Low Code

Low-Code/No-Code? Better than no code!

Wie es gelingt, auch ohne Programmierkenntnisse eigene Anwendungen zu entwickeln

Von Simon Reuvekamp

Haben Sie sich auch schon mal über die Programmierer Ihrer Anwendung geärgert? Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit, es besser zu machen. Denn mittlerweile gibt es einen bunten Strauß an Werkzeugen, die es Ihnen ermöglichen, selbst Programme zu entwickeln und das (ganz) ohne Programmiererfahrungen.

Zugegeben, ich programmiere seit mehr als 40 Jahren. Mal mehr, mal weniger. Und auch während meiner Ausbildung war es ein Prüfungsfach. Allerdings sind diese Erfahrungen heute kaum noch etwas wert. Basic und COBOL sind keine aktuellen Programmiersprachen. Zwischenzeitliche Versuche mit C++ oder Cocoa (Apple) scheiterten kläglich an der Zeit, mich wirklich in diese Programmiersprachen einzuarbeiten. Und so beschränkten sich meine Programmiertätigkeiten lange Zeit auf den heimischen DVD-Rekorder.

Doch in den letzten zwei Jahren hat sich meine Lust und sogar der Spaß an der Programmentwicklung stark verändert. Der Grund dafür liegt in der aktuellen Bandbreite an Werkzeugen, die es ermöglichen, mit wenig Aufwand erstaunliche Ergebnisse zu erzielen.

Was bedeutet „Low-Code“ oder „No-Code“?

Die Begriffe „Low-Code“ oder sogar „No-Code“ beschreiben Werkzeuge, die mit einem reduzierten, dafür aber einfachen – und daher für (fast) jede:n Anwender:in nutzbaren – Funktionsumfang daherkommen. Ihre Aufgabe ist es dann nur noch, die vordefinierten Befehle in die Reihenfolge zu bringen, die für die gewünschte Aufgabe erforderlich ist.

Wer schon einmal eine Internetseite mithilfe eines speziellen Editors gebaut hat, kann vielleicht schon nachvollziehen, was ich meine. Dort bauen Sie die Internetseite mit den Bausteinen (Banner, Überschriften, vordefinierte Animationen, Kontaktfelder etc.), die das Programm bietet, zusammen. Das ist wesentlich einfacher und schneller, als sich erstmal in HTML-Programmierung einarbeiten müssen. Die Spezialisten werden nun vielleicht die Nase rümpfen und sagen, „zu wenig Möglichkeiten“ oder „zu langsam in der Nutzung“. Aber solange Sie meinen Zweck erfüllt, kann mir das doch egal sein oder?

Einsatzgebiete von Low-Code

Die Einsatzgebiete von No-/Low-Code-Werkzeugen sind heutzutage recht umfangreich. Doch genau hier ist – aus meiner Sicht – der entscheidende Punkt: Sie haben in aller Regel ein Spezialgebiet für die sie gebaut und angeboten werden. Um es ganz einfach auszudrücken: Ein Tool für die Erstellung einer Smartphone-App eignet sich nicht für die Text- oder Prozessautomation. Daher sollten Sie sich in jedem Fall vor Ihrem Projekt ganz genau anschauen, was Sie bauen wollen und welches Programm sich dafür eignet. Im Zweifel werden Sie später sogar mehrere Produkte haben, genauso wie Sie nicht nur einen Schraubenzieher im Haus haben.

Außerdem ist es von Bedeutung, wie groß Sie Ihre Anwendung skalieren wollen. Wenn Sie nur für sich selbst ein kleines Hilfsprogramm bauen wollen, drängen sich andere Werkzeuge auf, als wenn Sie 5, 50, 500 oder mehr Anwender:innen mit Ihrer Anwendung beglücken wollen. Aus Erfahrung kann ich berichten, dass mit dieser Auswahl auch ganz schnell die Kosten des Tools einhergehen (können). Derzeit nutze ich Werkzeuge die zwischen 300 Euro für eine einmalige Anschaffung bis hin zu 20.000 Euro pro Jahr kosten. Dies muss natürlich finanziert und mit dem „Ertrag“ gegengerechnet werden.

Um Ihnen einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten von No-/Low-Code zu geben, möchte ich Ihnen ein paar Beispiele für potenzielle Einsatzgebiete zusammenstellen. Dabei benenne ich auch das jeweilige Produkt, da ich glaube, dass dies die Sache für Sie plastischer darstellt. Dies soll kein Marktüberblick sein und auch nicht die Vorzüge gegenüber anderen Werkzeugen, die es im Markt gibt, darstellen. Es mag bessere oder günstigere Tools geben. Es sind einfach die Programme, die ich teilweise schon seit einigen Jahren einsetze und die sich bis heute als nützlich erwiesen haben.

Textautomation am Beispiel von PhraseExpress

Sie kennen sicher das Problem aus dem Büroalltag: Bestimmte Texte werden immer wieder gebraucht. Immer wieder neu schreiben ist nicht nur lästig, sondern auch teuer – vor allem, wenn das Büro nicht nur aus einer Person besteht. Je größer die Organisation, desto eher wollen Sie sicherstellen, dass die Texte qualitativ in Ordnung sind. Eine zentrale Administration wird für Sie wichtig. Die Anwender wollen einen schnellen und einfachen Zugriff. Flexibel sollen die Bausteine sein, damit Sie nicht hunderte von fixen Varianten erstellen und pflegen müssen.

Vor vielen Jahren bin ich auf der Suche nach einem entsprechenden Programm auf PhraseExpress aufmerksam geworden. Hiermit können Sie die o. g. Probleme lösen. Ganz ohne Programmierkenntnisse können Sie Variablen in die Texte einbauen. Die Texte können über selbsterstellte Dialoge zusammengesetzt werden. Varianten können über selbst eingestellte Logik automatisiert werden. Sogar ein Vertragsgenerator steht mittlerweile zur Verfügung. Wer noch tiefer einsteigen möchte, dem steht eine Verbindung zu SQL-Datenbanken zur Verfügung.

Klickwege und Tastatureingaben automatisieren

Als Ergänzung bietet der Hersteller einen Maus-Rekorder an. Damit können Sie Klickwege und Tastatureingaben automatisieren. Wenn Sie also eine Aufgabenstellung wieder und immer wieder ausführen müssen, es aber nicht selbst machen wollen, dann ist dies ein Einstieg in RPA (Robotic Process Automation). Tatsächlich habe ich mit diesem Tool vor einigen Jahren eine (zugegeben eingeschränkte) Datenübertragung von einem System in ein anderes umgesetzt. Der Roboter lief ein ganzes Wochenende und der Kunde war zufrieden. Damals hatte ich noch keine Ahnung, wie oft ich das Prinzip dieses ersten Versuchs in Zukunft noch anwenden würde.

Makroprogrammierung am Beispiel von MacroScheduler

Die Optik dieses Programms scheint ein wenig in die Jahre gekommen zu sein. Für mich ist es aber ein Programm, das einige Vorzüge hat, die ich teilweise bei anderen wesentlich teureren Produkten vermisse.

Tatsächlich habe ich mir damals MacroScheduler zugelegt, als ich mit dem o. g. Maus-Rekorder an die Grenzen stieß und etwas mehr Leistungsvielfalt brauchte. Grundsätzlich kann man, wie beim Maus-Rekorder einen Klickweg aufzeichnen und immer wieder abspielen. Wer dann aber etwas in die „Programmiersprache“ einsteigt, entdeckt viele Funktionen, die den Alltag von ungeliebten Aufgaben entlasten können. So können Sie beispielsweise Inhalte auf dem Bildschirm via OCR auslesen und für Ihre Automation nutzen. Für die Dialogsteuerung bietet das Programm einen eigenen Dialogeditor. Alle Funktionen können wahlweise als Programmtext manuell geschrieben werden oder – grade für Anfänger:innen hilfreich – über die angebotenen Assistenten zusammengestellt werden.

Das Highlight für mich ist jedoch, dass das Ergebnis als ausführbare EXE-Datei gespeichert und damit sehr einfach in der eigenen Organisation verteilt werden kann. Diese Option fehlt beispielsweise den anderen hier genannten Produkten.

Prozessautomation am Beispiel von Microsoft Power-Automate

Längst hat Microsoft ebenfalls das Potenzial und die Konkurrenz in diesem Umfeld erkannt und bietet mit Power Automate (PA) eine eigene Lösung zur Automation durch den Anwender bzw. die Anwenderin an. Neben der eigenen Entwicklung wurde zuletzt auch ein bereits etabliertes Werkzeug aufgekauft und in PA integriert.

Wer „Programmierung“ günstig testen möchte und dabei auf eine einfache Handhabung Wert legt, der sollte sich einmal hiermit beschäftigen. Günstig deshalb, weil es kostenlos zu testen oder zu moderaten Konditionen zusätzlich gebucht werden kann. Wer allerdings einmal auf den Geschmack gekommen ist und das Produkt größer skalieren möchte, der muss zusätzliche Komponenten hinzubuchen. Sogar optionale KI-Pakete stehen zur Verfügung.

Für Low-Code-Anfänger:innen gut geeignet

Die einfache Handhabung definiert sich durch den Editor, bei dem man aus dem Befehlsumfang mittels Drag & Drop die Funktionen nacheinander in den Ablauf zieht, die dann später in der gewünschten Reihenfolge abgearbeitet werden. Besonders umfangreich und sicher für Anfänger:innen hilfreich, ist die Vielzahl von bereits vorbereiteten Automationen zu diversen Programmen von A wie Adobe bis Z wie Zoom. Diese können aus der Datenbank aufgerufen und einfach genutzt oder in die eigene Entwicklung integriert werden.

Wie auch die beiden zuvor genannten Produkte gibt es hier einen Rekorder, mit dem Anfänger:innen auf wirklich einfachste Art ihren ersten Roboter programmieren können.

Ein schlagendes Argument für dieses Produkt könnte werden, dass hier die Microsoft Office-Integration vom Hersteller selbst entwickelt wird. Bei meinen ersten Versuchen mit diesem Werkzeug hat mich dies schon sehr beeindruckt. Leider konnte ich noch nicht so viele Erfahrungen sammeln wie bei den anderen Produkten. Ich bin aber davon überzeugt, dass es sich lohnen wird, dieses Werkzeug im Auge zu behalten.

Prozessautomatisierung im Enterprise Segment am Beispiel UiPath

Als ich vor zwei Jahren innerhalb eines kurzen Zeitraums eine enorme Menge an Akten in einer komplexen Abfolge von Funktionen, inkl. der Automation der erforderlichen Vorbereitung der beA-Dokumente, umsetzen musste, haben wir dies mit UiPath umgesetzt. Insgesamt war das Projekt ein voller Erfolg. Damals störte mich jedoch, dass die Programmierung recht anspruchsvoll war und ich daher auf die Unterstützung eines (zum Glück hervorgegangen) externen Dienstleiters angewiesen war.

Doch mit der aktuellen Version gibt es nun auch hier einen Editor, mit dem Sie einfach per Drag & Drop aus einer Liste von Funktionen die gewünschten auswählen und aneinanderreihen können. Besonders Anfänger:innen können sich zunächst der Aufzeichnungsfunktion bedienen, die den Klickweg und die Programmbedienung aufzeichnet und als nahezu fertiges Programm speichert. Diese Ergebnisse können dann mit zusätzlichen Funktionen angereichert und so zu einer echten Automation umgewandelt werden.

Auch die alte HTML-Programmierung für automatisierte E-Mails wurde durch eine „Einbindung“ von Word für ungeübte Anwender:innen erheblich einfacher. So können Sie nun in Word Ihre Vorlage erstellen und in der Automation als E-Mail-Text nutzen.

Sehr gute Identifizierung von Eingabe- und Datenfelder anderer Programme

Besonders beeindruckt hat mich jedoch, wie gut das Programm die Optik anderer Anwendungen und damit die Eingabe- und Datenfelder identifiziert. Entweder erkennt das System die Felder automatisch oder Sie können manuell einen sogenannten Anker setzen. Dadurch ist man nicht mehr gezwungen, die Pixel auf dem Bildschirm zu zählen, damit die Maus weiß, wo sie den Cursor für die nächste Dateneingabe ablegen soll.

Warum dies so bedeutend ist, möchte ich kurz erläutern: Wie viele Kanzleien nutzen auch wir eine etablierte Kanzleisoftware, die den Nukleus unserer täglichen Arbeit darstellt. Alle von uns erstellten Automationen setzen auf dieser Kanzleisoftware auf. Ein Manko dabei war bislang, dass die sichere Ansteuerung der richtigen Eingabefelder ein Problem darstellte. Im Einzelfall muss man ausprobieren, welche Technik am sichersten funktioniert. Und dennoch kann es vorkommen, dass das Programm an einer Stelle abbricht, weil das Feld nicht sicher gefunden wird. In einem ersten Feldtest konnte ich hier bereits eine deutliche Verbesserung feststellen. Mögliche Ausnahmen liegen nach meiner Erfahrung nicht an UiPath, sondern an der fernzusteuernden Software.

Automation von Text- und Organisation am Beispiel von BRYTER

BRYTER fällt etwas aus dem Rahmen der bislang vorgestellten Produkte. Es unterstützt keine Roboterprogrammierung externer Produkte und ist die einzige reine Cloud-Anwendung. So können wir damit nur die Ergebnisse (Daten und Texte) für unsere Kanzleisoftware nutzen. Die Stärken dieser Lösung liegen allerdings in der einfachen Erstellung von Entscheidungsbäumen, mit denen komplexe Logiken und entsprechende Abfragemasken mit minimalem Schulungsaufwand generiert werden können. Das Ergebnis können Datenbanken und/oder individuelle Texte sein. Stellen Sie sich einfach vor, dass der Anwender bzw. die Anwenderin x Fragen gestellt bekommt und aus der Beantwortung ergibt sich ein individueller Text mit Daten aus den Fragen. Besonders schön ist, dass die Kommunikation mit den Nutzer:innen direkt via E-Mail automatisiert werden kann. Fehler in der Programmierung können über einen speziellen Debug Modus gefunden werden.

Der Fokus des Herstellers ist dabei die konsequente Einhaltung von No-Code, was etwas auf Kosten des Funktionsumfangs geht. Allerdings kommen gefühlt jeden Monat neue hilfreiche Funktionen hinzu. In dem Segment, in dem sich das Produkt sieht, ist es in jedem Fall einen näheren Blick wert.

Schnittstellen zu den etablierten Systemen

In allen genannten Produkten gibt es mehr oder weniger umfangreiche Anbindungen bereits vorhandener Systeme. Microsoft Office, SQL-Datenbanken, Internetbrowser etc. können damit einfach angesteuert werden. Wenn Sie jedoch schon eine andere wichtige Software im Einsatz haben, dann sollte Sie prüfen, ob es hierzu ebenso bereits Schnittstellen gibt und/oder wie „Ihre“ Software am besten angesteuert werden kann.

Fazit: Repetitive Aufgaben identifizieren und loslegen

Das waren die Programme und Einsatzszenarien von No-/Low-Code sowie RPA, die ich im täglichen Einsatz habe. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht eines dieser Produkte nutzen. Ein Großteil dieses Textes ist während meines Urlaubs entstanden. Sie wissen gar nicht, wie beruhigend es ist, wenn, während Sie es sich gutgehen lassen, regelmäßig die automatischen Quittungen der Roboter bei Ihnen eingehen und Sie wissen, dass mal wieder eine Standardaufgabe automatisch erledigt wurde.

Rückblickend auf die letzten zwei Jahre, in denen wir dutzende Prozessautomationen erstellt und genutzt haben, ist meine Empfehlung an Sie: Schauen Sie mal, welche monotonen Aufgaben bei Ihnen immer wieder anfallen. Überlegen Sie, ob diese automatisiert werden können und welches Tool sich dafür am besten eignet. Fangen Sie klein an und werden Sie mit der Zeit mutiger. Aber eines verspreche ich Ihnen: Low-Code ist besser als no code.

Foto: Adobe Stock/Tierney
Simon Reuvekamp
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Simon Reuvekamp ist CTO bei Meyer-Köring mit Sitz in Bonn und Berlin. Seit 1990 berät er als Spezialist für Kanzleisoftware und Diktiersysteme Rechtsanwaltskanzleien. Seit 2019 leitet er die IT-Abteilung der Kanzlei mit 90 Mitarbeiter:innen. Die Kanzlei setzt einen eindeutigen Fokus auf den Einsatz von IT. Hierzu zählen diverse Produkte von der klassischen Kanzleisoftware bis hin zu RPA-Anwendungen zur Prozessautomatisierung.

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