Von René Fergen
Nach welchen Kriterien wählen Mandant:innen (wir sprechen im Folgenden nur über Privatpersonen) ihren Rechtsanwalt aus? Es sind wahrscheinlich andere, als Sie denken. Denken Sie an Ihren Zahnarzt: Wissen Sie, ob dieser medizinisch gut ist? Wissen Sie, dass er ein besserer Mediziner ist als die 20 anderen Zahnärzte in Ihrer Stadt? Wahrscheinlich nicht. Woher wollen Sie das auch wissen? Sie sind eben kein Mediziner. Sie suchen Ihren Zahnarzt also nicht nach seiner fachlichen Qualifikation aus. Sie gehen einfach davon aus, dass er Ihnen bei Ihrem Anliegen helfen kann. Er ist schließlich Zahnarzt! Aber woran machen Sie jetzt fest, ob Ihr Zahnarzt gut ist? Ganz einfach: An Ihrem Kundenerlebnis, also der Gesamtheit Ihrer Interaktionen mit dem Unternehmen.
Für die meisten Menschen ist ein Zahnarzt gut, wenn er leicht auffindbar und einfach kontaktierbar ist. Man kann bei ihm schnell einen Termin erhalten – im Optimalfall sogar gleich einen auf der Website buchen. Das Personal ist freundlich und respektvoll. Der Zahnarzt nimmt sich Zeit für Sie. Der Kontakt und die Termine sind schnell und einfach. Dass er Ihnen die Zahnfüllung ordentlich setzt, setzen Sie voraus. Und solange Sie nicht mit mehr Beschwerden als zuvor die Zahnarztpraxis verlassen, sind Sie zufrieden.
Und was hat das jetzt mit Anwältinnen und Anwälten zu tun?
Genau so denken Ihre Mandant:innen über Rechtsanwälte. Ihr nächster Mandant weiß nicht, ob Sie ein besserer Jurist als andere sind. Er geht davon aus, dass Sie ihm weiterhelfen können – Sie sind ja schließlich Rechtsanwalt! Ihre rechtliche Beratung ist zwar Ihr Hauptprodukt, aber diese Leistungen bieten andere Kanzleien auch an. Was den Unterschied macht und entscheidet, ob ihr Mandant Sie weiterempfiehlt, ist das Mandantenerlebnis, das Sie bieten:
- Wie gut sind Sie online auffindbar?
- Wie schnell und einfach erhält man einen Termin?
- Kann man bereits auf Ihrer Website flexibel eine Anfrage stellen?
- Wie einfach und schnell kann man Dokumente und Informationen übermitteln?
- Können diese schon vorab hochgeladen werden oder müssen sie zum Termin mitgebracht und im Wartezimmer erst einmal Formulare ausgefüllt werden?
- Stellen Sie im ersten Termin erst einmal eine Vielzahl an Fragen oder können diese schon vorab zuhause mithilfe eines Fragebogens beantwortet werden?
- Wird man zu seiner Sache automatisiert per E-Mail auf dem Laufenden gehalten oder sind wiederholte Nachfragen nötig?
Die meisten Kanzleien setzen auch in der Werbung auf ihre fachliche Kompetenz. Und als Jurist:innen wissen wir, dass genau das am Ende elementar wichtig ist. Nichtsdestotrotz gibt es einen Unterschied zwischen Ihrer tatsächlichen Kompetenz und Ihrer wahrgenommenen Kompetenz. Für Mandant:innen heben Sie sich von anderen Jurist:innen nicht durch Expertise ab, sondern durch das Erlebnis, das Sie ihnen bieten. Ist dieses gut, steigt Ihre wahrgenommene Kompetenz und so auch die Wahrnehmung Ihrer rechtlichen Leistung als Hauptprodukt.
Wie schaffe ich als Kanzlei ein besonderes Mandantenerlebnis?
In Zukunft werden die folgenden Punkte darüber entscheiden, wer Mandant:innen gewinnt (und hält) und wer nicht:
- Offene Türen (niedrigschwellige Kontaktmöglichkeiten)
- Reaktionsart und -zeit
- Einbindung des Mandanten
- Transparente Preise und Bezahlung
- Empathie
Wie die Kanzlei der Zukunft arbeitet
1. Bieten Sie offene Türen an (Make it easy!)
Der Großteil der Rechtsuchenden bedient heute bei der Suche nach der passenden Anwältin das Internet. Seien Sie dort, wo Ihre potenziellen Mandant:innen sind – seien Sie im Internet gut auffindbar. Damit endet es jedoch noch nicht: Wenn jemand auf Ihrer Website landet, machen Sie es ihm leicht, Kontakt aufzunehmen?
Neben den Bürozeiten ist dabei auch Folgendes zu beachten: Immer mehr Privatpersonen erledigen heute Hotelbuchungen, Arztterminbuchungen und sogar ihre Steuererklärung schnell und einfach per Smartphone. Sie sind es also immer mehr gewohnt, alle Services und Produkte mit einigen Klicks über ihr Handy zu buchen. Die Folge: Immer weniger Menschen möchten telefonieren. Ermöglichen Sie potenziellen Mandant:innen also, sich abends auf der Couch, morgens in der Bahn oder nachmittags auf der Arbeit mit ihrem Problem an Sie zu wenden. So halten Sie die Hürden niedrig und machen es Mandant:innen einfach.
2. Wie schnell reagieren Sie?
Kennen Sie das folgende Szenario? Ein Rechtsuchender ruft in Ihrer Kanzlei an, Sie sind jedoch beschäftigt. Nach zwei Stunden rufen Sie zurück und erhalten die Rückmeldung, dass sich die Sache bereits erledigt habe (die Kurzform für: Ich habe in der Zwischenzeit einen anderen Anwalt erreicht).
Ihre potenziellen Mandant:innen möchten eine schnelle Rückmeldung erhalten. Das muss nicht sofort ein persönlicher Anruf sein. Viele Menschen sind bereits zufrieden, wenn sie merken, dass ihr Anliegen aufgenommen und bearbeitet wird. Mit einer sofortigen E-Mail, die den Eingang der Anfrage bestätigt, die schnellstmögliche Bearbeitung zusichert und Ausblick auf die nächsten Schritte gibt, heben Sie sich bereits von den meisten Kanzleien ab und verschaffen vielen Ihrer potenziellen Mandant.innen einen zufriedenstellenden Erstkontakt. Dafür müssen Sie und Ihr Personal auch nicht ständig verfügbar sein: Eine solche E-Mail-Sequenz lässt sich automatisiert abbilden. Einige moderne Kanzleien bieten, nach einer ersten Sichtung der Informationen, zudem die Möglichkeit einer Online-Terminbuchung. So bieten Sie ein Kundenerlebnis auf höchstem Niveau, denn Sie ersparen den Rechtssuchenden die Ungewissheit des Rückruf-Zeitpunkts, einen Rückruf zu unpassenden Zeiten und den zeitraubenden Tanz bei der telefonischen Terminfindung („Ich hätte noch den 13. Um 12.00 Uhr“ – „Der passt leider nicht, ginge auch der 14.?“ – „Leider nicht, aber ...“). So optimieren und beschleunigen Sie den Weg des potenziellen Mandanten zur persönlichen Betreuung und entlasten darüber hinaus Ihr Sekretariat.
3. Halten Sie Mandant:innen auf dem Laufenden
Sie haben die Mandantin durch ein großartiges Kundenerlebnis gewonnen, jetzt heißt es: Auf dem Laufenden halten! Für Sie ist es vielleicht der fünfte Verkehrsunfall in dieser Woche. Für Ihre Mandantin ist es der erste Verkehrsunfall in ihrem Leben. Darüber hinaus ist sie vielleicht dringend auf das Geld der Versicherung angewiesen. Sie ist in dieser neuen Situation ängstlich, aufgeregt und angespannt. Sie möchte deshalb wissen, was mit ihrem Fall passiert – und fragt bei Ihnen nach. Ihre Kanzlei wird durch solche ständigen Anrufe und Nachfragen von der Mandatsbearbeitung abgehalten, aber glauben Sie mir: Ihre Mandant:innen haben auch keine Lust darauf. Eine Lösung, die beiden Seiten das Leben leichter macht: ein Mandantenportal. Gibt es Neuigkeiten, wie neu erstellte Schriftsätze, können diese dort hochgeladen und die Mandant:innen sofort benachrichtigt werden. Im besten Fall können dort auch gleich Rückfragen und Anmerkungen ausgetauscht werden.
4. Preise und Bezahlung
Ein kleines Gedankenexperiment (von Ed Walters, CEO von Fastcase): Sie gehen in ein schickes Restaurant und bestellen Hummer. Da Sie auf der Speisekarte keinen Preis finden, fragen Sie den Kellner, wie viel der Hummer kostet. Er sagt, dass der Preis die Zeit des Fischers, die Zeit, die der LKW-Fahrer braucht, um den Hummer zum Restaurant zu bringen, und die Zeit, die der Koch braucht, um den Hummer zuzubereiten, berücksichtigen muss. Den Preis erfahren Sie erst mit der Rechnung nach dem Essen. Würden Sie den Hummer bestellen?
Es gibt einen Grund, warum Restaurants feste Preise setzen: So können Sie als Gast Ihr Essen genießen, ohne sich Sorgen über die endgültigen Kosten machen zu müssen. Die meisten Anwaltskanzleien tun dies nicht, und so zögern viele potenzielle Rechtssuchende bei der Beauftragung eines Anwalts oder machen sich bei jedem Arbeitsschritt erhebliche Sorgen um den endgültigen Preis. Das verschlechtert das Kundenerlebnis. Eine Lösung stellen in solchen Fällen Pauschalhonorare dar. Sollten diese nicht möglich sein, hilft auch schon eine erhöhte Preistransparenz im ersten Gespräch und insbesondere am Ende bei der Rechnungsstellung.
5. Empathie
Der für mich wichtigste Punkt. Nutzen Sie die Möglichkeiten, die Technologie Ihnen bietet. Die Anzahl der Arbeitsschritte, die Technologie Jurist:innen und Kanzleimitarbeitenden abnehmen kann, wird sich in Zukunft weiter erhöhen. Es gibt jedoch eine Sache, die Ihnen Technologie nicht abnehmen können wird: Empathie.
Sie können den besten Internetauftritt und die einfachste und schnellste Mandatierungsstrecke haben – das wird keinen Mandanten wiederkommen lassen, der sich bei Ihnen nicht wertgeschätzt und gut behandelt fühlt. Als Mensch mit einem Rechtsproblem möchte ich mit jemandem sprechen, der mein Problem versteht und sich damit befasst. Nehmen Sie sich also die nötige Zeit für Ihre Mandant:innen und vermitteln Sie ihnen nicht das Gefühl, als ein Fall von vielen abgefertigt zu werden. Je mehr Aufgaben Technologie übernehmen wird, desto wichtiger und entscheidender wird Empathie werden.
Fazit: Die Mandantinnen und Mandanten im Blick
Den Konkurrenzkampf im B2C-Sektor wird nicht die juristisch beste Rechtsanwaltskanzlei gewinnen. Wirtschaftlich erfolgreich werden die Kanzleien, die sich Gedanken über ihr Mandantenerlebnis machen. Aber keine Angst: Ein gutes Mandantenerlebnis zu schaffen, ist heutzutage keine Raketenwissenschaft. Mit modernen Tools zur einfachen Kontaktaufnahme und Mandatsanbahnung können sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ohne hohen Aufwand ein exzellentes Kundenerlebnis und damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Bild: Adobe Stock/© Feodora
René Fergen ist Diplom-Jurist, Co-Founder und Geschäftsführer von JUPUS sowie Gründer und Vorsitzender des Legal Tech Trier e.V. Sein Studium hat er in Trier und Sheffield absolviert.