digitale transformation

Digitale Transformation in Kanzleien meistern

Zehn Schritte zum Erfolg

Von Natcha Hölge

Klassische Anwaltsarbeit – davon haben die meisten wohl eine gute und zutreffende Vorstellung. Dass das Berufsbild von Rechtsanwält:innen und Kanzleimitarbeitenden bisweilen einen gravierenden Wandel durchlebt, der entscheidenden Einfluss auf eben dieses und die gesamte Arbeit in der Kanzlei nimmt, ist ebenso nicht von der Hand zu weisen. „Wandel“ ist dabei ein recht kleines Wort für die tiefgreifenden Veränderungen, vor denen die Rechtsbranche seit einigen Jahren steht.

Woher kommt der Wandel?

Im Spannungsfeld zwischen Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz (KI) und Personalmangel einerseits sowie althergebrachte Arbeitsweisen und steigenden Qualitätsansprüchen der Mandantschaft andererseits, stehen Anwaltskanzleien heute vor großen Herausforderungen. Während Großkanzleien brereits stark in Technologien mit transformativem Potenzial investieren – etwa in KI- und Cloudtechnologien – und in hohem Maße datengetrieben arbeiten, trifft dies auf kleinere und mittlere Kanzleien noch nicht zu. Lediglich 68 Prozent der Anwält:innen innerhalb der USA und Europas nutzen Generative KI –  und das nicht häufiger als einmal pro Woche.[1]

Vertragsanalyse, Texterstellung, Chatbots oder sogar die Prognose von Rechtsentscheidungen – der denkbare Einsatz von KI-Tools ist schier grenzenlos. Damit digitale oder KI-gestützte Arbeitsweisen und Tools jedoch ihren vollen Nutzen entfalten und echte Unterstützung bringen, gilt es jedoch oftmals, bestehende Prozesse und Programme anzupassen.

Klar ist also: Veränderung muss her. Dabei stellt sich häufig erst in zweiter Linie die Frage, wo etwa KI zum Einsatz kommen kann oder wozu eine Cloud sinnvoll ist – vielfach hakt es bereits bei der elektronischen Aktenführung. Neue gesetzliche Vorgaben wie die E-Rechnungspflicht im B2B-Bereich tun ein Übriges, um die bestehende Unsicherheit zu verstärken. Spätestens jetzt haben viele Anwält:innen das Gefühl, tätig werden zu müssen oder in Zukunft digital abgehängt zu werden. So sind 58 Prozent der Kanzleien bereit, innerhalb der nächsten drei Jahre verstärkt in neue Technologien wie KI zu investieren.[2] So viel Gleichzeitigkeit und Tatendrang führt nicht selten zu einem Zustand der Lähmung.

Was ist wichtig, was ist nur Spielerei? Wo fängt man mit der Umsetzung von Transformationsprojekten an und wie stellt man sicher, dass man alle Mitarbeitenden auf dem Weg mitnimmt? Muss man das überhaupt? Und wer kann dabei unterstützen, den gewaltigen Veränderungsprozess zu bewältigen und die Kanzlei zukunftsfähig aufzustellen?

Chancen und Herausforderungen

Klar ist: Eine zeitgemäß aufgestellte Kanzlei bietet Mandant:innen und Mitarbeiter:innen wesentliche Annehmlichkeiten. Bessere, schnellere Kommunikation, Prozesseffizienz und die Möglichkeit, bessere und möglicherweise breitere Dienstleistungen anzubieten sind nur einige. Datenschutzbedenken, Implementierungskosten und veränderte Rahmenbedingungen in der Mandantenkommunikation beinhalten hingegen Herausforderungen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Häufig führen diese zu Widerstand gegen Veränderungen.

Faktor Mensch

Den Blick ausschließlich auf die Kanzleileiter:innen zu richten, wäre zu kurz gegriffen. Change betrifft alle. Insbesondere Mitarbeitende müssen schließlich imstande sein, für reibungslose Prozesse zu sorgen, oder aber Softwarelösungen und Tools kompetent und effizient zu bedienen.

Damit Veränderungsprozesse nachhaltigen Erfolg versprechen, ist eine strukturierte Herangehensweise immens wichtig.

1. Frühzeitige Einbindung der Mitarbeitenden

Grundsätzlich gilt: Es ist unerlässlich, alle Mitarbeitenden von Anfang an in den bevorstehenden Transformationsprozess einzubeziehen. Regelmäßige Meetings und offene Kommunikation sorgen für Transparenz und fördern das Verständnis für die Notwendigkeit der Veränderungen. Nur so kann Bewusstsein geschaffen werden, dass Change-Management-Prozesse einen kulturellen Wandel beinhalten, nicht nur das Drehen bestimmter Stellschrauben.

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2. Zurück zum Anfang: die Analyse des Ist-Zustands

Am Anfang steht die Bestandsaufnahme. Auf welchem Digitalisierungsstand befindet sich die Kanzlei? Wichtig ist, ein realistisches Bild darüber zu erhalten, wie aktuell gearbeitet wird.

Der Ist-Zustand bestimmt das weitere Vorgehen. Ist die Aktenführung noch nicht digitalisiert, macht es wenig Sinn, über die Implementierung von KI-Tools nachzudenken. Jeder Change-Prozess beginnt also mit einer gründlichen und ehrlichen Analyse der Schwachstellen und Optimierungspotenziale innerhalb der Kanzleiprozesse. Welche Prozesse sind wiederkehrend oder echte Zeitfresser? Wo gibt es Medienbrüche? Wo sind Prozesse fehleranfällig oder Zuständigkeiten nicht richtig geklärt? Gibt es Vertretungsregelungen und wo brechen Prozesse sogar ab? Welche Anforderungen werden an zukünftige Arbeitsabläufe gestellt? Diese sind nur einige Fragen, die in dem Zuge evaluiert werden sollten.

3. Optimierungspotenzial herausarbeiten

Wo stehen wir? Diese Frage sollte nun beantwortet sein. Nun gilt es, die richtige Richtung auszumachen, für optimierungsbedürftige Prozesse das richtige Tool zu finden oder gar neue Prozesse zu modellieren. Hier lohnt es sich immer, externe Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen, um für die Kanzlei die individuell passende Lösung oder das richtige Tool für den jeweiligen Prozess auszumachen.

4. Weiterbildungen

Gezielte Schulungs- und Weiterbildungsprogramme sind unerlässlich, um die Mitarbeitenden mit neuen Technologien und Arbeitsweisen vertraut zu machen. Wichtig: Schulungen müssen praxisnah und auf die spezifischen Prozesse und Bedürfnisse der Kanzlei und ihrer Mitarbeitenden zugeschnitten sein. Das beste generative KI-Tool nützt wenig, wenn die User:innen nicht wissen, wie zielführende Prompts funktionieren.

5. Pilotprojekte

Pilotprojekte sind sinnvoll, um neue Technologien und Prozesse in einem kleineren Rahmen zu testen, bevor sie in der gesamten Kanzlei implementiert werden. So können Risiken minimiert, Erfahrungen gesammelt und Anpassungen rechtzeitig vorgenommen werden.

6. Kommunikation

Mitarbeitende sollten stets ermutigt werden, ihre Erfahrungen und Vorschläge zu teilen, aber auch ihre Bedenken zu formulieren. Dies kann durch regelmäßige Feedback-Runden oder anonyme Umfragen geschehen. Nur so können kontinuierliche Verbesserungen erzielt und Hemmschwellen abgebaut werden.

7. Motivation

Digitale oder durch KI-gestützte Kanzleiprozesse können für Mitarbeitende ein spannender Motivationsfaktor sein. Wiederkehrende Routineaufgaben fallen weg, Mitarbeitende können sich eher auf Aufgaben konzentrieren, die mehr Abwechslung und Herausforderung bieten. Ein positives Arbeitsumfeld fördert im Umkehrschluss die Bereitschaft zur Veränderung. Mithin ist der Digitalisierungsgrad einer Kanzlei auch Anreiz für potenzielle Mitarbeitende, die reibungslose Prozesse und Unterstützung durch geeignete Tools zu schätzen wissen und auf der Suche nach einem modernen, digitalen Arbeitsumfeld sind. Dies ist ein Plus in Zeiten großen Fachkräftemangels.

8. Rollen und Verantwortlichkeiten

Klare Rollen und Verantwortlichkeiten helfen, den Wandel strukturiert zu gestalten. Mitarbeitende, die besonders IT-affin sind, können als Digitalisierungsbeauftragte fungieren und den Transformationsprozess aktiv unterstützen.

Diese Mitarbeitenden können zudem als Mentor:innen für ihre Kolleg:innen fungieren und ihre Kenntnisse niederschwellig weitergeben – eine echte Entlastung für Kanzleileiter:innen.

9. Technische Unterstützung

Zuverlässige technische Unterstützung ist essenziell, um den reibungslosen Einsatz neuer Technologien zu gewährleisten. Je nach IT-Affinität des Kanzleiteams kann dieser intern oder durch externe Dienstleister erfolgen.

10. Langfristige Perspektive

Transformationsprozesse finden nicht von heute auf morgen statt. Realistische Zielsetzungen und Meilensteine helfen, den Überblick nicht zu verlieren und versprechen Zwischenerfolge, die die Motivation aufrechterhalten. Parallel sollte das Controlling der Zwischenergebnisse nicht außer Acht gelassen werden, um bislang umgesetzte Schritte realistisch zu bewerten und auf gewonnene Erfahrungen aufbauen zu können. So können Kanzleien sicherstellen, dass ihre Transformationsprozesse nachhaltig sind und langfristige Vorteile bieten.

Digitalisierung als erster Schritt

Letztendlich wird die Zukunft der Kanzleiarbeit durch die geschickte Kombination von Digitalisierung und menschlicher Expertise geprägt. Jurist:innen bleiben unverzichtbar, aber ihr Werkzeugkasten kann schier grenzenlos erweitert werden.

[1] Wolters Kluwer, Future Ready Lawyer Studie 2024
[2] Wolters Kluwer, Future Ready Lawyer Studie 2024
Bild: Adobe Stock/©Nuthawat
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