Legal Tech-Startup

Die Startup-Kanzlei – So entwickeln Sie zukunftsfähige Geschäftsmodelle

Von Charlotte Falk und  Paul Schirmer

Trugschluss: „Uns betrifft das nicht, ich arbeite in einer Großkanzlei.“

Seit wir uns intensiv mit der Digitalisierung des Rechts und Legal Tech beschäftigen, begegnen uns Sätze wie dieser am laufenden Band.  Bei der Gründung und dem Aufbau der Munich Legal Tech Student Association und SFS Legal Tech Beratung haben wir mit unzähligen Partnern und Anwälten aus Großkanzleien über Legal Tech gesprochen. Hier verraten wir, welche Optionen Kanzleien bleiben, wenn sie auf dem sich verändernden Rechtsmarkt bestehen wollen.

Wirkt sich Legal Tech auch auf den „High-End-Bereich“ aus?

Bei diesen Gesprächen war auch immer die Auswirkung von Legal Tech auf den Rechtsdienstleistungsmarkt im „High-End-Bereich“ ein vieldiskutiertes Thema. Bis auf äußerst wenige Ausnahmen wurde dabei stets die These vertreten, dass die Digitalisierung des Rechts für die Durchsetzung von Verbraucherschutzrechten „ganz nett“ sei. Ihre eigene juristische Tätigkeit wurde in der Regel von den Anwälten aber als „so komplex und individuell“ beschrieben, dass hier die Digitalisierung, auch auf lange Sicht, keine nennenswerten Auswirkungen nach sich ziehen würde, so die Meinung vieler Kanzleien.

Disruption von innen!

Dieser Ansicht wollen wir eine These entgegenstellen: Die Digitalisierung des Rechts wird durch eine neue Art von Kanzleien auch die klassische „High-End“-Beratung massiv unter Druck setzen. Die echte Disruption der Rechtsberatung muss nicht zwingenderweise von außen kommen, sondern kann von innen, aus der Welt der Kanzleien selbst stammen.

Parallele zur Finanzbranche: Disruption durch Fintechs

Eine Parallele kann hier zur Finanzbranche gezogen werden. Die Finanzbranche ist stark reguliert und hohe Eintrittshürden erschweren Innovationen durch neue Unternehmen. Aber trotzdem haben sich einige der Fintechs in den letzten Jahren gegenüber klassischen alten Banken durchsetzen können. Erst diesen Sommer wurde das Technologie- und Finanzdienstleistungs-Unternehmen Wirecard höher bewertet, als die Deutsche Bank und hat den Platz der Commerzbank im DAX übernommen.[1]

Wirecard ist dabei kein typisches Startup, sondern eine volle, von der BaFin regulierte Bank. Die Disruption eines Teilbereichs der Finanzdienstleistungsbranche wurde also nicht von einem nicht regulierten externen Unternehmen erreicht, sondern von einem Unternehmen, welches einen Teil des klassischen Bankgeschäfts von Anfang an anders, neu und digital aufgebaut hat.

Rechtsberatungsmarkt heute: ein kompetitiver Markt mit steigenden Anforderungen

Der Rechtsberatungsmarkt heute ist hochkomplex und kompetitiv. An Kosten („Less for More“) sowie Qualität der Beratung werden immer höhere Anforderungen gestellt. Gleichzeitig fällt es immer schwerer geeigneten juristischen Nachwuchs zu finden.

Regulatorik – Wie lange können Legal Tech-Startups noch zurück gehalten werden?

Neben den beschriebenen Treibern stellte zudem bisher die Regulatorik des klassischen Rechtsberatungsmarkts eine Art Schutzschild dar, indem „echte“ Legal Techs aus dem Markt gehalten wurden. So können lediglich Verbraucheransprüche über echte Inkassostrukturen oder über Inkassodienstleistungslizenzen durchgesetzt werden. Kanzleien, die klassische Rechtsberatung auf eine neue Art am Markt anbieten, sind aktuell äußerst rar gesät.

Die Startup-Kanzlei

Was aber wäre, wenn sich eine Gruppe junger, digitalaffiner und hochqualifizierter Juristen aufmachen und eine neue Kanzlei in einem klassischen Beratungsfeld der Großkanzleien, wie zum Beispiel dem Kapitalmarktrecht, gründen würde? Zusammen mit Entwicklern, Designern und Betriebswirten würde etwas Neues entstehen: Die erste echte Startup-Kanzlei wäre geboren. In Bezug auf den Digitalisierungsgrad 100 Prozent auf dem Stand des heute Möglichen, ohne jede technische Altlasten und zugleich hochspezialisiert.

Neue, bessere Prozesse für mehr Qualität

Mit neuen, deutlich besseren Prozessen und unter Einsatz von allen technischen Möglichkeiten unserer Zeit könnte diese Startup-Kanzlei operieren – einem interdisziplinären Ansatz bei der Standardisierung von juristischen Lösungen und mit einem anderen Geschäftsmodell als die meisten anderen Kanzleien es aktuell noch leben. Eine solche Kanzlei könnte unter geringeren Kosten eine höhere Beratungsqualität erbringen und wäre innerhalb des Geschäftsmodells deutlich weniger abhängig von der Verfügbarkeit vieler hochqualifizierter Fachkräfte. Denn der neue wirtschaftliche Hebel wäre nicht, möglichst viele Associates und sonstige Mitarbeiter zu möglichst hohen Stunden für möglichst viel Zeit für einen Mandaten arbeiten zu lassen, sondern durch Standardisierung und innovative Prozesse für die Mandanten einen erheblichen Mehrwert zu generieren, der unabhängig von der geleisteten Zeit der Kanzleimitarbeiter vergütet würde. Der neue Hebel wäre Exzellenz in Effizienz.

Welche Optionen bleiben den Kanzleien?

Wie kann nun aber mit einem solchen Zukunftsszenario umgegangen werden? Im Ergebnis sind vier Handlungsoptionen auszumachen, von denen die ersten beiden eher passiv, die letzten beiden aktiv sind.

Option 1: Machen wir es wie der Strauß: Stecken wir den Kopf in den Sand

Diese Option ist sicherlich gerade für ältere Partner durchaus attraktiv: die Veränderungen einfach aussitzen und sich langsam aus dem Markt drängen lassen.

Option 2: Adopt and Pray

Natürlich kann auch die Hoffnung bestehen, einfach das zu nehmen, was der Markt an bereits etablierten technischen Lösungen bietet. Die Kanzlei, die eine solche Option wählt, würde sich dann aber darauf verlassen, dass genug übrig bleibt.

Option 3: First Mover sein

Aktiver wäre hingegen first mover oder Pionier zu sein! Durch lernen und testen könnte so die Digitalisierung des Rechtsmarkts selbst mitgestaltet werden.

Option 4: Investieren

Neben all diesen Optionen steht die vierte: Investieren. Denn auch durch Investitionen kann an diesem spannenden Markt partizipiert werden.

Fazit: Handeln statt träumen!

Wichtig bei all diesen Überlegungen ist vor allem eines: dass sie getätigt werden. Die Digitalisierung ist, wie man so schön sagt, „here to stay“. Verschließen wir also nicht die Augen und verlieren wir uns nicht in Träumereien vom Robo-Lawyer, sondern gestalten wir die Zukunft des Rechts in allen Bereichen schon jetzt aktiv mit.

[1] Berliner Morgenpost, 16.08.2018: Fintech Wirecard ist jetzt mehr wert als die Deutsche Bank
Foto: Adobe Stock/wowomnom

Unser Interview mit dem Autor Paul Schirmer

Mehr als nur ein Marketinggag: Der richtige Ansatz zur Digitalisierung in Ihrer Kanzlei

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Charlotte Falk ist Mitgründerin des Legal Tech-Beratungsunternehmens SFS Digital- & Innovationsberatung in München. Sie hält einen Bachelor in Kommunikationswissenschaften & BWL von der Universität Mannheim und begann in dessen Endzügen 2016 ihr Jurastudium. Durch verschiedene Projekte in Kommunikationsberatungen, der Unternehmens-
kommunikation von großen Konzernen aber auch Kanzleien weiß sie ihr Know-how einzusetzen.

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Paul Schirmer ist Mitgründer und Business Developer des Legal Tech-Beratungsunternehmens SFS Digital- & Innovationsberatung in München. Sein Jurastudium wird er voraussichtlich im Frühjahr 2019 abschließen. Neben seinem Interesse an juristischen Fragestellungen gehört unternehmerisches Denken ebenso zu seinen Stärken. Dabei fokussiert er sich insbesondere auf Marketingstrategien und Marktanalysen.
www.sfs-digital.de

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