Anwaltszukunftskongress

Anwaltszukunftskongress 2019: Zeit für Veränderungen

Von Nadia Neuendorf

Am 10. und 11. Oktober fand unter dem Motto „Make Change Happen“ in Köln der vierte Anwaltszukunftskongress statt. Mit dem Ziel, die Digitalisierung von mittelständischen Kanzleien zu begleiten und praktische Tipps zur Umsetzung zu liefern, bot die Veranstaltung eine interessante Mischung aus Zukunftsvisionen und konkreten Themen und Workshops zur schnellen Umsetzung von Legal Tech. Laut Veranstalter Soldan und Wolters Kluwer Deutschland nahmen rund 250 TeilnehmerInnen am diesjährigen Kongress teil.

Nachholbedarf bei mittelständischen Kanzleien

Während der Begrüßung der Veranstalter am Donnerstagmorgen stellte René Dreske, Geschäftsführer der Hans Soldan GmbH fest: „Die Digitalisierung ist in der Rechtsberatung angekommen“. Ralph Vonderstein, Geschäftsführer im Bereich Software und Legal bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH, merkte jedoch an, dass dies derzeit vor allem für Großkanzleien gelte, im Mittelstand, an den sich der Anwaltszukunftskongress richte, gebe es noch Nachholbedarf. Der Kongress verstehe sich daher als Orientierungshilfe und solle aufzeigen, welche neuen Trends es aktuell gibt und wie die moderne Arbeit mit neuen, digitalen Lösungen gelingen kann.

Edith Kindermann, Präsidentin des DAV, sah dies ähnlich: „Wir brauchen praktische Handhabungen!“, betonte sie während Ihres Grußwortes. Dabei sprach sie aber auch die Angst vieler Anwältinnen und Anwälte an, die sich fragten, wo „das Ganze“ hinsteuere.

Hat die Anwaltschaft eine Zukunft?

Rechtsanwalt und Vorsitzender des Kölner AnwaltVerein e. V. Markus Trude stellte wiederum die provokante Frage, ob die Anwältin bzw. der Anwalt überhaupt eine Zukunft habe. Schließlich sei die Anwaltschaft, im Gegensatz zum Richterberuf als notwendiges Element des deutschen Rechtssystems, nicht im Grundgesetz verankert. Die Frage könne man laut Trude aber ganz klar mit Ja beantworten. „Die Rechtsprechung muss menschlich bleiben und der Rechtsstaat erfordert den Menschen. Die Maschine darf nur Hilfsmittel sein“. Und genauso wie die Richterin und der Richter als menschlicher Vertreter auf Gesetzesseite auftrete, brauche es ebenso die Anwältin und den Anwalt als menschlichen Vertreter auf Bürgerseite.

Legal Tech in der Praxis: Eine Frage des Budgets

Nach der Begrüßung startete der erste Veranstaltungstag futuristisch. Denn es ging um die Digitalisierung des Menschen selbst: Biohacking oder Chips, die unter die Haut gesetzt werden, um z. B. eine Tür zu öffnen, wurden von Transformationscoach Dr. Patrick Kramer präsentiert.

Etwas mehr Praxisnähe bot der Programmpunkt „Best Practices, Projekte und Prototypen aus Kanzleien zum Lernen und Anfassen und Nachfragen“. Hier stellten vier Anwälte Ihre eigene Herangehensweise an das Thema Legal Tech vor. Dabei stellte Nico Kuhlmann, Rechtsanwalt bei Hogan Lovells, die Frage: „Wie fördert man Innovation?“, die einleuchtende Antwort: „Durch Zeit und Anreiz“. Man müsse also zunächst einmal weg von der Vorstellung, dass nur „billable hours“ zählen und ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen schaffen.
Henrik Momberger, der als Anwalt bei der auf Verkehrsrecht spezialisierten Kanzlei Momberger & Niersbach tätig ist, lieferte in diesem Rahmen einen eher seltenen Blick auf die Digitalisierung – den einer kleinen Kanzlei. Der Vorteil bei kleinen Kanzleien: die Entscheidungswege seien kürzer, der Nachteil: die finanziellen Möglichkeiten fehlten, so Momberger. Er verwies auf das Problem, dass Softwareanbieter meist nur an individuellen Lösungen für Großkanzleien interessiert seien. Als Kanzlei ohne großes Budget müsse man sich selbst um die passende Lösung, z. B. zur Automatisierung von Standardabläufen, bemühen. Ein Anbieter, der hier hilft, fehlte. Dennoch habe man eigene Lösungen gefunden und sei seit zehn Jahren papierlos. Zusätzlich, betonte Momberger, verbesserten neue Lösungen die Laune und man  brauche zudem weniger bzw. kein neues Personal.

Mit Verständlichkeit und Erreichbarkeit punkten

Es folgten vier parallellaufende Breakout-Sessions. Diese sehr praxisbezogenen Einheiten beschäftigten sich mit den Themen Rechtsabteilung, Legal Design, Kanzleimanagement und Effizienzsteigerung in der Kanzlei – Aktuelle Tools und Lösungen.

Unter der Moderation von Ilona Cosack, betonte Prof. Dr. Bruno Mascello in der Breakout-Session zum Kanzleimanagement die zwei seiner Meinung nach wichtigsten Attribute von Anwältinnen und Anwälten: 1. Probleme identifizieren können und 2. zuhören können. Beides sei derzeit noch nicht ausreichend gegeben. Es sei zudem wichtig, die Erwartungen der Mandanten möglichst genau zu kennen und erreichbar zu sein. Diese Serviceorientierung, die auch eine für den Mandanten verständliche Kommunikation beinhalte, sei heute unerlässlich.
Diesem Aspekt folgte auch RA Volker Himmen. Der Einzelanwalt zeigte auf, was Mandanten wollen und wie Mandanten gewonnen werden können. Aufgrund der Digitalisierung gelte „more for less“, was den Druck auf die Kanzleien erhöhe.
Zudem stieß das Thema „Umstieg auf eine neue Kanzleisoftware“ auf großes Interesse unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. RA Jens Haubold berichtete, wie dies in seiner Kanzlei umgesetzt wurde und auf welche Probleme und Fragen man zum Beispiel bei der Migration der Daten stieß.

Software-Lösungen für Kanzleien

In der Breakout-Session Effizienzsteigerung in der Kanzlei wurden konkrete Software-Lösungen für Kanzleien vorgestellt. Neben großen Anbietern wie DATEV oder Wolters Kluwer konnten sich auch das Start-up rfrnz, sowie die neu auf dem Markt erschienene „5FSoftware“ präsentieren. Die Gründer des 2018 ins Leben gerufenen Unternehmens haben es sich zum Ziel gemacht, den Datenaustausch und die Kommunikation mit Partnern und Mandanten sicherer zu machen und vereinen dies mit Projektmanagement-Lösungen.

Legal Tech in Afrika

Wie Legal Tech in anderen Teilen der Welt aussieht, berichtete Anwalt und Historiker Cord Brügmann in seinem Vortrag Legal Tech in Afrika. Besonders gespannt lauschten die Zuhörerinnen und Zuhörer, als er vom äthiopischen Anwalt und Gründer der Plattform AbyssiniaLaw berichtete. Richter, Anwälte und Jurastudierende hätten in Äthiopien häufig keinen Zugang zu geltendem Recht, sodass dieser sich entschloss, eine Datenbank mit dem gesamten nationalen Recht selbst zu erstellen. Diese Datenbank habe er inzwischen an die äthiopische Regierung verkauft. Im Gegensatz zu Legal Tech im Westen gehe es, so erklärte Brügmann, in Afrika nicht primär um die Automatisierung von Prozessen, sondern darum, sich mithilfe von Technik überhaupt erst einmal Zugang zum Recht zu verschaffen.

„Einfach anfangen!“

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung des Legal Tech-Kongresses deutlich in eine praxisnahe Richtung geht. Weg von High-End-Lösungen, die nur von einem kleinen Teil der Kanzleien genutzt werden können, hin zu schnell umsetzbaren Lösungen auch für kleine und mittelgroße Kanzleien. Wie schnell sich Legal Tech im Kanzleialltag etabliert, hängt allerdings auch von der Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts ab, dessen Reform zurzeit intensiv diskutiert wird. Diese Fragen spielten vor allem am zweiten Kongresstag, u. a. bei einer Podiumsdiskussion zwischen Dr. Alexander Siegmund von der Bundesrechtsanwaltskammer und Dr. Philipp Kadelbach, Gründer der Flightright GmbH, eine große Rolle.
Obwohl die Umsetzung von Legal Tech nicht unmittelbar zu „billable hours“ führt, dürften viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Erkenntnis nach Hause gegangen sein, dass es sich lohnt, einmal innezuhalten und sich zu fragen, an welcher Stelle man selbst ansetzen möchte. So gab auch Henrik Momberger den Anwesenden folgenden Tipp mit auf den Weg: „Einfach anfangen!“

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Nadia Neuendorf arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Thema Legal Tech. ffi-verlag.de

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