verdeutlichte, dass Qualität in der Rechtsberatung nicht nur viel mit juristischem Fachwissen zu tun habe, sondern auch mit der Fähigkeit, sich in seinen Mandanten hineinzuversetzen.

Legal Tech als Legal Design-Prozess

Der Perspektivwechsel ist eine Fähigkeit, die auch Anhänger von Legal Design vermitteln wollen. Hierzu referierte Lina Kravietz, Managing Partner bei „This is Legal Design“. Sie regte dazu an, innovative Entwicklungsverfahren nicht zum Selbstzweck mutieren zu lassen. „Beim Brainstorming benutzt man Post-its nicht, weil sie so schön und bunt sind. Man nutzt sie, weil sie für eine bestimmte Funktion designed wurden. Die Funktion, nicht das Design, sollte man sich auch bei Legal Tech immer bewusst machen.“ Die Entwicklung von Legal Tech-Konzepten beschrieb Kravietz als nicht endenden Zyklus, bei dem sich der Prototyp immer mehr einem Ideal nähere. Man müsse dabei von der Idee wegkommen, etwas Perfektes oder Fertiges entwickeln zu wollen. Sei das eine Problem gelöst, folge schnell das nächste. Das erfordere Geduld und Mut zum Ausprobieren.

Hackathon-Gewinner: User-Rechte mit Legal Tech schützen

Der Konferenztag schloss mit den Vorträgen der ersten drei Gewinner-Teams des Hackathons ab, bei dem dieses Jahr rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei waren. Den dritten Platz belegte „Evidens“, ein Tool, das die Online-Beweissicherung bei Urheber- oder IP-Rechtsverstößen mithilfe von Blockchain-Technologie validierbarer machen soll. Hierzu nutze man meist Screenshots, die aber leicht manipulierbar seien. Das Team „Justice League“ wollte Hate Speech im Internet mit Legal Tech bekämpfen. Nur ein Bruchteil der Fälle werde heutzutage strafrechtlich verfolgt. Das im Hackathon entwickelte Legal Tech-Tool sollte es Usern einfach machen, Hate Speech schnell den Behörden zu melden. Auch „Dickstintion“ – das Gewinnerteam des Hackathons – wollte mit seiner Idee Menschen helfen, die von Internetkriminalität betroffen sind. Frauen, die von Männern aus dem Netz mit Bildern ihres Genitalbereichs belästigt werden, könnten dies schnell und bequem mit einer Anwendung melden und juristisch verfolgen lassen. Vor allem in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook, aber auch Dating-Plattformen wie Tinder sei dies ein Problem. Betroffene scheuten jedoch den Aufwand, sich zur Wehr zu setzen. Die Gewinnerideen des Hackathons gingen vor allem rechtliche Probleme jüngerer Generationen an und rückten dabei Verbraucherrechte in den Fokus.

Klarer Fokus auf Kernfragen rund um Legal Tech

Insgesamt brachte die Legal Tech Berlin 2020 keine bahnbrechend neuen Themen hervor, ließ die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dafür jedoch umso mehr in die zentralen Legal Tech-Bereiche, die die Mehrheit deutscher Kanzleien beschäftigt, eintauchen. Wie kann ich Mandantenzufriedenheit mit Legal Tech steigern? Was ist ein Rechtsprodukt und wo muss ich anfangen, wenn ich wiederkehrende Aufgaben in der Kanzlei automatisieren möchte? Auf diese Fragen gab es zwar keine endgültigen Antworten, dafür jedoch umso mehr Anregungen und vor allem die Botschaft, dass die Suche nach der „perfekten Legal Tech-Lösung“ niemals aufhört.

Diese Lehren nehmen wir von der Berlin Legal Tech 2020 mit:

  • Mut zum Ausprobieren
  • Keine Angst vorm Scheitern
  • Nicht die Technik, sondern der Prozess steht im Mittelpunkt
  • Legal Tech heißt, aus Mandantensicht zu denken

Die Berlin Legal Tech ist eine jährlich stattfindende internationale Konferenz mit Hackathon, die vom Legal Tech Center an der Europa-Universität Viadrina veranstaltet wird. Ins Leben gerufen wurde die Berlin Legal Tech von Blockchain-Experte RA Florian Glatz und Rechtswissenschaftler Prof. Stephan Breidenbach. Grundkonzept der Veranstaltung ist es, Jurist_innen, Entwickler_innen und Legal Engineers zusammenzubringen, um innovative Konzepte für die Rechtsberatung zu präsentieren, zu diskutieren und den Rechtsmarkt sowie das Rechtssystem neu zu denken. Neben Expertenvorträgen und Workshops findet auch ein Hackathon statt, bei dem über Nacht Legal Tech-Anwendungen entwickelt, präsentiert und in einem Wettbewerb ausgezeichnet werden. 2020 fand die Berlin Legal Tech zum vierten Mal statt. Dieses Jahr nahmen 300 Menschen an der Konferenz und den Workshops teil. Beim Hackathon gab es dieses Jahr insgesamt 120 Teilnehmer_innen.

Fotos: FFI-Verlag
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Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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