Von Dr. Max Greger
Seit rund einem Jahr ist das KI-Sprachmodell ChatGPT in aller Munde. Selbst Rechtsanwaltskanzleien sollen damit Textarbeiten enorm beschleunigen und erleichtern können. Damit hängen zwei ganz wesentliche Fragen zusammen – gerade auch für sensible Anwendungsbereiche wie Anwalts- und Steuerkanzleien:
- Kann OpenAI, der Hersteller von ChatGPT, Rechte (z. B. das Urheberrecht) an den künstlich generierten Texten beanspruchen?
- Kann ich mit ChatGPT generierte Texte sorglos verwenden?
Der nachfolgende Artikel beginnt mit einer kurzen Erläuterung, was ChatGPT überhaupt ist und wie das System grob funktioniert. Dann erkläre ich, wer welche Rechte an vorbestehenden oder durch ChatGPT generierten Texten hat und was Kanzleien in Sachen Urheberrecht beachten müssen, wenn sie das Tool nutzen.
1. Was ist ChatGPT und wie funktioniert es?
ChatGPT ist eine Software, die im Spätherbst 2022 schlagartig als KI für jedermann bekannt wurde. Die Hersteller haben ChatGPT „trainiert“, indem sie sie eine riesige Menge an vorbestehenden Textdaten aus dem Internet und anderen Quellen analysieren ließen. Während dieses „Fütterns“ mit Informationen konnte die Software die Strukturen und Muster der menschlichen Sprache erlernen. ChatGPT ist aber auch künftig noch lernfähig, kann also auf Feedback seiner Nutzer:innen reagieren und dadurch seine künftigen generierten Texte verbessern.
2. Sind KI-generierte Texte von ChatGPT urheberrechtlich geschützt?
Nun machen sich natürlich viele Nutzer:innen Sorgen darüber, ob sie die von ChatGPT gelieferten Ergebnisse auch frei verwenden dürfen. Um diese Frage zu beantworten, erkläre ich in aller Kürze die urheberrechtlichen Grundprinzipien hinsichtlich des Schutzes von Texten. Vorweg: Wer als Urheber:in eines geschützten Werks gilt, kann es Dritten verbieten, das Werk zu nutzen, unter anderem es zu vervielfältigen oder für andere im Internet bereitzustellen.
Die meisten Texte – fast egal, in welchem Land der Welt – sind urheberrechtlich geschützt. So nennt beispielsweise unser deutsches Urheberrechtsgesetz in § 2 als schutzfähiges Werk die „Sprachwerke“ an erster Stelle. Natürlich ist nun nicht jeder Text automatisch urheberrechtlich geschützt. Von den Schutzvoraussetzungen sind für die mit ChatGPT zusammenhängenden Fragen zwei Voraussetzungen besonders wesentlich: (1) die Schöpfungshöhe und (2) das menschliche Schaffen.
Mit Schöpfungshöhe meint der Gesetzgeber, dass ein Text ein gewisses Maß an Individualität haben muss. In einem Text muss also die schöpferische Persönlichkeit des Verfassers bzw. der Verfasserin erkennbar sein. Demgegenüber liegt kein Werk im urheberrechtlichen Sinne vor, wenn ein Text das Ergebnis eines nur durchschnittlichen handwerklichen Könnens ist. Eine kurze Telefonnotiz wird in der Regel nicht als Werk nach § 2 UrhG gelten. Ein zwölfzeiliges Gedicht oder ein Blogbeitrag normalerweise schon.
Menschliches Schaffen bedeutet, dass das Ergebnis des Schöpfungsprozesses – also zum Beispiel das Formulieren eines Textes – zielgerichtet von einem Menschen gesteuert wird. Zwar darf sich der Mensch der Hilfsmittel (Computer, Stift und Papier, Diktiersoftware usw.) bedienen. Wie der Text konkret formuliert wird, darf aber gerade nicht die Software autonom entscheiden, sondern dies muss dem Willen des Schöpfers bzw. der Schöpferin entspringen.
Aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen können wir nun die Frage beantworten, ob die Entwickler von ChatGPT Ausschlussrechte an allen von ChatGPT generierten Texten haben. Die Antwort muss natürlich „Nein“ lauten. Ein künstliches Sprachmodell wie ChatGPT generiert Texte jeweils nicht durch ein zielgerichtetes Handeln eines Menschen. Wie ein generierter Text ausformuliert ist, entscheidet das Sprachmodell im jeweiligen Einzelfall selbst.
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3. Darf ich dann mit ChatGPT generierte Texte sorglos nutzen?
Während zwar die Betreiber (OpenAI) von ChatGPT keine Rechte an den generierten Texten erlangen, sieht es im Hinblick auf Urheberrechte der zu Trainingszwecken verwendeten Texte anders aus.
3.1 Wie gelangt ChatGPT an seine Trainingsdaten?
OpenAI ist für das Training auf sehr große Textmengen angewiesen. Diese Texte können Blogbeiträge, veröffentlichte Aufsätze, Wikipedia-Einträge etc. sein. Das bedeutet, dass OpenAI sein Sprachmodell vermutlich überwiegend mit urheberrechtlich geschützten Texten „gefüttert“ hat. Solange es sich dabei um frei zugängliche Texte handelt, die nicht mit einem Rechtevorbehalt versehen sind, ist dies vom Gesetz abgedeckt: Das Training von ChatGPT unterfällt § 44b I UrhG (basierend auf der EU-Urheberrechtsrichtlinie). Demnach ist es auch kommerziellen Anbietern wie OpenAI im Wege des „Data Minings“ möglich, rechtmäßig zugängliche digitale Texte vorübergehend zu Trainingszwecken zu nutzen.
3.2 Wie stark wandelt ChatGPT trainierte Texte bei der Ausgabe ab?
Nur weil ChatGPT die Trainingsdaten vermutlich legal genutzt hat, legitimiert das noch lange nicht die Verwendung der ausgegebenen Ergebnisse.
Tatsächlich scheint es so zu sein, dass ChatGPT zuvor antrainierte Texte nicht in identischer Form wiedergibt. Wir erinnern uns: Bei einer erheblichen Abwandlung eines urheberrechtlich geschützten Textes „verblasst“ das ursprüngliche Werk. Es liegt eine freie Benutzung vor, die ohne Zustimmung des ursprünglichen Autors bzw. der ursprünglichen Autorin möglich ist.
Vielen ist aber nicht bewusst, dass sich das Urheberrecht nicht nur auf die konkrete Ausformulierung eines Textes beschränkt. Auch Handlungen und Charaktere, Reihenfolgen, Aufzählungen, Listen sind schutzfähig. Denn dann besteht die individuelle schöpferische Leistung nicht oder nicht allein in der konkreten Ausformulierung (also dem sprachlichen Stil), sondern auch in der Auswahl und Anordnung des zu behandelnden Stoffs. Ein gutes Beispiel für eine geschützte Auswahl ist zum Beispiel ein Rezeptbuch. Welche Rezepte passen thematisch? Welche Rezepte werden den künftigen Leser:innen gefallen? Ähnliches gilt für die Charaktere von Harry Potter und die Welt, in der sich erstgenannte bewegen. Die vielen einzelnen Merkmale prägen das Bild einer Fabel.
Es ist daher nicht fernliegend, dass ChatGPT bei entsprechenden Nutzereingaben („Zähle mir XY auf ...“) eine urheberrechtlich geschützte Liste darstellt. Die Verwendung dieser Liste verletzt dann die Rechte des jeweiligen Autors/der jeweiligen Autorin. Es ist auch nicht fernliegend, dass sich Nutzer:innen eine bestehende und urheberrechtlich geschützte Fabel zusammenfassen lassen. Auch in dieser Zusammenfassung sind dann noch die charakteristischen Merkmale erkennbar. Die Verwendung der Zusammenfassung würde ebenfalls potentiell in die Rechte des Autors/der Autorin eingreifen.
4. Fazit: Inhalte vor Veröffentlichung auf potenzielle Rechteverletzung prüfen
Die von ChatGPT generierten Texte sind nicht ohne Weiteres frei von Rechten Dritter. Kommt es zu einer Rechtsverletzung, weil zum Beispiel eine Kanzlei Teile eines Blogbeitrags von ChatGPT generieren lässt, haftet gegenüber dem jeweiligen Urheber/der jeweiligen Urheberin nicht OpenAI, sondern der- oder diejenige, der oder die den Inhalt ins Netz stellt (zum Beispiel die Kanzlei).
Von ChatGPT generierte Ergebnisse müssen also immer sorgfältig auf einen möglichen urheberrechtlichen Schutz zugunsten Dritter hin überprüft werden. Insgesamt ist ChatGPT mit viel Sorgfalt und Bedacht anzuwenden.
Anleitung und Einsatzgebiete zur Nutzung von KI-Chatbots in der Kanzlei
„ChatGPT-Leitfaden für ReFas und ReNos“
Bild: Adobe Stock/©Ascannio
Dr. Max Greger ist Fachanwalt für IT-Recht und für Urheber- und Medienrecht in München. Nach seiner Partnerschaft bei der Kanzlei „SNP Schlawien“ gründete er Mitte 2023 seine eigene Kanzlei. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der FAU Erlangen.