Die Legal Tech-Branche entwickelt sich in den letzten Jahren in rasantem Tempo weiter. Neue Trends bieten immer weitreichendere Möglichkeiten der Unterstützung in der Rechtsbranche. Doch welche Trends gibt es? Wie fällt ein Vergleich mit anderen Ländern aus? Und welche Trends halten in der Praxis tatsächlich Stand? Um diese Fragen zu beantworten, haben sich zwei Spezialisten in diesem Bereich – Rechtsanwalt Alexander Barynskyy und Diplomjurist Martin Knost von der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei, – bereit erklärt, aus der Praxis zu berichten.
Aktuelle Legal Tech-Trends
Pia Nicklas: Welche aktuellen Legal Tech-Trends werden eurer Meinung nach gerade auf dem Rechtsmarkt besonders stark diskutiert?
Martin Knost:
1. Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung: KI – insbesondere generative KI – ist und bleibt das zentrale Thema im Bereich Legal Tech. Im Mittelpunkt steht aktuell generative KI, die für Dokumentenanalyse, Rechtsrecherche und die Erstellung juristischer Texte eingesetzt wird. Derartige Tools, die Daten extrahieren, Muster in Gerichtsurteilen erkennen oder Verträge (zumindest zum Teil) automatisch prüfen, werden als Effizienzsteigerung gesehen. Gleichzeitig gibt es aber auch Diskussionen über ethische Herausforderungen, Bias (systematische Verzerrung oder Voreingenommenheit in den Ausgaben des Modells, ausgelöst durch unausgewogene oder stereotype Trainingsdaten) und Datenschutz.
2. Cloud-basierte Lösungen: Ein weiterer Dauerbrenner ist der Einsatz von Cloud-Technologien für Dokumentenspeicherung, Fallmanagement und Zusammenarbeit. Diese bieten Flexibilität, etwa bei der Arbeit aus der Ferne und werden für die Bewältigung komplexer Fälle – wie Massenklagen – geschätzt. Jedoch sind Datensicherheit und digitale Souveränität in jedem Fall zu beachten.
3. Predictive Analytics: Durch KI und maschinelles Lernen gestützte Vorhersage-Tools, die den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten prognostizieren, werden hier heiß debattiert. Sie versprechen strategische Vorteile, etwa durch Einblicke in Richterverhalten, stoßen aber auch auf Skepsis hinsichtlich ihrer Genauigkeit und rechtlichen Verwertbarkeit.
4. Agentische KI: Ein neuerer Trend ist der Übergang von assistiver zu agentischer KI, die dazu in der Lage ist, völlig eigenständig Aufgaben zu übernehmen und Workflows auszuführen. Dies könnte die Rolle von Anwältinnen und Anwälten sowie Assistenten in Zukunft verändern und wird als Chance, aber auch als Herausforderung für die Branche gesehen.
Alexander Barynskyy:
5. Klassifizierende/Clustering KI: Dieses Thema ist zwar in der aktiven Praxis noch nicht all zu groß, hat aber enorm viel Potenzial. Diese Art von KI generiert keine Texte im Output, sondern ist dazu in der Lage, Input – hier insbesondere Texte – nach bestimmten zu definierenden Themengebieten, im juristischen Umfeld zu Rechtsgebieten, einzuordnen und für die weitere juristische Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. In der Praxis geht es hier hauptsächlich um die juristische Klassifikation von Vertragsdokumenten und Klauseln zu Vertragstypen, Rechtsgebieten und zu juristischen Problemfeldern und somit um Aufbereitung von weitläufigen Dokumentsätzen zur anschließenden juristischen Analyse im bereits ermittelten korrekten juristischen Kontext. Die Clustering KI ist vor allem in Bereichen relevant in denen eine große Anzahl an Dokumenten überhaupt erst kategorisiert werden muss: So ist dies zum einen im Bereich Legal Due Diligence sowie generell während einer M&A Transaktion und zum anderen im Bereich Justiz, hier insbesondere im Bauwesen, in denen die Gerichtsakten pro Fall typischerweise ziemlich umfangreich werden.
6. Dokumentautomatisierung: Weg vom Thema KI geht es aber auch immer noch um klassische Dokumentenautomatisierung. Im Vordergrund steht hierbei die Generierung von Dokumenten – einerseits auf Basis von Nutzerinput und andererseits auf Basis von intelligenten, also mit Business Logik ausgestatteten, in Datenbanken abgelegten Textbausteinen. Dies hat gegenüber der KI den Vorteil, dass die in einer Datenbank hinterlegten Textbausteine bereits durch Wissensträger vorab geprüft werden können. Man kann sich, soweit ein entsprechender Review- und Aktualisierungsprozess implementiert wurde, also weitestgehend darauf verlassen, dass die Informationen auch juristisch sauber sind. Hierdurch kann ein hoher Qualitäts- und Standardisierungsgrad erzielt werden, welcher auf dem Rechtsmarkt viel wert ist.
Welche noch nicht genannten Legal Tech-Trends werden eurer Meinung nach den Rechtsmarkt in den nächsten drei Jahren prägen?
Martin Knost: Der Einsatz von Design Thinking-Methoden zur nutzerfreundlicheren Gestaltung juristischer Prozesse und Dokumente wird wahrscheinlich zunehmen. Das bedeutet, dass Verträge, Schriftsätze oder rechtliche Informationen visuell und sprachlich so aufbereitet werden, dass sie für die Mandantschaft oder Laien leichter verständlich sind. So können beispielsweise Abweichungen im Rahmen eines Vergleichs von NDAs innerhalb kürzester Zeit herausgefiltert werden. Dies schafft Zeit, sich auf die wirklich kritischen Stellen zu konzentrieren. Ein solches Vorgehen könnte die Kommunikation zwischen Anwältinnen, Anwälten und Klienten verbessern und insgesamt die Akzeptanz von Legal Tech fördern.
Gibt es aus eurer Sicht empfehlenswerte aktuelle Studien, um sich einen Eindruck über die aktuellen KI-Trends auf dem Legal Tech-Markt zu verschaffen?
Alexander Barynskyy: Es gibt ein breites Spektrum diverser Studien auf dem Markt. Jedoch sind diese auch relativ schnell wieder überholt. Es gibt also laufend neue und aktualisierte Fassungen. Anfang des Jahres kam beispielsweise der Legal Tech Monitor in Zusammenarbeit mit beck-online, dem Legal Tech Colab und der Bucerius Law School auf den Markt. Der Legal Tech Monitor erlaubt einen Einblick in den aktuellen Stand des Marktes, insbesondere in Trends und Kennzahlen zum Stand des Legal Tech Marktes in Deutschland
Legal Tech-Trends im internationalen Vergleich
Wenn ihr die Legal Tech-Branche in Deutschland mit anderen Ländern vergleicht – wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?
Martin Knost: Deutschland hat eine interessante Position mit einigen Herausforderungen. Der US-Markt profitiert von einem innovationsfreundlichen rechtlichen Rahmen, gewaltigen Investitionen und Budgets und einer Kultur, die technologische Disruption schnell annimmt.
In Deutschland gilt es regulatorische Hürden zu überwinden, wie etwa das Rechtsdienstleistungsgesetz, das außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (stark) einschränkt und eine eher konservative Rechtsbranche, die neue Technologien zögerlich aufnimmt.
Im europäischen Kontext sehe ich Deutschland im Mittelfeld. Länder wie die Niederlande sind in puncto Digitalisierung weiter. Deutschland punktet hingegen mit einer soliden Infrastruktur und starkem Interesse an KI und einigen vielversprechenden Start-ups.
Interessant ist auch der Vergleich mit Ländern wie Singapur oder Kanada, die in der Justizdigitalisierung führend sind. Singapur nutzt KI für Mediation und hat eine hochmoderne IT-Infrastruktur, während Kanada mit Projekten wie dem Civil Resolution Tribunal Online-Streitbeilegung neu definiert. Deutschland hinkt hier laut Studien angeblich einige Jahre hinterher.
Deutschland hat durch seine starke Wirtschaft und juristische Expertise Potenzial, jedoch fehlen Tempo, Investitionen und ein innovationsfreundlicher Rechtsrahmen. Während die Szene wächst (z. B. Flightright, Bryter), bleibt der internationale Anschluss fraglich, solange die Branche nicht schneller aus ihrer Vorsicht erwacht.
Welche Ansätze sind – im Gegensatz zu anderen Ländern – in Deutschland noch nicht etabliert? Können wir von anderen Ländern lernen?
Martin Knost: Die USA zeigen, wie man mit massiven Investitionen und einem kundenorientierten Ansatz (z. B. einfache Nutzeroberflächen) Legal Tech zum Mainstream macht. Deutschland könnte lockere Regelungen für standardisierte Dienstleistungen einführen, um Plattformen für Verbraucherinnen Verbraucher zu fördern, ohne aber die Anwaltschaft zu gefährden.
Deutschland könnte ODR-Plattformen entwickeln, die Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen schnelle, kostengünstige Lösungen bieten. Ein Vorbild ist der kanadische Civil Resolution Tribunal. Er ist einfach zugänglich, mehrsprachig und hat klare Prozesse. Das würde die Überlastung der Gerichte reduzieren.
Singapur fördert Legal Tech aktiv durch Förderprogramme und Infrastruktur (z. B. die Smart Nation Initiative). Deutschland könnte ähnlich ambitionierte Digitalisierungsprojekte in der Justiz starten, etwa mit einer „Legal Tech Sandbox", in der neue Ansätze unter Aufsicht getestet werden.
Legal Tech-Trends in der Anwendung
Welche Rolle spielen aktuelle Legal Tech-Trends in der täglichen Praxis?
Alexander Barynskyy: Ich würde an dieser Stelle nun gerne auf den praktischen Nutzen für die Anwenderinnen und Anwender eingehen und weniger darauf, wie es im Hintergrund funktioniert. Zum einen findet eine Erleichterung bei der Analyse und Aufbereitung von Informationen statt. Wir sprechen hier konkret von Dingen wie Vertragsanalysen, Zusammenfassungen von Klauseln unter bestimmter Schwerpunktsetzung sowie der Aufbereitung von Berichten.
Die juristische Arbeit des Anwalts bzw. der Anwältin selbst wird beschleunigt und auf ihren juristischen Kerngehalt verschlankt. Sie wird also nicht ersetzt, sondern von der manuellen Verwaltungsarbeit befreit. Mit der freiwerdenden Zeit lassen sich konkretere und detailliertere juristische Ergebnisse produzieren und konkurrenzfähige Honorare am Markt anbieten, da weniger Budget für die vorgenannte manuelle Arbeit verbraucht werden muss.
Welche Trends haben sich in den letzten Jahren tatsächlich etabliert?
Alexander Barynskyy: Ganz klar LLMs (textbasierte KIs), die Texte produzieren. Juristische Arbeitsergebnisse werden auf dem Rechtsmarkt primär in Textform präsentiert. Hier gab es im Grunde auch die größte Weiterentwicklung sowie die größte Akzeptanz auf dem Markt. Es fand aber auch ein immenser technischer Sprung statt, da für LLMs über das Internet eine unglaubliche Menge an Trainingsdaten zur Verfügung steht.
Weniger präsent, jedoch von Interesse ist die schon erwähnte Clustering KI zur Klassifizierung von Verträgen oder deren konkreten Inhalten. Diese ist aktuell jedoch noch etwas fehleranfälliger, da weniger Trainingsdaten verfügbar sind. Es ist außerdem auch ein hoher Aufwand bei der Kennzeichnung der Trainingsdaten erforderlich, da Clustering-basierte KI weniger empfänglich für zero-point Training, also das unüberwachte Training an nicht gelabelten Daten, ist. Die Ironie daran ist, dass der Prozess des Clustering selbst tatsächlich eine gängige Form des unüberwachten Trainings darstellt.
Zum Abschluss lässt sich allerdings sagen, dass der Bereich insgesamt in rasantem Tempo wächst. Dinge, die jetzt noch in den Kinderschuhen stecken, etablieren sich innerhalb kürzester Zeit, da die Programme extrem lernfähig sind.
Legal Tech-Trends 2025: Digitale Tools für die Kanzlei von morgen
Wer neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und Automatisierung gezielt einsetzt, sichert sich klare Effizienzvorteile und bleibt wettbewerbsfähig. Doch welche aktuellen Entwicklungen sind wirklich relevant? Antworten liefert die neue Spezialausgabe des Legal Tech-Magazins.