gesetz digitalisierung justiz

„Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ – Die wichtigsten Änderungen im Überblick

Von Detlef Burhoff

Im Frühjahr 2024 hat die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz v. 6.3.2024 – (BT-Drucks. 20/10943 = BR-Drucks. 126/24) veröffentlicht. Das Gesetzgebungsverfahren lief schneller als erwartet und der Gesetzesentwurf hat inzwischen das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ vom 12.7.2024 ist auch bereits im BGBl verkündet worden (vgl. BGBl. I. Nr. 234 v. 16.7.2024).

Nachfolgend werden die wichtigsten Neuerungen und deren Auswirkungen dargestellt. Die durch das Gesetz vorgenommenen Änderungen/Ergänzungen sind im Wesentlichen am 17.7.2024 in Kraft getreten. Auf Abweichungen weise ich nachfolgend hin.

I. Allgemeine Änderungen

1. Hybridaktenführung

In § 32 Abs. 1a StPO ist geregelt worden, dass Papierakten, die in Straf- oder Bußgeldsachen vor dem 1.1.26 angelegt wurden, als Hybridakte derart weitergeführt werden dürfen, dass in Papier angelegte Aktenteile weiterhin in Papier geführt werden, die Weiterführung der Akte elektronisch jedoch möglich ist.

2. Übermittlung eines Scans

In allen Verfahrensordnungen ist es durch Einfügung einer Regelung jetzt möglich, die prozessuale Schriftform für von Naturalbeteiligten oder Dritten in Papierform unterzeichnete Anträge oder Erklärungen, z. B. Insolvenzanträge, durch elektronische Übermittlung als Scan zu wahren (vgl. z.B. § 130a Abs. 3 S. 3 ZPO). Das gilt für Bevollmächtigte, Vertreter oder Beistände.

In Strafsachen ist die Regelung in § 32a Abs. 3 S. 3 StPO bzw. in und Bußgeldverfahren durch die Verweisung in § 110c Satz 1 OWiG auf die Verweisung in der StPO allerdings auf professionelle Verfahrensbeteiligte (Verteidiger:innen und Rechtsanwält:innen), beschränkt worden.

II. Änderungen in der StPO

1. Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 32d S. 2 StPO

Die Nutzungspflicht des § 32d S. 2 StPO ist auf

  • die Rücknahme der Berufung
  • die Rücknahme der Revision sowie
  • den Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme

erstreckt worden.

Diese Änderung tritt nach Art. 50 Abs. 3 des Gesetzes aber erst am 1.1.2026 in Kraft.

2. Ersetzung von Schriftformerfordernissen

Für die Stellung eines Strafantrages/einer Strafanzeige gilt:

  • Entsprechend der früheren Praxis kann die einfache Strafanzeige i. S. des § 158 Abs. 1 StPO auch elektronisch formlos gestellt werden. Die Vorgabe „mündlich oder schriftlich“ in § 158 Abs. 1 S. 1 StPO ist gestrichen worden. Die Strafanzeige muss nach § 158 Abs. 1 S. 2 StPO lediglich durch die die Anzeige aufnehmende Person entsprechend protokolliert oder in sonstiger Weise dokumentiert werden. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt dies dadurch, dass die Anzeige zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen werden.
  • Ist ein förmlicher Strafantrag für die Strafverfolgung erforderlich, ist nach § 158 Abs. 2 StPO entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zum nicht digitalen Strafantrag die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO nicht mehr erforderlich, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind.

3. Wegfall weiterer Schriftformerfordernisse

Die früher für

  • die Einwilligungen in Maßnahmen nach den §§ 81f, 81g und 81h StPO,
  • die Bestätigung des Erhalts der Belehrung nach § 114b Abs. 1 StPO oder
  • den Verzicht auf Einwendungen gegen die Einziehung nach § 424 Abs. 2 StPO

geltenden zwingenden Schriftformerfordernisse sind in der StPO entfallen. Es besteht nun ggf. auch die Möglichkeit, dass die Abgabe der Erklärung durch die Strafverfolgungsbehörden protokolliert oder in sonstige Weise dokumentiert wird.

4. Audiovisuelle Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung

An der Revisionshauptverhandlung können nach einer Änderung des § 350 StPO Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreter:innen, Verteidiger:innen sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin durch die Nutzung von Videokonferenztechnik auch von einem anderen Ort aus teilnehmen. Das gleiche gilt für Nebenkläger, Nebenklageberechtigte sowie die Personen, die nach § 397 Abs. 2 Satz 3, § 404 Abs. 3 und § 406h Abs. 2 Satz 2 sowie § 429 Abs. 1 und § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO von dem Termin zu benachrichtigen sind.

Diese Möglichkeit besteht nach Art 50 Abs. 2 des Gesetzes aber erst ab dem 17.7.2025.

Newsletter

Wenig Zeit für Digitalisierung?

Digitalisierungstipps, die Sie weiterbringen, erhalten Sie in unserem monatlichen Legal Tech-Newsletter.

III. Änderungen im OWiG

In der Praxis ist in der Vergangenheit um den Anwendungsbereich des § 110c OWiG gestritten worden. Dabei ist es insbesondere um die Frage gegangen, ob § 32d S. 2 StPO, auf den § 110c OWiG verweist, auch für den durch einen Rechtsanwalt eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gilt. Dieser Streit hat sich durch Änderungen in § 110c OWiG erledigt.

Denn nach § 110c S. 2 OWiG gilt die Nutzungspflicht des § 32d Satz 2 StPO nun ausdrücklich (auch) für

  • den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und
  • die Rücknahme des Einspruchs und
  • den Verzicht auf den Einspruch.

Diese Änderung tritt nach Art. 50 Abs. 3 des Gesetzes aber erst am 1.1.2026 in Kraft

IV. Änderung im RVG

Im RVG hat es betreffend die Berechnung der Vergütung, die in § 10 RVG geregelt ist, eine längst überfällige Änderung gegeben. § 10 Abs. 1 S. 1 RVG ist wie folgt neu gefasst worden:

„Der Rechtsanwalt kann die Vergütung nur aufgrund einer von ihm oder auf seine Veranlassung dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung fordern; die Berechnung bedarf der Textform.“

Diese Neuregelung war überfällig, denn in den Zeiten von beA war die bisherige gesetzliche Regelung nicht mehr zeitgemäß. So war es z. B. nicht mehr möglich, im gerichtlichen Verfahren eine ordnungsgemäße Kostenrechnung nachzureichen. Während dies zu „Papier-Zeiten“ möglich war, indem eine eigenhändig unterschriebene Rechnung der für den Beklagten bestimmten Schriftsatzausfertigung beigefügt und diese dann dem Beklagten zugestellt werden konnte, war das seit der Einführung des beA nicht mehr möglich, da das Gericht dem Beklagten nur noch eine einfache Kopie per beA zustellt. Das hat sich durch die Neuregelung erledigt: Einer eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts unter die Berechnung bedarf es zur Dokumentation der Verantwortungsübernahme nicht mehr.

Lange diskutiert worden ist, wie bei der Übermittlung per Textform sichergestellt werden könne, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für die Rechnung trägt. Insoweit ist die anfängliche Fassung, wonach der Rechtsanwalt „die Vergütung nur aufgrund einer dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung“ sollte fordern können, dahingehend ergänzt worden, dass der Rechtsanwalt die Rechnung selbst verschickt oder deren Versand veranlasst haben muss. Damit bleibt es dabei, dass der Anwalt auch bei Übersendung in Textform die berufs- und strafrechtliche Verantwortung für den Inhalt seiner Rechnung übernimmt und hierfür zur Verantwortung gezogen werden kann.

V. Änderungen in der ZPO und im ArbGG

Durch den neuen § 130e ZPO bzw. § 46h ArbGG sind die wirksame Abgabe und der wirksame Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen erleichtert worden, die in bei Gericht elektronisch eingereichten Schriftsätzen enthalten sind. Danach gilt eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform (§§ 126, 127 Abs. 1 und 2 BGB) oder elektronischen Form (§§ 126a, 127 Abs. 1 u. 3 BGB) bedarf, als in dieser Form zugegangen, wenn sie in einem Schriftsatz nach Maßgabe der prozessualen Vorgaben des § 130a ZPO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt (vergl. § 270 ZPO) wird.

Die Regelung ist zunächst auf vorbereitende Schriftsätze i.S. der §§ 129, 130 ZPO bezogen. Über die Verweise insbesondere in §§ 70 Abs. 2, 253 Abs. 4, 519 Abs. 4, 520 Abs.5, 549 Abs. 2 § 551 Abs. 4 und § 575 Abs. 4 ZPO ist sie aber auch auf bestimmende Schriftsätze anwendbar.

Vergleichbare Regelungen finden sich im ArbGG.

VI. Fazit

Mit dem Gesetz sollte „durch Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung … die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter gefördert werden.“ Das hat man z. B. im Insolvenzrecht mit der Möglichkeit der elektronischen Forderungsanmeldung und der elektronischen Kommunikation mit den Insolvenzgläubigern sicherlich erreicht.

Auch im Strafverfahrensrecht hat man mit den Änderungen bei der Strafantragstellung und bei den weiteren früher bestehenden Schriftformerfordernissen Erleichterungen geschaffen. Zu begrüßen ist es auch, dass man den Verfahrensbeteiligten die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung im Wege der Videokonferenz ermöglicht hat.

Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die m. E. doch recht lange Übergangsfrist bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 32d S. 2 StPO im Straf- und Bußgeldverfahren. Die Übergangsfrist bis zum 1.1.2026 ist m. E. zu lang. Sie war nicht nötig, „um allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich auf die Rechtsänderung einzustellen“. Darauf hätten sich Rechtsanwält:innen und Verteidiger:innen auch schneller einstellen können und man hätte so die beklagten „Medienbrüche“ schneller beseitigt.

Bild: Adobe Stock/©sdecoret
Weitere Beiträge

Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Nach oben scrollen