Nach langen Vorbereitungen und zähen Verhandlungen hat der Bundestag am 10.06.2021 die sog. „große“ BRAO-Reform noch rechtzeitig in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Zuletzt hatte der Rechtsausschuss des Bundestages noch kleinere Änderungen an dem „Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe“ (so die offizielle Bezeichnung des Gesetzes) vorgeschlagen. Zwischenzeitlich hat der Gesetzentwurf am 25.06.2021 auch den Bundesrat passiert. Neben dem sog. Legal Tech-Gesetz, das als paralleles Reformprojekt zeitgleich auf den Weg gebracht wurde, bieten auch die Reformen in der BRAO für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Chancen für die Digitalisierung von Kanzleiabläufen und deren Umsetzung in effektive Legal Tech-Strategien. Die Reform wird zum 01. August 2022 in Kraft treten. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Änderungen zusammen.
Das Herzstück der BRAO-Reform: Neue Formen der interprofessionellen Zusammenarbeit
Herzstück der Reform ist eine Neuordnung des Rechts der Berufsausübungsgesellschaften. Künftig stehen praktisch alle modernen Gesellschaftsformen für die anwaltliche Berufsausübung zur Verfügung, einschließlich der GmbH & Co. KG. Diese hat im Vergleich zur Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) den Vorteil, eine vollständige Haftungsbeschränkung zu bieten, nicht nur für Fälle der Berufsausübung. Für besonders haftungsrelevante Legal Tech-Aktivitäten wie die Bearbeitung von Massenverfahren mit hoher Fehleranfälligkeit könnte das attraktiv sein.
Sozietät mit IT- und Legal Tech-Spezialisten
Ein wichtiger Eckpfeiler der Reform ist die Zusammenarbeit mit sog. Freien Berufen in einer Berufsausübungsgesellschaft, z. B. in einer Sozietät. Dies wird ermöglicht durch einen Verweis auf § 1 Abs. 2 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes (PartGG). Freie Berufe zeichnen sich durch besondere Merkmale wie eine hohe berufliche Qualifikation und eine persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Beratung aus. Dazu können auch IT-Fachleute und Legal Tech-Spezialisten gehören. Beratende Volks- und Betriebswirt:innen, Ingenieur:innen und hauptberufliche Sachverständige werden im Katalog des § 1 Abs. 2 PartGG ausdrücklich genannt. Sofern diese Berufsträger:innen IT-Kompetenz mitbringen, erleichtert dies künftig auch die gemeinsame Bearbeitung von Standardfällen und eine Arbeitsteilung zwischen Legal und IT auf Managementebene. Ob auch andere Berufe wie Softwareentwickler:innen, Datenschutzbeauftragte oder neuartige Berufsbilder wie Legal Tech Project Manager, Legal Engineer oder Legal Designer darunterfallen, ist noch nicht geklärt und wird sicherlich noch für spannende Diskussionen sorgen.
Neue Freiheiten für die Bürogemeinschaft
Die Bürogemeinschaft ist neben der Kooperation für eine interprofessionelle Zusammenarbeit beliebt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass jeder der Gemeinschaft angehörige Berufsträger:innen selbstständig tätig ist und nur die Infrastruktur, z. B. Räumlichkeiten, Personal und/oder IT gemeinsam genutzt wird. Nach bisherigem Recht wurde die Bürogemeinschaft jedoch wie eine Berufsausübungsgesellschaft behandelt. Dies ändert sich zu Recht grundlegend. Sie wird künftig von der (übrigen) Berufsausübungsgesellschaft entkoppelt, von den Fesseln des bisherigen Berufsrechts befreit und in § 59q Abs. 1 BRAO erstmals gesetzlich definiert. Danach ist die Bürogemeinschaft eine Gesellschaft, die der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit der Gesellschafter:innen unter gemeinschaftlicher Nutzung von Betriebsmitteln dient, jedoch nicht selbst als Vertragspartner von rechtsanwaltlichen Mandatsverträgen auftritt.
Eine Zusammenarbeit ist künftig mit allen mit dem Beruf des Rechtsanwalts bzw. der Rechtsanwältin vereinbaren Berufen und somit auch mit IT-Spezialist:innen wie Softwareprogrammierer:innen und Datenschutzbeauftragten möglich.
Interessant an der Definition der Bürogemeinschaft ist, dass nur allgemein von der gemeinschaftlichen Nutzung von „Betriebsmitteln“ die Rede ist. In der Begründung des Regierungsentwurfs vom 20.01.2021 werden Räumlichkeiten neben EDV-Anlagen und Personal nur beispielhaft erwähnt, so dass sich die Frage stellt, ob künftig auch eine „Cyber-Bürogemeinschaft“ unter ausschließlicher gemeinschaftlicher Nutzung von IT-Infrastruktur ohne gemeinsame Räumlichkeiten, also eine Bürogemeinschaft ohne „Büro“, zulässig ist.
Gesellschaftspostfach (GePo) kommt
Erfreulich für die digitale Kanzleikommunikation ist auch die Einführung eines beA-Gesellschaftspostfachs, das für alle künftig zugelassenen Berufsausübungsgesellschaften verpflichtend wird. Diese Änderung wurde relativ spät noch in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommen. Der Regierungsentwurf vom 20.01.2021 sah dies nur auf freiwilliger Basis vor. Die frühere Bezeichnung „Kanzleipostfach“ ist ungenau, da das neue elektronische Postfach an die Berufsausübungsgesellschaft als solche gekoppelt wird. Da zum 01.01.2022 die aktive beA-Nutzungspflicht kommt, muss zunächst über das allgemeine beA kommuniziert werden, bis das Gesellschafspostfach mit Inkrafttreten der BRAO-Reform im Sommer 2022 eingeführt wird. Das Gesellschaftspostfach wird das für jede zugelassene:n Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt verpflichtende und personenbezogene beA nicht ersetzen, sondern ergänzen. Für Zweigstellen kann zusätzlich ein weiteres Gesellschaftspostfach auf freiwilliger Basis beantragt werden.
Fortbildungspflicht stärkt Digitalkompetenz
Kurz vor Verabschiedung des Gesetzes wurde mit § 43f BRAO noch die Verpflichtung für alle neu zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eingeführt, innerhalb des ersten Jahres ab Zulassung an einer zehnstündigen Fortbildung im anwaltlichen Berufsrecht teilzunehmen. Die Teilnahme an früheren Lehrveranstaltungen aus Studium und Referendariat kann angerechnet werden. Dieser begrüßenswerte Reformschritt wird auch die Digitalkompetenz der Anwaltschaft stärken, da sie sich auch mit den entsprechenden berufsrechtlichen Anforderungen an die Kanzleiführung und die Bearbeitung von Mandaten im digitalen Zeitalter vertraut machen können.
Fazit: Chancen für die Digitalisierung nutzen
Neben der Reform durch das neue Legal Tech-Gesetz bietet somit auch die BRAO-Reform, die im Sommer nächsten Jahres in Kraft treten wird, für die Anwaltschaft Chancen, die Digitalisierung von Kanzleiabläufen weiter voranzubringen und Legal Tech-Strategien zu entwickeln. Dies gilt es zu nutzen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Dr. Frank Remmertz ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und IT-Recht in München. Er ist Rechtsexperte im Bereich der Rechtsdienstleistungen und u. a. Herausgeber des 2020 im Beck-Verlag erschienenen Werks „Legal Tech-Strategien für Rechtsanwälte“.
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