Neue Studie zum RDG: Impuls für einen Gesetzentwurf zu Legal Tech

Von Gerald Häfner

Legal Tech ist nicht mehr aufzuhalten. Bisher aber verschläft der Gesetzgeber die sich daraus ergebenden Regulierungserfordernisse und lehnt Reformierungsvorschläge zum Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ab. Eine neue Grundlagenstudie arbeitet nicht nur die strukturellen Schwächen des bestehenden Rechtsrahmens heraus, sondern setzt mit einem Konzept zur Prüfung von Legal Tech-Dienstleistungen neue Impulse.

Nahezu ergebnislos blieb die Anhörung in Sachen Legal Tech im März 2020: Im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages bestand lediglich Einigkeit in der Ablehnung des FDP-Vorschlags zur Normierung eines personenbezogenen Erlaubnistatbestandes für die Besorgung automatisierter Rechtsdienstleistungen. Der Rechtswissenschaftler Dr. Daniel Timmermann arbeitet in seinem aktuellen Grundlagenwerk die strukturellen Schwächen personenbezogener Erlaubnistatbestände umfassend heraus und plädiert für die Einführung einer produktbezogenen Prüfung und Zulassung durch eine zentralisierte Aufsichtsbehörde.

Seit etwa einer Dekade wird ein zunehmender Anteil der Dienstleistungen im Rechtsmarkt nicht mehr durch geistige Tätigkeiten von Personen, sondern im Rahmen unterschiedlicher Geschäftsmodelle automatisiert durch Algorithmen im Internet erbracht. Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) hat diese Entwicklung noch nicht mitgedacht.

Personenbezogener Erlaubnisvorbehalt bei automatisierter Rechtsdienstleistung kontraproduktiv

Wer Rechtsdienstleistungen in Anspruch nimmt, muss auf eine kompetente Beratung vertrauen dürfen. Daher schützt das RDG die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen. Die Ausbildungs-Anforderungen für Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte und Inkassodienstleister, sowie der daran anknüpfende Erlaubnisvorbehalt für die Berufsausübung sollen die Bürgerinnen und Bürger vor unkundiger Beratung und daraus resultierenden Schäden schützen.

Die aktuellen Regelungen sind hinsichtlich Legal Tech-Anwendungen wenig hilfreich. Ein personenbezogener Erlaubnisvorbehalt geht bei Geschäftsmodellen, die nicht mehr eine persönliche, sondern eine automatisierte Erbringung der Leistung vorsehen, ins Leere. Im Einzelfall kann sich dieser sogar als kontraproduktiv erweisen: Die Qualität einer Dienstleistung hängt im Hinblick auf algorithmenbasierte, digitale Geschäftsmodelle, die unter der Flagge „Legal Tech“ angeboten werden, nicht mehr vom erreichten Ausbildungsabschluss eines Menschen ab, sondern ausschließlich von der Qualität des verwendeten Programmcodes.

Das RDG wird Legal Tech früher oder später einbeziehen müssen

Der Fortschritt der Technik wird nicht aufzuhalten sein. Er ermöglicht in bestimmten Bereichen, insbesondere bei der Verfolgung geringfügiger, gleichartiger Ansprüche, einen kostengünstigen Zugang zum Recht. Wie aber steht es hierbei mit dem Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen? Das RDG ist für persönliche, freiberufliche Tätigkeiten konzipiert. Computerprogramme waren während des Gesetzgebungsverfahrens in den Jahren 2006 und 2007 kein Gegenstand der Überlegungen. Das führt im Hinblick auf mittels Software erbrachter Leistungen zu kleinteiligen Streitigkeiten, die längst eine vom Telos des Gesetzes losgelöste Eigendynamik gewonnen haben. Die technischen Veränderungen durch Legal Tech müssen im RDG normativ rezipiert werden. Einzig dieser Weg bietet den benötigten systematischen Ansatz.

Studie schlägt produktbezogene Prüfung durch Aufsichtsbehörde vor

Dr. Daniel Timmermann von der Forschungsstelle Legal Tech der Humboldt-Universität zu Berlin hat die Thematik interdisziplinär untersucht und den Regulierungsbedarf aufgezeigt. Sein Grundlagenwerk ist im September unter dem Titel „Legal Tech-Anwendungen – rechtswissenschaftliche Analyse und Entwicklung des Begriffs der algorithmischen Rechtsdienstleistung“ im Nomos Verlag erschienen (740 Seiten). Besonders erfreulich aus Sicht des Rechtspolitikers: Timmermann bleibt nicht bei der Analyse stehen, sondern formuliert einen intelligenten und sinnvollen Lösungsvorschlag. Sein Gesetzgebungsvorschlag zielt darauf ab, die strukturellen Schwächen der bestehenden personenbezogenen Erlaubnistatbestände im RDG durch die Einführung einer produktbezogenen Prüfung und Zulassung durch eine zentralisierte Aufsichtsbehörde zu überwinden.

Ziel des Vorstoßes ist nicht die Verhinderung von Wettbewerb oder die Sicherung von Standesprivilegien. Es geht vielmehr um den notwendigen Verbraucherschutz sowie die Investitionssicherheit der Softwareanbieter als Voraussetzung für die Entwicklung neuer Dienstleistungsprodukte und eines qualifizierten Wettbewerbs.

Kurz zusammengefasst – Timmermanns Kernempfehlungen für die produktbezogene Prüfung:

  • Zentralisierung der Berufsaufsicht zur Konzentration der technischen Kompetenz und Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung
  • Möglichkeit der Einholung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Stärkung der Investitionssicherheit
  • Beaufsichtigung der einzuführenden Informationspflicht über die Reichweite der technischen Umsetzbarkeit der juristischen Methodenlehre in Bezug auf die konkrete algorithmische Rechtsdienstleistung
  • Kontrolle der Textbausteine bei Dokumentengeneratoren
  • Kontrolle der tatsächlichen Durchführung erforderlicher Updates bei Gesetzesänderungen
Foto: Adobe.Stock/©everythingpossible
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Gerald Häfner (* 3. November 1956 in München) ist Gründungsmitglied des Bündnis 90/Die Grünen. Er war zwischen 1987 und 2002 dreimal Mitglied des Deutschen Bundestages und war von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments, wo er u.a. als Mitglied des Rechtsausschusses tätig war. Darüber hinaus setzt er sich als Gründer verschiedener Initiativen für Demokratie, Bürgerrechte und Verfassung ein.

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