Berlin Legal Tech 2020

Eindrücke von der Berlin Legal Tech 2020: Legal Tech hat kein Ende

Von Bettina Taylor

Ob Mandantenzufriedenheit, Datenschutz oder Geschäftsmodelle – Legal Tech ist kein Projekt mit Anfang und Ende, sondern ein immerwährender Prozess, der Kanzleien, gerade aufgrund ihrer Endlosigkeit, herausfordert. Diese Botschaft zog sich durch die Vorträge der Berlin Legal Tech 2020, die am 28.02. mittlerweile zum vierten Mal stattfand. Lesen Sie hier die Highlights der Konferenz.

Die etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Berlin Legal Tech 2020 erwartete ein Programm, das sich intensiv mit praktischen Fragen rund um Kanzleialltag und Legal Tech befasste. Das machte die vorgestellten Ideen und Konzepte aber nicht weniger innovativ. Zu den wohl bekanntesten Rednerinnen und Rednern gehörten Rechtsanwalt und Legal Tech-Autor Tom Brägelmann, Blockchain-Experte Florian Glatz, RA-MICRO-Gründer Dr. Peter Becker oder Legal Design-Expertin Lina Kravietz.

Daten von Google & Co. zurückerobern

„Die Politik macht nichts in Sachen Digitalisierung, wir Rechtsanwälte schon“, wurde provokant  in Richtung Bundestagskuppel, die man vom Veranstaltungsort der Berlin Legal Tech gut sehen konnte, verkündet. Ebenso hatte das erste Thema politische Relevanz: Informatiker Thorsten Dittmar gab in seinem Vortrag einen Geschmack darauf, wie es wäre, wenn User-Daten nicht mehr von internationalen Konzernen wie Google, Facebook & Co. gesteuert werden würden und Transparenz über ihre Nutzung herrschen würde. „Ob wir jemandem vertrauen oder nicht, entscheidet in der analogen Welt oftmals unser Bauchgehfühl. Im Internet funktioniert das nicht. Die digitale Welt ist so komplex geworden, dass wir uns gar nicht mehr darüber bewusst sein können, welche Konsequenzen es hat, wenn wir unsere Daten weitergeben“, erläuterte Dittmar das Grundproblem. Auf der anderen Seite erführen Menschen, die sich bewusst gegen Dienste wie WhatsApp entschieden, zum Teil soziale Ausgrenzung. Mit der DSGVO habe die EU zwar eine gute Rechtsgrundlage geschaffen, doch sowohl für Unternehmen als auch für User sei die Anwendung dieser Richtlinie immer auch mit zusätzlichem Aufwand und Kosten verbunden.

Datenschutz zum USP machen

„Was wäre, wenn man Datenschutz zum USP machen könnte?“, fragte Dittmar. Aus diesem Gedanken heraus ist die Anwendung Polypoly entstanden. Sie soll den „digitalen Schatten“ eines Menschen sichtbar machen und zeigen, welche Daten wo hinterlassen werden. Die Daten liegen dabei nicht mehr auf Servern von Internetgiganten, sondern auf dem eigenen Gerät. „Sie als digitaler Souverän stellen Ihre Daten kontrolliert verschiedenen Services bzw. Unternehmen zur Verfügung, falls Sie dies wollen. Ihre digitale Privatsphäre bleibt dabei vollständig auf Ihrem eigenen Gerät, ohne Cloud- oder Server-Abhängigkeiten“, heißt es auf der Homepage der Herstellerfirma. Wenn dem User bewusst gemacht wird, wer wie mit seinen Daten umginge, könne er seine Kaufentscheidungen entsprechend ausrichten. „Das System wird damit umgedreht: Wenn man sorgsam mit den Daten anderer umgeht, ist das gut fürs Geschäft.“ Gleichzeitig müsse der User durch vertrauenswürdiges Verhalten dafür sorgen, dass seine Daten wertvoll blieben. „Wer zu oft falsche Angaben in das System schleust, wird uninteressant.“ Das analoge Vertrauensprinzip werde somit in die digitale Welt übertragen. Betrachtet man das aktuelle Machtgefälle zwischen Internetkonzernen und dem einzelnen User, wirkte Dittmars Lösungskonzept geradezu wie eine Utopie.

Von der analogen Rechtsberatung zum digitalen Rechtsprodukt

Mit dem Stichwort Utopie ging es unter dem Titel „Digitale Kanzlei: Utopie oder Wirklichkeit?“ entsprechend weiter. Der nächste Vortrag kam von Tina Egolf, die als Product Strategy Consultant schon für Großkanzleien gearbeitet hat. Sie machte klar, dass der Prozess zum Rechtsprodukt prinzipiell simpel, in der Umsetzung aber komplex sei. Hier präsentierte sie vier Schritte, die eine Kanzlei auf dem Weg zum Rechtsprodukt zu meistern habe:

  1. Am Anfang steht die manuelle Dienstleistung (Rechtsberatung).
  2. Diese manuelle Dienstleistung lässt sich mit e-Akte & Co. digitalisieren.
  3. Digitale Prozesse werden zum Teil automatisiert.
  4. Aus dem automatisierten Prozess wird ein standardisiertes Produkt entwickelt.

Die Herausforderung bei der Entwicklung von Rechtsprodukten liege laut Egolf darin, zu identifizieren, welche Punkte sich innerhalb der Dienstleistung digitalisieren und automatisieren ließen. „Man kann nicht alles automatisieren, aber man kann fast alles digitalisieren.“ Wenn man Rechtsprodukte etabliere, veränderten sich in der Konsequenz auch die Machtverhältnisse: „Es ist nicht mehr die Genialität des Anwalts, die verkauft wird. Das hat auch Auswirkungen auf Honorarstrukturen.“ Sie empfahl, auf Kundenzentriertheit zu setzen: „Bei Legal Tech geht es nicht darum, Technik zu verstehen. Es geht darum, den Kunden zu verstehen und das erfordert eine Menge Recherche, die die meisten scheuen.“ Erst, wenn dieser Schritt getan sei, könne man überhaupt erst mit der Produktentwicklung beginnen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierbei seien interdisziplinäre Teams.

Neue Geschäftsmodelle mit Legal Tech

Auch Janina Erichsen, Associate bei der Kanzlei BMH BRÄUTIGAM & PARTNER, setzte bei ihrem Vortrag zum Thema „Neue Geschäftsmodelle für Anwälte“ auf pragmatische Herangehensweisen. Pragmatisch stellte sich auch ihre Grundmotivation bei der Auseinandersetzung mit Legal Tech dar: „Am Anfang meiner Karriere habe ich oft dasselbe gemacht und deswegen viele Überstunden angesammelt. Irgendwann habe ich mich gefragt: Kann man diese Arbeit nicht auch einfacher erledigen?“ Legal Tech sei für innovative Geschäftsmodelle interessant, weil es dafür sorge, dass die Kosten trotz hohem Umsatz gering blieben. Was auf den ersten Blick vorteilhaft erscheint, habe für viele Kanzleien ein Umdenken zur Folge: Wie kann man außerhalb von ‚billable hours‘ Rechtsdienstleistungen abrechnen? Auch partnerschaftliche Kanzleistrukturen führten dazu, dass Investitionen in Innovation gebremst werden würden. „Partner wissen nicht, ob sie in zehn Jahren noch in der Kanzlei sind. Deswegen scheuen sie sich oft davor, in die Zukunft zu investieren“, verriet Erichsen im Interview. Gezieltes Change Management innerhalb einer Kanzlei gehöre daher zu den Schlüsselfaktoren, wenn es um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ginge.

Konferenz mit interaktivem Programmabschnitt

Nach Vorträgen von Branchengrößen wie RA-MICRO-Gründer Dr. Peter Becker und Prof. Stephan Breidenbach folgte ein interaktiver Programmabschnitt, bei dem die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer Gelegenheit hatten, Legal Tech-Themen durch eigenes Ausprobieren kennenzulernen. Zur Auswahl standen Vertragsgestaltung, Massenverfahren mit Legal Tech und Robotic Process Automation (RPA). Andreas Steuer, bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mazars für den Bereich Digital Solutions zuständig, bot eine Einführung in den Bereich RPA und demonstrierte, dass bereits eine durchdachte Excel-Datei zur Automatisierung von Kanzleiprozessen verhelfen kann. Mit RPA könnten sich wiederholende und wenig wertschöpfende Aufgaben, wie die Aktenablage, an Bots weitergeben werden.

Teil II: Lesen Sie hier den zweiten Teil des Berichts zur Berlin Legal Tech 2020

Fotos: FFI-Verlag
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Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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