Von Felix Rackwitz
Wer über Legal Tech spricht, benutzt meist Buzzwörter wie Blockchain oder Smart Contracts. Felix Rackwitz, Geschäftsführer der Legal Tech-Kanzlei TPR Legal, sieht die Digitalisierung auf rudimentärer Ebene: Ohne die Optimierung von Arbeitsprozessen ist die Digitalisierung nicht sinnvoll – vor Tool kommt immer Prozess. Er erklärt, wie man seine Arbeitsprozesse auf den Prüfstand stellt.
Das „Unbundling“, zu Deutsch „Entbündeln“, ist für Felix Rackwitz ein Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Rechtsberatung. Um Arbeitsprozesse zu entbündeln, muss man sich im Kern folgende Frage stellen: Was ist eigentlich Rechtsdienstleistung und was sind reine Prozesse, die die Erbringung ermöglichen?
Arbeitsprozesse entbündeln
Mit dieser „Entbündelung“ geht zwingend einher, seine aktuellen Arbeitsabläufe aufzubrechen und zu dokumentieren. Das erst erlaubt es z. B., kritisch zu hinterfragen, welche Teilschritte die meiste Zeit bzw. den meisten Aufwand in Anspruch nehmen, durch wen die Aufgaben erledigt werden (Ressourcenallokation) oder aber, ob diese komplett irrelevant sind. Die Quelle zur Erfassung dieser Prozesse sind alltägliche Informationseinheiten: E-Mail-Kommunikation, Protokolle, Zuständigkeiten, Telefonate oder auch Dokumentvorlagen und, ganz wichtig, wenn man historische Daten auswertet, die Timesheets. Die Herausforderung liegt darin, in anfangs unstrukturierten Daten einen möglichst allgemeinen Standardablauf zu erkennen, zu extrahieren und substantiell zu verbessern.
Folgende Leitfragen können dabei helfen:
- Wo gibt es fach- oder abteilungsübergreifende Zusammenarbeit?
- In welchen Fällen entstehen Schleifen oder Rückfragen und sind diese notwendig?
- Gibt es eine klare Rollenverteilung: Wer entscheidet? Wer führt die Prozesse aus?
Techniken wie business process model and notation (BPMN), Lean Six Sigma oder Design Thinking sind hier hilfreich, um im Rahmen des Legal Process Reengineerings nicht den Überblick zu verlieren. Des Weiteren ist es wichtig, hierbei eine bestimmte Perspektive einzunehmen. Im Falle der Rechtsanwaltskanzlei, die des Mandanten als Kunden (Nur um den geht es übrigens!): Welche Arbeitsprozesse dienen dem Mandanten? Welche bedeuten für ihn Mehraufwand oder Kosten? Im nächsten Schritt geht es darum, sich die inhaltlichen Aspekte genau anzuschauen: Welche Informationen werden immer abgerufen, damit der Arbeitsprozess stattfinden kann? Welches Wissen sollte allen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, wie und wo wird dieses erfasst?
Entwickeln Sie Ihren typischen Arbeitsprozess
Das Ergebnis einer solchen Detailanalyse ist eine Blaupause der eigenen Arbeitsprozesse, unabhängig von Personen oder Zuständigkeiten.
Laut Rackwitz stellt sich bei derartigen Analysen oft heraus, dass viele Arbeitsschritte eigentlich keine fachlichen oder juristischen Aufgaben, sondern rein operative Prozesse sind. Innerhalb der juristischen Aufgabengebiete lässt sich noch weiter differenzieren: Tätigkeitsbezogene formelle Anwendungen erleichtern dem Anwalt die Arbeit. Dazu zählen unter anderem Dokumentenmanagementsysteme, Informationsdatenbanken oder Kommunikationsanwendungen. Tätigkeitsbezogene materielle Anwendungen sind Teil der Rechtsdienstleistungen an sich, wie zum Beispiel Dokumentenautomation, Predictive Analytics oder eDiscovery. Und alle haben ihren Platz, wie auch der Rechtsanwalt selbst – nur eben im Prozess.
Das eigene Selbstverständnis
Nach dem „Unbundling“ kommt das „Rebundling“ – das Wiederzusammenführen, was dem Prozess eigentlich immanent ist. Erst jetzt geht es darum, den erfassten Arbeitsprozess durch Legal Tech zu optimieren, zu unterstützen oder zu automatisieren. Wie kann man es besser machen? Wo lässt sich Zeit und damit Geld sparen? Welche Werkzeuge oder Programme können einen Arbeitsablauf beschleunigen oder die Fehlerquote senken? Wer dabei Legal Tech-Lösungen wie eDiscovery, Kollaborationsplattformen oder Dokumentenautomation benutzt – Technologien, die Teilschritte optimieren – muss darauf achten, „das große Ganze“ nicht aus den Augen zu verlieren und sog. Systembrüche zu vermeiden. Ein wirklich effizienter und sinnvoller Workflow berücksichtigt nämlich die Schnittstellen zwischen Einzeltools innerhalb einer Wertschöpfungskette, oder anders: der juristischen Produktionslinie.
Im Zusammenhang mit dieser Analyse werden Organisationen auch ihr Selbstverständnis neu definieren müssen – was eine nicht ausschließlich positive Erfahrung ist. Wer jedoch langfristig wettbewerbsfähig sein möchte, muss sich dieser Herausforderung stellen. Denn Innovation braucht auch systemische Veränderung und Umdenken in der Erbringung von Rechtsberatung.
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Felix Rackwitz ist Geschäftsführer von TPR Legal. Zuvor war er Partner und später Leiter Geschäftsentwicklung der Kanzlei BEITEN BURKHARDT. Während seiner zwölfjährigen Kanzleizeit führten ihn seine Stationen nach St. Petersburg, Kiew und Frankfurt. Er studierte Jura an den Universitäten Marburg, Regensburg, Odessa und Kiel. Später machte er seinen MBA an der Judge Business School/Cambridge, wo auch die Idee rund um TPR Legal seinen Ursprung fand.
www.tpr-legal.com