Von Bettina Taylor
Lange bevor der Begriff Legal Tech in aller Munde war, beschäftigte sich die Münchener Kanzlei WALDORF FROMMER bereits mit Legal Tech. „Aus purer Not heraus“, wie der geschäftsführende Partner Björn Frommer sagt. Er und seine KollegInnen haben bereits Anfang der 2000er-Jahre damit begonnen, klassische Kanzleistrukturen umzuwerfen. Die Geschichte ihrer Entwicklung zeigt, dass es bei Legal Tech nicht nur um High Tech, sondern auch um Querdenken und Ideenreichtum geht.
Von der klassischen Kanzlei zur intelligenten Produktionsstraße
Vor ca. 14 Jahren kam bei der Kanzlei WALDORF FROMMER eine Unzahl an Massenverfahren wegen Urheberrechtsverletzungen rein. Sie hätten eine Armee von Associates und REFAS einstellen können. Doch für die Anwälte der Münchener Kanzlei schien das eher die offensichtlichste, statt die beste Lösung zu sein. „Da ist uns klar geworden, dass der klassische Kanzleiaufbau, wie man ihn in Deutschland kennt, mit Seniors, jüngeren KollegInnen, Sekretariatsmitarbeitern bei derartigen Sachverhalten nicht mehr funktioniert. Wir sind nicht zuerst auf das technische Thema gestoßen, sondern haben davor die Kanzleiorganisation komplett in Frage gestellt. Damit fing Legal Tech bei uns an.“
Spezialisierte Teams stimmen sich ab
Heute funktioniert die Kanzlei wie eine intelligente „Produktionsstraße“, sagt Frommer. Jeder Fall wird durch Teams „hindurchgeschleust“, die auf unterschiedliche Teilaspekte spezialisiert sind. Bei der Bearbeitung komplexer Rechtsfragen gewährleistet diese Struktur die Qualität, so Frommer. Ein Geflecht aus Meetings, Absprachen und Übergabeverfahren sorgt dafür, dass die eine Hand weiß, was die andere macht. Das heutige Modewort dazu heißt intradisziplinäres Arbeiten, so Frommer: „Es ist also nicht der eine Herr Müller, der sich um diesen Fall kümmert, sondern auch Meier und Schulze, nur zu unterschiedlichen Zeiten.“ Nach und nach begann man, altbekannte Systeme zu hinterfragen. Björn Frommers Denkansatz dürfte dabei vielen nicht unbekannt sein: „Es gibt Prozesse, die sind einfach totaler Mist. Das sind meistens die, die vollkommen verkorkst sind, wo Ihnen jemand sagt: Das machen wir aber immer so.“ Heute gibt es bei WALDORF FROMMER eine Abteilung, die allein damit beschäftigt ist, Prozesse zu analysieren und zu optimieren.
Eigene Software-Abteilung aus der Not geboren
Erst nachdem man die Arbeitsstrukturen in Frage gestellt hatte, kam die Technik ins Spiel: Wo kann die IT Arbeitsschritte effizienter als der Mensch abwickeln oder ihn unterstützen? Für Frommer steckt hinter dieser Frage vor allem ein pragmatischer Ansatz. Legal Tech fange weder mit Künstlicher Intelligenz an, noch mit Predictive Analytics. Für ihn sind das alles Schlagwörter: „Ganz oft kann es auch eine schmutzige Lösung sein. Legal Tech geht damit los, dass man selbst mit Word oder Excel Kanzleiabläufe optimieren kann. Das können sich auch kleine Einheiten leisten.“ Doch mit der Software, die es auf dem Markt gab, stieß die Kanzlei schnell an ihre Grenzen. Es mussten eigene Lösungen her. „Damals war das Angebot noch viel eingeschränkter. Es gab nur ein paar klassische Anwaltssoftware-Anbieter wie RA-Micro. Das hat alles nicht zu unseren Bedürfnissen gepasst.“
Fallbearbeitung und Abrechnung auf Knopfdruck
Neben den zehn bis zwölf Software-Entwicklern, die für die Kanzlei arbeiten, wurden auch Berufsbilder geschaffen, die in der deutschen Rechtsberatungsbranche selten sind. Die Abteilung „Technische Schnittstelle“ kümmert sich bei WALDORF FROMMER darum, juristische Anforderungen in technische Machbarkeit zu übersetzen. „Diese Menschen verstehen Jura, wollen aber ganz oft nicht als Juristen arbeiten, sondern haben eher technische Skills und fungieren hier als Projektmanager“, sagt Frommer. Die Investition scheint sich zu lohnen. Vor allem bei Abrechnungsangelegenheiten greift selbstentwickelte Software der Kanzlei unter die Arme – beispielsweise bei der Erstellung von Kostenfestsetzungsanträgen für Massenverfahren: „Sie haben mittwochs einen Gerichtstag in Bremen. Am Donnerstag fahren Sie von dort nach Lübeck zurück, dann fliegen Sie… Da gibt sich jede Refa die Kugel. Dank einer Software, an der wir über ein Jahr lang programmiert haben, drucken wir heute die Anträge auf Knopfdruck aus. Und die sind zum Teil zehn Seiten lang!“ erläutert Björn Frommer. Eine Dokumentenanalyse-Software hilft bei der Fallbearbeitung außerdem dabei, Bezüge zwischen unterschiedlichen Akten herzustellen und die Informationen miteinander zu verknüpfen. So werden beispielsweise Widersprüche in gegnerischen Schriftsätzen aufgedeckt.
Teammitglied statt Kaffeetante
Auf den Einzug der Technik und das neue „Querdenken“ mussten sich auch die MitarbeiterInnen erst einstellen, wie Björn Frommer erläutert: „Manche sind gegangen, weil sie den Entwicklungsprozess nicht mittragen wollten. Wir haben uns auch immer wieder Anwälte mit langjähriger Berufserfahrung reingeholt. Es ist nicht immer gut, wenn man zu viele Junge und Innovative hat. Aber diese etablierteren Anwälte sind oft gegangen, zum Teil auch, weil die klassischen Hierarchien hier nicht mehr funktionieren. Bei unseren Teamstrukturen ist für Ellenbogen und Arroganz kein Platz. Eine Sekretärin ist ein Teammitglied und keine Kaffeetante.“ Die Mitarbeiter sind laut Frommer auch die wichtigsten Ideengeber, wenn man sie nur ab und zu „rumspinnen“ lässt. So ist zum Beispiel das Intranet ins Leben gerufen worden. Bei einem Ideentag stellte das Team fest, dass sich viele MitarbeiterInnen nicht ausreichend über die gesamten Geschehnisse innerhalb der Kanzlei informiert fühlten. Von der Wohnungssuche bis hin zur Einarbeitung ist das Intranet heute ein wichtiger Bestandteil der täglichen Arbeit.
„Rumspinnen“ hilft mehr als Legal Tech-Schulung
Besonders kleinen Kanzleien empfiehlt Björn Frommer, in Zeit für Ideen und Austausch zu investieren: „Wenn Sie eine ganz kleine Struktur haben, ist es am wichtigsten, erstmal in den gesunden Menschenverstand zu investieren. Man kann sich einen Tag in der Woche nehmen, um sich seine Systeme anzuschauen und sie zu hinterfragen. Da muss man sich mal aus seinem Hamsterrad heraus begeben und sagen: Freitags höre ich um zwölf mit meiner klassischen Arbeit auf und setze mich mit Kollegen zusammen. Dann spricht man schnell darüber, was besser laufen könnte. Man braucht nur ein großes Papier und Stifte, um diese Ideen in einer Mindmap festzuhalten. Man muss sich zwingen, nicht wieder rein juristisch zu denken. Das ist, glaube ich, wichtiger als zu sagen: Ihr müsst morgen eine Legal Tech-Schulung machen. Es ist viel wichtiger, mal sein Berufsbild zu hinterfragen, so wie es alle da draußen tun müssen in Zeiten des Wandels und der Transformation.
Legal Tech fängt bei neuen Denkmustern an
Björn Frommer ist sich sicher: Selbst Großkanzleien mit üppigen Budgets werden auf Dauer nicht mithalten, wenn sie ihre Strukturen nicht loslassen. Dabei spart er auch nicht an Kritik am eigenen Berufsstand: „Wir Juristen denken alle, das ist alles so gottgegeben und wir haben diesen Juraverstand und sind Freiberufler und Freidenker... Das ist richtig, aber es führt eben auch zu einer massiven Begrenzung. Es gibt Disziplinen um uns herum, die uns längst abgehängt haben. Ich glaube, das ist das Entscheidende: Ob man das nun Legal Tech oder anders nennt, ist egal. Legal Tech bedeutet für mich in erster Linie Veränderungsmanagement.“
Foto: Fotolia/ra2 studio
Björn Frommer ist geschäftsführender Partner der Kanzlei WALDORF FROMMER in München. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen u. a. im Urheber- und Medienrecht, Vertragsrecht sowie im IT-Recht. Als Mitglied der European Legal Technology Association (ELTA) beschäftigt er sich intensiv mit Digitalisierung täglicher Kanzleiarbeit.
Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de
Pingback: „Hurra, die Kleinen wehren sich!“ – Bucerius Herbsttagung 2018