Automatisierung

Automatisierung, künstliche Intelligenz und das Recht – wo stehen wir eigentlich?

Von Sophie Reblin

Automatisierung wird von vielen Juristinnen und Juristen bis heute argwöhnisch betrachtet. Ihr hängen die Vorurteile an, sie wäre intransparent, den Computerbegabten unter uns vorbehalten, oder liefere keine den hohen Ansprüchen des juristischen Handwerks genügenden Ergebnisse. Doch was versteckt sich eigentlich hinter dem Begriff „Automatisierung“? Was hat das Ganze mit künstlicher Intelligenz zu tun und wie funktioniert juristische Automatisierung heute?

Eine kleine Begriffsbestimmung – implizite und explizite Programmierung

Das Wort „Automatisierung“ hat in den letzten Jahren auch im juristischen Bereich zunehmend an Bedeutung gewonnen. „Automatisierung“ ist ein recht unspezifischer Begriff und hat in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen. Ohne Automatisierung näher definieren zu müssen, umfasst sie im juristischen Bereich alle softwarebasierten Lösungen, die nach einem Input von Daten (juristische) Arbeitsschritte vornehmen und einen Output erzeugen.

Es gibt im Grundsatz zwei Varianten, wie Automatisierungs-Software von einem Dateninput zu ihrem Ergebnis kommt: Explizite und implizite Programmierung.
Explizit programmiert ist ein System, wenn die Schritte zur Lösung der Aufgabe vorgegeben sind und – meist mittels Wenn-Dann-Programmierungen – abgerufen werden. Das Ergebnis ist vollständig nachvollziehbar und der Lösungsweg von einem Menschen vorgegeben und geschrieben worden. Die Software nimmt dann einen Abgleich aller möglichen (vorgegebenen) Lösungswege mit den zugeführten Daten vor und wählt den zutreffenden aus. Beinahe alle IT-Systeme sind explizit programmiert.

Eine implizite Programmierung ist das, was gemeinhin als künstliche Intelligenz bezeichnet wird. Sie gibt das gewünschte Verhalten nicht in allen seinen Optionen vor, sondern analysiert den Zusammenhang von In- und Output und wendet die so erkannten Muster auf die ihr gestellten Probleme an. Um das Erkennen der relevanten Zusammenhänge zu trainieren, werden der künstlichen Intelligenz historische Daten zugeführt, die sowohl den In-, als auch den Output enthalten. Die Gefahr einer impliziten Programmierung ist die, dass die künstliche Intelligenz bei den ihr gefütterten Daten nicht zwischen Korrelationen und Kausalitäten unterscheiden kann. In- und Output können in bestimmten Variationen zufällig korrelieren, ohne dass zwischen ihnen eine Kausalität besteht.

Automatisierung im juristischen Bereich – der status quo

Automatisierung kann auch im juristischen Bereich viele Formen annehmen: Von automatisiertem Fristenmanagement, über Dokumentenerstellung bis hin zu scheinbar vollständiger Rechtsberatung. Es gibt daher eine Fülle von Angeboten im Bereich Legal Tech. Beschäftigt man sich mit der Funktionsweise, die hinter all diesen Systemen steckt, wird allerdings schnell klar, dass sie nur im ersten Moment unterschiedlich scheinen. Denn die meisten Systeme basieren auf Wenn-Dann-Programmierungen und fallen damit in den Bereich der explizit programmierten IT-Systeme.

Egal, ob ein Dokument erstellt, das Ende einer Frist oder das Bestehen eines Anspruchs bestimmt werden sollen: Immer greift eine Regel. Ein Textbaustein wird in die Klageerwiderung eingefügt, wenn es einen Vortrag des Klägers zu diesem Thema gab, eine Berufungsfrist läuft einen Monat nach Zustellung des Urteils ab und ein Anspruch besteht, wenn alle seine Voraussetzungen erfüllt sind. Kurz: „Wenn A (Input), dann B (Output)“.

Wenn man sich heute mit Automatisierung im juristischen Bereich beschäftigt, sollte man sich klarmachen, dass der Output nie „aus der Luft gezaubert“ wird. Die Nutzung expliziter Programmierung ermöglicht die Nachvollziehbarkeit jedes einzelnen Arbeitsschrittes. Entgegen des häufig bestehenden Vorurteils, juristische Automatisierung sei intransparent, fehleranfällig und schwierig zu bedienen, sind die meisten Softwareanwendungen sehr flexibel und – für den Legal Engineer - transparent. Diese Nachvollziehbarkeit jeden Arbeitsschrittes des Programms erlaubt es dem Legal Engineer, die Software jederzeit zu verändern: Er kann Bedingungen hinzufügen, entfernen oder anpassen. Ist ein Ergebnis fehlerhaft, kann der Fehler sofort identifiziert und behoben werden.

Nach wie vor ist die größte Hürde der Automatisierung der Einstieg. Der Lösungsweg – sei es mit dem Ziel, ein Dokument zu erstellen, sei es, um das Bestehen eines Anspruchs zu klären – muss mit all seinen Optionen höchst präzise und in kleinste Gedankenschritte zerlegt eingepflegt werden. Dafür braucht es ein tiefes Verständnis der Materie und die Fähigkeit, Sachverhalte auf höchstem Niveau zu abstrahieren. Und nicht zuletzt, braucht das erste Einrichten viel Zeit und Geduld. Ist der Einstieg geschafft, zahlt sich die Arbeit sofort aus: Auf Knopfdruck werden lange Gedankengänge und komplizierte Sachverhalte analysiert und zusammengeführt. Der Bearbeiter muss keine sich wiederholenden Anträge erarbeiten, keine immer gleichen Schreiben erstellen oder immer wiederkehrenden Ansprüche prüfen. Stattdessen pflegt er die Informationen in das von ihm eingerichtete System ein (meist kann dies mittels Textanalyse automatisch vorgenommen werden) und erhält umgehend sein Ergebnis.

Fazit: Ein Blick auf Automatisierungsoptionen lohnt sich

Automatisierung folgt vorgegebenen und von den Nutzern selbst festgelegten Lösungsschritten und ist nicht mit der – insoweit intransparenten – künstlichen Intelligenz zu verwechseln. Automatisierung muss auch nicht im ganz großen Rahmen angesetzt werden, sondern kann sich schon für eng abgesteckte, aber zeitintensive, repetitive Bereiche lohnen. Hochwertige juristische Automatisierung ist transparent, flexibel und kurzfristig anpassbar – und nicht zuletzt höchst effizient. Sich mit den vorhandenen Optionen zu beschäftigen, kann sich für kleine wie große Unternehmen lohnen – besonders, in der aktuellen Krisenzeit. Denn die Arbeit mit entsprechenden Software-Lösungen bietet schon heute das Potenzial enormer Effizienzsteigerungen.

Foto: Adobe.Stock/©zapp2photo
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Sophie Reblin arbeitet seit Oktober 2019 als Legal Engineer. Sie ist meist im Bereich Business-to-Business für Kanzleien tätig und unterstützt diese insbesondere durch eine weitgehende Prozessautomatisierung. Frau Reblin schreibt ihre Doktorarbeit zur Relevanz der Erklärbarkeit künstlicher Intelligenz im Datenschutzrecht. engineering.legal/

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