Vertragsanalyse-Software ist im Bereich Legal Tech eines der größten Stichworte. Sie sei in der Lage, die anwaltliche Arbeit neu zu erfinden, so der Tenor. Doch wann kann man als Kanzlei eine Vertragsanalyse-Software überhaupt gewinnbringend einsetzen? Rechtsanwalt und Legal Tech-Unternehmer Dr. Sven von Alemann klärt im Interview auf.
Mit dem Legal Tech-Boom auf Zeitreise
Etwa 2015 hat laut Martin Fries, Lehrbeauftragter an der juristischen Fakultät der Ludwig Maximilian Universität in München, der Boom im Bereich Legal Tech die erste explosive Kurve nach oben genommen: Der Versuch, juristische Inhalte und Fragestellungen mit Hilfe von Technik zu bearbeiten und zu lösen, ist dagegen weit älter. Angefangen mit statistischen Methoden im Rechtsbereich Ende der 1940er Jahre über die Entwicklung der Rechtsinformatik in den 1960er-Jahren bis schließlich zur Fokussierung auf Daten- und Informationsrecht Anfang der 2000er Jahre – die Technik im Recht hat bereits einen weiten Weg zurückgelegt. Mit höherer Rechenleistung und der Verfügbarkeit von unglaublichen Mengen digitalisierter Daten wird das Unmögliche möglich: Standardisierte Routineaufgaben der Rechtsberatung mit Hilfe von Software zu bearbeiten und damit, die zu investierenden Rechtsanwaltsstunden zu reduzieren, um mehr Zeit für Mandantenberatung und hochspezialisierte Tätigkeiten zu gewinnen.
Hauptanwendung in Kanzleien
Einer der ersten Bereiche, die die Digitalisierung der Rechtsbranche am Anfang des Millenniums erreicht hat, ist das Dokumentenmanagement in Kanzleien – von der Dokumentenablage, über die Bearbeitung, bis hin zur heute stark expandierenden Analyse von Vertragsunterlagen. Neben zahlreichen Anbietern im Bereich Dokumentenmanagementsystem gibt es mittlerweile eine beinahe monatlich steigende Anzahl von Vertragsanalysetools weltweit. Diese soll Anwälten dabei helfen, große Datenmengen zu lesen, zu verstehen und sowohl Einzelinformationen als auch zusammenhängende Informationen aus den Daten zu ziehen.
Vertragsanalyse – Die Zukunft auch für kleine und mittelständische Kanzleien
Das Münchener Startup rfrnz ist eines der Unternehmen, das sich seit rund zwei Jahren auf diesem Markt tummelt. Dr. Sven von Alemann, einer der Gründer von Rfrnz und selbst viele Jahre als Rechtsanwalt in Kanzleien und Unternehmensrechtsabteilungen tätig, kennt beide Seiten der Digitalisierung der Rechtsbranche und bringt dementsprechend viel Erfahrung zur Umsetzung einer Idee in eine Software-Lösung für Rechtsberater mit. Gemeinsam mit seinem Mitgründer, Data Scientist Dr. Adriaan Schakel, arbeitet er momentan vor allem mit Rechtsabteilungen großer Konzerne, wie BMW und SAP zusammen.
In einem Interview hat er legal-tech.de zum Hype um Vertragsanalyse-Software Rede und Antwort gestanden:
Sie waren lange Zeit selbst als Anwalt tätig – wo sehen Sie den tatsächlichen Nutzwert von Vertragsanalyse-Tools?
Dr. Sven von Alemann: Für die Vertragsanalyse eigenen sich grundsätzlich alle Vertragsarten mit großen Datenmengen. Vor allem „High volume, no risk-Verträge“ sind im ersten Schritt der richtige Weg für Vertragsanalyse-Software. Natürlich gilt auch hier, dass jeder Vertrag ein Risiko beinhalten kann. Die Wertschöpfung der Analyse ist bei einem hohen Standardisierungsgrad allerdings besonders hoch, da oft tausende von Verträgen vorliegen und geprüft werden müssen.
Hochstandardisierte Vertragsunterlagen sind also beispielsweise NDAs, AGBs oder einfache Mietverträge?
Dr. Sven von Alemann: Genau, diese hochstandardisierten Dokumente eignen sich besonders gut. IFRS16, also Leasingverträge, die Datenschutzgrundverordnung, Transaktionen und der Brexit sind ebenfalls Themen, bei denen eine Vertragsanalyse-Software bei der Bewältigung von großen Datenmengen helfen kann.
Wie geht denn Rfrnz selbst momentan vor? Haben Sie sich, wie einige Anbieter auf dem deutschen Markt, auf einen Anwendungsfall konzentriert?
Dr. Sven von Alemann: Wir gehen einen anderen Weg und analysieren mit dem Kunden zusammen die Inhouse-Prozesse. Wenn wir wissen, in welchen Prozessen das System am besten unterstützen kann, setzen wir den entsprechenden Hebel an. Vor allem Rechtsabteilungen in Unternehmen profitieren von einem Vertragsanalyse-Tool.
Das heißt, dass Kanzleien momentan im Bereich Vertragsanalyse eher außen vor sind?
Dr. Sven von Alemann: Das nicht, es eignet sich allerdings noch nicht für alle Kanzleien. Die Situation in Rechtsabteilungen ist zudem etwas anders als in Kanzleien, und damit unterscheiden sich auch die Use Cases. Die eignen Verträge des Unternehmens und auch die Anwendungsszenarien unterscheiden sich. Als Beispiel: 1.000 Arbeitsverträge von Entwicklern auf ein bestimmtes Kriterium, z. B. auf eine Klausel zur Arbeitnehmerfindung und -vergütung, zu prüfen, kann hier in bestimmten Fällen ein sehr sinnvoller Use Case sein, um den Workflow im Vertragsprozess zu optimieren.
Wann wird denn der Einsatz eines Vertragsanalyse-Tools für Kanzleien sinnvoll?
Dr. Sven von Alemann: Bei Kanzleien, die eine große Anzahl von Daten prüfen müssen, beispielsweise im Falle von großen Transaktionen. Ist das System richtig aufgestellt, ist es bei der Extraktion von Einzelinformationen wie Vertragsparteien, Orten und Zahlenwerten schneller, effektiver und macht weniger Fehler. Kombiniert mit einer Risikoanalyse bietet dies einen großen Mehrwert.
Wie müssen sich unsere Leser eine Risikoanalyse vorstellen? Kombinieren Software-Produkte zur Vertragsanalyse tatsächlich schon selbst Informationen und leiten ein Risiko ab?
Dr. Sven von Alemann: Bis wir unter externen Quellen subsumieren können, muss sich die Technologie noch weiterentwickeln. Risikoanalyse heißt in unserem Fall: Wir ermitteln einen Company- oder Marktstandard für einen spezifischen Vertragstyp und prüfen, ob Klauseln fehlen oder abweichen und ob unübliche Klauseln in den einzelnen Verträgen vorliegen. Der Rechtsanwalt erhält damit voridentifizierte Risiken und kann diese dann im Detail prüfen.
Wann sehen Sie für kleine und mittelständische Kanzleien die Möglichkeit, Software-Produkte im Bereich Vertragsanalyse sinnvoll einzusetzen?
Dr. Sven von Alemann: Der Einsatz kann schon jetzt sinnvoll sein, wenn große Datenmengen oder auch lange Verträge bearbeitet werden müssen. Sobald die Produkte zum Standard werden, ist der Einsatz in kleinen und mittleren Kanzleien nicht nur eine Möglichkeit, sondern ein Muss: Damit sind kleine und mittlere Kanzleien in der Lage, auch aufwendig zu bearbeitende Mandate mit großen Vertragsvolumen anzunehmen und müssen diese nicht mehr ablehnen.
Für kleine und mittelständische Kanzleien kann der Einsatz von Software allgemein also ein tatsächlicher Wettbewerbsvorteil sein?
Dr. Sven von Alemann: Richtig, sie sind dann in der Lage, bei gleichbleibender Qualität und gleicher Mitarbeiterzahl auch große Mandate effizient und kostengünstig zu bearbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Nicole Zobel
Foto: rfrnz.com
Dr. Sven von Alemann ist Rechtsanwalt und Mitgründer des Legal-Tech-Unternehmens rfrnz. Das Team um CEO Dr. Sven von Alemann, CTO Moritz Biersack und Chief Scientist Dr. Adriaan Schakel hat bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten und verfolgt das Ziel, die Vertragsanalyse mithilfe von KI zu optimieren.