Von Bettina Taylor
Blockchain kursiert mittlerweile seit ca. zwei Jahren als Buzzword in der Legal Tech-Szene und wird oft als Treiber „disruptiver“ Veränderungen bezeichnet, wie man so schön sagt. Doch wie haben sich die Technologie und ihre Anwendungsgebiete inzwischen entwickelt? Blockchain-Experte Florian Glatz gab auf dem Anwaltszukunftskongress 2019 in Köln einen aktuellen Zwischenstand.
Der Hype ist vorbei. Jetzt gehe es um „substantielle Themen“, ließ Florian Glatz sein Publikum gleich zu Beginn seines Vortrags wissen. Doch auch, wenn sich der Markt nach Angaben des Legal Tech-Unternehmers, Präsident des Blockchainverbands und Rechtsanwalt mittlerweile beruhigt habe, heißt das nicht, dass die Blockchain-Technologie eingeschlafen sei – im Gegenteil. Statt der während der Hype-Phase kursierenden Vorstellung, mit Kryptowährungen über Nacht zum Millionär werden zu können, hätten sich inzwischen Anwendungsgebiete für die Blockchain-Technologie entwickelt, die vor allem Bereiche wie digitale Identität und das Finanzwesen betreffen. Nicht zuletzt bilde die Blockchain in Zukunft die Hauptinfrastruktur, auf der Legal Tech-Anwendungen in Zukunft stattfinden werden, so Glatz.
Das hat die Bundesregierung in Sachen Blockchain bisher getan
Welche Bemühungen wurden von Seiten des Gesetzgebers unternommen, um die Blockchain-Technologie in Deutschland zu fördern und zu etablieren? Der Blockchain Bundesverband – die Hauptinteressenorganisation hinter der Technologie in Deutschland – ist es 2017 gelungen, in den damaligen Verhandlungen zwischen den Parteien der Jamaika-Koalition (heute gescheitert), die Blockchain als Topthema in den Koalitionsvertrag zu bringen. Die darin festgelegten Ziele schafften schließlich den Sprung in den Koalitionsvertrag von CDU und SPD, welche heute als Große Koalition regiert. Dabei hatte man sich vorgenommen, die innovative Technologie zu erproben, zu erforschen, aber auch mit einem entsprechenden Rechtsrahmen zu regulieren. Zwei Jahre später veröffentliche die Bundesregierung unter Federführung des Wirtschafts- und Finanzministerium ihre erste Blockchain-Strategie. Auf welche Anwendungsgebiete möchte sich die Bundesregierung in Zukunft konzentrieren?
Die Blockchain könnte Börsenmarkt und Finanzwesen revolutionieren
Eines der Topthemen der Blockchain-Strategie seien digitale Wertpapiere. Laut Glatz wird der Gesetzgeber harte Änderungen am Bundesschuldenwesengesetz und in diesem Zusammenhang auch mit dem Sachenrecht vornehmen. Die Bundesregierung plant außerdem, einen sog. „digitalen Euro“ einzuführen und dabei den Euro an ein Blockchain-System zu koppeln. Hauptproblem sei dabei, dass es noch keine stabile Kryptowährung gebe, die die notwendigen Kriterien für eine systemrelevante Anwendung zuließe, so Glatz. Ein weiteres Problem sei, dass die Bundesregierung unmöglich analog zum „normalen“ Euro einen „digitalen“ Euro einführen könne: „Wir hatten Gespräche mit der Bundesbank. Und die sagten mir: ‚Herr Glatz, wenn wir einen digitalen Euro einführen würden, gäbe es einen Bankenrun! Es wären dann nämlich zwei Arten des Euros im Umlauf: der normale Euro auf dem Girokonto und der digitale Euro im Wallet auf der Blockchain. Der Unterschied: Der normale Euro, also das Buchgeld, ist an das Insolvenzrisiko einer Geschäftsbank gekoppelt – der digitale Euro nicht. Somit würde jeder Bürger seine normalen Euros weggeben und umtauschen wollen.‘ Diese Parallelsituation kann es nicht geben.“ Für den Blockchain-Experten führt somit kein Weg daran vorbei, das Geldsystem, wie wir es heute kennen, früher oder später komplett zu reformieren. Die Frage sei nur wann. Noch scheuten sich die Mehrheit der Politiker vor derartig tiefgreifenden Veränderungen. Facebook jedoch nicht: Der Social Media-Gigant arbeitet daran, seine eigene Kryptowährung Libra unter Anwenderinnen und Anwender zu mischen; auch wenn das Projekt zuletzt ins Stocken geriet. Zahlreiche Regierungen, darunter Deutschland und Frankreich, kritisierten dieses Vorhaben stark, sind aber in ihrer Handlungsmacht, die neue Kryptowährung zu verbieten, eingeschränkt. Sie fürchten durch den Internet-Giganten, ihre Währungsmacht zu verlieren.
Mehr Transparenz im Wertpapierhandel
Die größte Revolution im Bereich Blockchain sieht Glatz im Bereich der digitalen Wertpapiere. Die Bundesregierung hat in diesem Jahr ein Eckpunktepapier herausgegeben, das das Potenzial von sogenannten tokenisierten Wertpapieren beleuchtet. Der Begriff Token stammt ursprünglich aus der Computerlinguistik und bezeichnet eine digitalisierte Form von Vermögenswerten, denen eine bestimmte Funktion oder ein bestimmter Wert zugesprochen wird. Sie können in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden. Bei einer Tokenisierung werden Finanz- oder andere Vermögenswerte elektronisch gestückelt, um diese handhabbarer zu machen. Hier wird auch erfasst, wer welche Rechte und Pflichten in diesem Vermögenswert besitzt und welche Möglichkeiten es bei der Übertragbarkeit gibt. „Das könnte tatsächlich den gesamten Wertpapier- und Anleihenmarkt massiv disruptieren“, so die Prognose des Blockchain-Spezialisten. Über eine Blockchain könnte direkt ohne Mittelsmänner Geld bzw. Wertpapiere von einem Konto zum anderen überwiesen werden. Auch das Bundesfinanzministerium (BaFin) arbeite schon intensiv an einem Referentenentwurf über Anwendungsgebiete tokenisierter Wertpapiere. „Das Gesetz hat offiziellen Flagship-Status“, so Glatz. Deutschland wolle sich bei diesem Thema zum Vorreiter auf dem Weltmarkt mausern. Im Ansatz erklärte er, welche Technologie hinter den digitalen Wertpapieren steckt: „Zunächst werden sogenannte Token-Contracts – eine Form von Smart Contracts – auf einer Blockchain installiert. Token-Contracts sind im Grunde ein öffentlich zugängliches Investorenregister, das dezentral verwaltet wird. Es dokumentiert zum Beispiel, wer wie viele Wertpapiere an bestimmte Unternehmen erworben hat und wie viele dabei im Umlauf sind. Jeder Token repräsentiert ein Wertpapier, hat mindestens 22 Zeilen Code und ersetzt ein komplettes Milliardenunternehmen. Token-Contracts besitzen eine feste Adresse. Was somit früher in einer Excel-Datei von einem Finanzinstitut oder einer ähnlichen Behörde geführt wurde, ist heute für jeden weltweit einsehbar.“ Glatz war nach eigenen Angaben selbst an der Programmierung eines der drei digitalen Wertpapierprospekte, die das BaFin entwickelt hat, beteiligt. Insgesamt will die Bundesregierung das Ökosystem digitaler Wertpapiere aktiv fördern und mitgestalten.
Die Blockchain als „digitaler Notar“
Anschließend ging Florian Glatz auf die Blockchain als neue Form der „Verifizierungstechnologie“, oder umgangssprachlich formuliert, als digitaler Notar, ein. Ziel sei es, Blockchain-Transaktionen per Gesetz eine formale Beweisqualität zuzusprechen. Dabei müsse die Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend angepasst werden. Langfristig könnten auch alltägliche Dokumente wie Hochschul- oder Arbeitszeugnisse über eine Blockchain beglaubigt werden. Die Quoten für Betrugsversuche hätten hier eine enorme Dunkelziffer und könnten durch die Blockchain, so Glatz, effektiv unterbunden werden. In diesem Zusammenhang arbeite die Bundesregierung außerdem daran, das Urheberrechtsregister auf eine Blockchain zu übertragen. In ihrer Strategie sei sie hier jedoch sehr vage, sodass konkrete Maßnahmen zur Umsetzung noch nicht genannt wurden. Auch ein Gesetzesvorhaben sei bisher nicht geplant.
Die Digitale Identität auf der Blockchain
Zuletzt übte der Blockchain-Experte starke Kritik daran, dass das Thema digitale Identität von der Bundesregierung gar nicht angegangen werde: „Das ist eines der wichtigsten Themen, die es im Bereich Blockchain zu klären gibt, aber die Bundesregierung hat sich hier nicht getraut, etwas zu bewegen.“ Da es vom Online-Shopping bis hin zur Beantragung eines Visums immer häufiger vorkomme, dass sich sowohl Bürger als auch Unternehmen im Internet offiziell ausweisen müssten, müsse die Bundesregierung hier früher oder später ohnehin nachziehen – nicht zuletzt, weil andere EU-Länder hier schon deutlich weiter seien.
Die Blockchain besitzt als Technologie insgesamt das größte Potenzial darin, dass sie bereits bekannte Vorgänge transparenter machen könnte, vor allem im Bereich der Finanzmärkte und des Wertpapierhandels. Zur Integration der Technologie müssten jedoch umfassende Reformen umgesetzt werden, die Juristinnen und Juristen nicht zuletzt aufgrund der komplexen Thematik vor besondere Herausforderungen stellen wird. Dies dürfte also nicht der letzte Zwischenstand zur Blockchain-Technologie sein.
Foto: Fotolia/peshkov
Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de