Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zum 31.01.2020 ergeben sich zahlreiche Änderungen für bilaterale Wirtschaftsbeziehungen. Ab dem 01.02.2020 beginnt jedoch zunächst eine Übergangsphase, voraussichtlich bis zum 31.12.2020. In diesem Zeitraum müssen die betroffenen Unternehmen ihre Vertragsbeziehungen analysieren und „brexit-sicher“ gestalten. RA Dr. Sven von Alemann hat als Legal Tech-Unternehmer das Vertragsanalyse-Tool rfrnz mitentwickelt. Er klärt darüber auf, wie derartige Tools bei der juristischen Aufarbeitung des Brexit helfen können.
1.Welche Fragen lassen sich mit Vertragsanalyse-Tools im Zusammenhang mit dem Brexit lösen?
Vertragsanalyse-Tools wie rfrnz können Kanzleien aber auch Unternehmensjuristen dabei unterstützen, herauszufinden, ob und wenn ja, welche Klauseln in Verträgen brexit-relevant sind. So kann etwa ein kompletter Vertragsbestand automatisiert, daraufhin durchsucht und analysiert werden. Die Technologie von rfrnz basiert auf Künstlicher Intelligenz (KI) und lernt durch Training, die entsprechenden Inhalte zu verstehen und zu identifizieren.
2.Was sind die größten juristischen Schwierigkeiten von Unternehmen im Zusammenhang mit dem Brexit?
Für die betroffenen Unternehmen erzeugt der Brexit vor allem eine nun schon länger anhaltende (Rechts-)Unsicherheit. Die Unternehmen können nicht abschließend beurteilen, in welchem Ausmaß sie vom Brexit betroffen sind. Es herrscht Ungewissheit darüber, in welchen Bereichen welche Übergangsvorschriften gelten werden und wo Unternehmen kurzfristig tätig werden müssen. Auch ist unklar, ob und in welchen Bereichen sich das Vereinigte Königreich eng an die EU binden wird oder wo es zukünftig als Drittland gilt.
3.Welche Rechtsgebiete werden rund um den Brexit am meisten berührt?
Potenziell können vom Brexit sämtliche Vertragsverhältnisse betroffen sein. Die Risiken sind daher vielfältig und umfassen unter anderem Steuer- und Zollvorschriften, IP und Datenschutz, Arbeitsrecht und Exportkontrolle sowie allgemeinvertragliche und gesellschaftsrechtliche Regelungen. Am meisten werden Kauf- und Lieferverträge in den Fokus der Prüfung rücken. Durch die Unsicherheit ist es für Unternehmen schwierig, sich angemessen auf den Brexit vorzubereiten, solange die Übergangsvorschriften nicht klar sind. Daher ist eine Voranalyse der einzelnen Risiken besonders ratsam.
4.Warum braucht man ein Legal Tech-Tool, um derartige Fragen lösen zu können?
Die Alternative zur Nutzung eines Legal Tech-Tools wie rfrnz ist die manuelle Prüfung der Verträge – in der Regel durch Beauftragung einer Kanzlei. Die Kosten einer manuellen Prüfung von sehr vielen Verträgen, vor allem durch eine Kanzlei, können allerdings schnell sehr hoch werden. Sie wird sich daher wahrscheinlich auf eine Auswahl an wichtigen Verträgen beschränken müssen. Durch den Einsatz eines Legal Tech-Tools kann durch die automatisierte Erkennung dagegen der gesamte Vertragsbestand durchgegangen werden – ohne dass die Kosten explodieren.
5.Wenn man Legal Tech zur Vertragsanalyse für Fragen rund um den Brexit einsetzen will, wie sollte man typischerweise vorgehen?
Eine abschließende rechtliche Einschätzung eines konkreten Sachverhalts ist in aller Regel Sache von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Auch beim Brexit werden die Inhouse-Juristen oder eine Kanzlei prüfen, ob einzelne Verträge oder Konstellationen rechtliche Risiken im Hinblick auf den Brexit beinhalten. Auch Vorschläge von alternativen Regelungen und Klauseln fallen in die rechtsanwaltliche Beratung. Allerdings ist es sinnvoll, das Auffinden von brexit-relevanten Regelungen im Vorfeld durch entsprechende Technologie zu automatisieren. Ein guter Ansatz ist daher eine Hybrid-Lösung: Die Zusammenarbeit von Kanzlei und Legal Tech, durch die automatisierte Erkennung der potenziell relevanten Klauseln und eine anschließende rechtliche Einschätzung von den entsprechenden Experten.
6.Was sind in diesem die Stärken derartiger Vertragsanalyse-Tools? Was können sie nicht leisten?
Legal Tech-Tools wie von rfrnz helfen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Verträge schneller und effektiver zu prüfen. Die KI-Software erkennt automatisiert relevante Informationen in Verträgen und kann damit Inhalte, Risiken oder Lücken identifizieren. Die Software kann einen Sachverhalt aber juristisch nicht beurteilen, das bleibt der Rechtsanwältin bzw. dem Rechtsanwalt überlassen. Allerdings ist das Ergebnis der Dokumentenanalyse eine gute Basis, um weitere strategische und/oder rechtliche Schritte einzuleiten sowie Verhandlungen zu führen.
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Dr. Sven von Alemann ist Rechtsanwalt und Mitgründer des Legal-Tech-Unternehmens rfrnz. Das Team um CEO Dr. Sven von Alemann, CTO Moritz Biersack und Chief Scientist Dr. Adriaan Schakel hat bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten und verfolgt das Ziel, die Vertragsanalyse mithilfe von KI zu optimieren.