Dr. Markus Kaulartz und Tom Braegelmann, LL.M. haben nach dem „Rechtshandbuch Smart Contracts“ nun das „Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning“ herausgegeben. Lesen Sie hier, was man von dem Werk erwarten kann und was nicht.
An dem im Juni 2020 im Verlag C.H. Beck oHG Verlag/Vahlen erschienenen Buch haben fast 50 Autorinnen und Autoren mitgewirkt. Darunter finden sich nicht nur RechtsanwältInnen und WissenschaftlerInnen, sondern auch VertreterInnen aus der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung.
Das Buch umfasst rund 700 Seiten und gliedert sich in 15 Kapitel, deren Bandbreite von der Geschichte der KI, über technische Grundlagen bis hin zu einer Vielzahl rechtlicher Fragestellungen reicht.
Nach Angaben der Herausgeber ist es das Ziel des Werkes, das Verständnis über KI zu fördern, einen Überblick über die typischen Probleme von KI in der Rechtspraxis zu geben und Lösungen vorzuschlagen, um so „die KI aus der Science Fiction in den Praxisalltag zu holen“. Die angesprochene Zielgruppe sind Rechtsabteilungen von Unternehmen, KI-DienstleisterInnen und RechtsanwältInnen, denen das Buch eine praktische Hilfestellung geben soll.
Aufbau des Rechtshandbuchs überrascht
Das erste Kapitel beginnt mit dem Versuch einer Definition von Künstlicher Intelligenz. Das zweite Kapitel ist dem Anliegen der Herausgeber gewidmet, die Verständigung zwischen JuristInnen und InformatikerInnen zu fördern. Hier werden nicht nur die verschiedenen Bereiche und Eigenschaften der KI, sondern auch deren aktuelle Möglichkeiten und Grenzen aufgezeigt.
Nach dem Kapitel über europäische Strategien und Pläne für KI behandeln die folgenden Kapitel die Vielzahl von Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit KI stellen. Den Auftakt macht das ausführliche Kapitel zum Thema Haftungsrecht. Darauf folgen Beiträge zur Vertragsgestaltung und Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Immaterialgüterrecht. Ebenfalls umfangreich fällt sodann das Kapitel zum Datenschutzrecht aus. Anschließend geht es um spezielle rechtliche Themen aus den Bereichen aktienrechtliche Leistungsverantwortung beim Einsatz künstlicher Intelligenz, Verbraucherschutzrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht, Finanzaufsichtsrecht und Streitbeilegung.
Der Aufbau des Rechtshandbuchs überrascht. Es ist zwar sinnvoll, dass die technischen Grundlagen den rechtlichen Kapiteln vorangestellt sind. Bei den nachfolgenden Kapiteln stellt man allerdings fest, dass thematisch zusammenhängende Abschnitte nicht immer aufeinander folgen.
Auch inhaltlich sind die Beiträge nicht aufeinander abgestimmt, weshalb man häufig auf Wiederholungen stößt. Erfreulich und für ein Nachschlagewerk „praktisch“ wäre es, wenn das in der vielleicht folgenden 2. Auflage überarbeitet wird.
Kritische Auseinandersetzung mit KI und Rechtsfragen
Wer sich dem Thema KI und Recht erstmals nähert, wird das rund ein Kilogramm schwere Buch wohl auch inhaltlich als keine leichte Kost empfinden. Indes lohnt es sich, durchzuhalten, um einen Überblick über diverse Fragestellungen im Zusammenhang mit KI zu erhalten, wobei insbesondere folgende Kapitel positiv hervorstechen:
Wer das Buch durcharbeitet, wird immer wieder auf den Begriff „KI als Black Box“ treffen. In einzelnen Kapiteln gewinnt man den Eindruck, dass es sich dabei um eine Entscheidungsfindung im geschlossenen System handelt und die Entscheidung damit gleichsam „magisch“ zustande kommt, was zu einer Reihe rechtlicher Schwierigkeiten führt. Diese Annahme ist jedoch zu kurz gegriffen und zeigt, wie wichtig das technische Verständnis für die rechtliche Handhabe von KI ist. Die Herausgeber des Rechtshandbuchs plädieren daher verständlicherweise dafür, sich mit den technischen Grundlagen von KI vertraut zu machen. Hier trägt das Kapitel „Nachvollziehbarkeit von KI-basierten Entscheidungen“ von Körner maßgeblich zur Entmystifizierung von KI bei. Dieser Abschnitt befindet sich im „technischen“ Teil des Rechtshandbuchs und sollte keinesfalls übersprungen werden.
Vor allem Rechtsabteilungen von Unternehmen und KI-Dienstleister, denen das Rechtshandbuch eine Unterstützung beim Abschluss sachgerechter Verträge sein soll, sei das Kapitel über „Outsourcing von KI“ empfohlen.
Rechtsanwalt Thorsten Ammann liefert einen guten Überblick darüber, was bei der Gestaltung von Outsourcing-Verträgen zu beachten ist, und fasst die entscheidenden Punkte nochmals in einer Art Checkliste zusammen. Besonders positiv fällt dabei auf, dass die Empfehlungen nicht „aus dem Elfenbeinturm“ heraus formuliert sind, sondern von Realitätsnähe zeugen und die Darstellung eine praxistaugliche Handreichung zur Verfügung stellt.
Von Interesse für PraktikerInnen dürfte auch der Beitrag von Prof. Boris Paal „Spannungsverhältnis von KI und Datenschutzrecht“ sein. Paal beschränkt sich dabei nicht darauf, nur die rechtlichen Vorgaben der DSGVO vorzustellen, sondern bezieht auch den technischen Entwicklungsstand mit ein und schlägt Compliance-Strategien vor, um den Herausforderungen der DSGVO zu begegnen. Er schließt seinen Beitrag, indem er Leserinnen und Lesern praktische Handlungsempfehlungen mitgibt.
Wer sich hingegen von den Ausführungen „Aus der Sicht der Datenschutzaufsichtsbehörden“ einen praxistauglichen Erkenntnisgewinn erhofft, wird enttäuscht. Wenig überraschend beschränken sich die Autorinnen und Autoren darauf, an die Regelungen und Grundprinzipien der DSGVO zu erinnern und stellen die Anforderungen an KI verschiedener Aufsichtsbehörden vor. Diese erschöpfen sich im Wesentlichen in der Selbstverständlichkeit, dass die Vorgaben der DSGVO auch auf KI anzuwenden sind.
Die datenschutzrechtliche Thematik, aber auch die haftungsrechtlichen Fragen, durchziehen die verschiedenen Beiträge. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Regelungsstandards und Zulassungserfordernisse die Verkehrsfähigkeit von KI-Anwendungen fördern könnten. Diesen Gedanken greifen Dr. Christina-Maria Leeb und Martin Schmidt-Kessel in ihrem Kapitel „Verbraucherschutzrecht“ auf und liefern vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes eine fundierte Analyse bereits bestehender Ansätze und Instrumente, die sich auf KI-Anwendungen übertragen lassen. Abgerundet wird das Kapitel durch eine Beleuchtung der wettbewerbsrechtlichen Aspekte.
Fazit: Rechtshandbuch fördert Interdisziplinarität, eignet sich jedoch wenig als Nachschlagewerk
Mit dem „Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning“ wird Leserinnen und Lesern ein breites Spektrum von rechtlichen Themen mit technischen Hintergründen im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI-Anwendungen geboten.
AnwältInnen und WissenschaftlerInnen werden in dem Werk eine Fülle von Denkansätzen für ihre Arbeit finden. Als Nachschlagewerk für Rechtsabteilungen und KI-Dienstleister, die sich vor allem eingängige und konkrete Handlungsempfehlungen wünschen, bleibt das Rechtshandbuch allerdings hinter den Erwartungen zurück. Der Verständigung von JuristInnen und InformatikerInnen dürfte das Rechtshandbuch aber in jedem Fall dienlich sein und für viele interdisziplinäre Diskussionen sorgen.
Da die wirtschaftliche Bedeutung von KI stetig zunimmt und immer mehr Rechtsbereiche beeinflusst, die juristische Ausbildung der Entwicklung allerdings nicht Schritt hält, sei vor allem BerufseinsteigerInnen das Buch ans Herz gelegt.
Der Blick in ein spannendes Rechtsgebiet mit einer aufregenden Zukunft ist jedenfalls gewiss!
Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning
Braegelmann / Kaulartz (Hrsg.)
C.H.BECK. (In Gemeinschaft mit Vahlen/München), ISBN 978-3-406-74658-1, 699 Seiten, 169,00 EUR.
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Foto: Cover Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning
Alexandra Milena Stojek, LL.M. ist Fachanwältin für IT-Recht, Syndikusanwältin des Deep-Tech-AI-Start-ups thingsTHINKING GmbH und Gebietsleiterin der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht des Deutschen Anwaltvereins für den Südwesten. Darüber hinaus beschäftigt sie sich als Referentin und Autorin mit dem Thema Digitalisierung juristischer Arbeit.