Von Stephan Meyer
Insolvenzverfahren dienen gemäß § 1 Satz 1 der Insolvenzordnung dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt […] wird. Die Bearbeitung von Insolvenzverfahren führt bei Verwalterkanzleien zu einem enormen Datenaufkommen und der Notwendigkeit, diese zu verarbeiten. Sämtliche Informationen zu Vermögenswerten und Verbindlichkeiten von Schuldnern laufen bei den Kanzleien zusammen. In unserer Kanzlei verwalten wir beispielsweise aktuell mehr als 50 TB bzw. rund 16 Millionen Dateien an Schuldnerdaten, vier Millionen Dokumente in den elektronisch geführten Akten und drei Millionen E-Mails. In diesem Beitrag möchte ich Praxistipps geben, wie Legal Tech-Lösungen im Insolvenzrecht eingesetzt werden können.
Große Datenmengen beherrschbar machen
Die Schuldnerdaten werden je nach Anforderung speziell aufbereitet (OCR-Erkennung für Volltextsuche, Extraktion von E-Mails etc.). Die regulär eingehenden Dokumente und E-Mails müssen in verschiedenen Teams gesichtet, ausgewertet, aufbereitet und archiviert werden. Hierbei helfen uns die elektronische Aktenführung mit LEXolution.DMS, die Insolvenzsoftware winsolvenz.p4 sowie die Kanzleisoftware WinMACS enorm. Sämtliche eingehende Post wird in unserer Kanzlei zunächst digitalisiert und der elektronischen Akte zugeführt, von wo aus die weitere Bearbeitung erfolgt. Dokumente können so anhand beliebiger Suchkriterien in alternativer oder kumulativer Verknüpfung und sogar über eine aktenübergreifende Volltextsuche binnen weniger Sekunden gefunden und standortunabhängig bearbeitet werden. Ein nächster Entwicklungsschritt wird die (teil-)automatisierte Bearbeitung des Postein- und -ausgangs sein. So können gerichtliche Schreiben, Forderungsanmeldungen, Rechnungen etc. erkannt, ein vordefinierter Workflow angestoßen und Standardschreiben abhängig von einer bestimmten Aktion (Beschluss, Termin etc.) versandt werden.
Digitale Tools zur Kommunikation mit Schuldnern und Gläubigern nutzen
Kanzleien müssen Daten allerdings nicht nur entgegennehmen, sondern auch versenden – in Insolvenzverfahren mit mehreren hundert oder tausend Beteiligten ein aufwändiger Vorgang. Beim Druck und der Druckweiterverarbeitung der klassischen Briefpost helfen zwischenzeitlich diverse Lettershops (u. a. Deutsche Post AG). Die Kommunikation per E-Mail ist aufgrund der Sensibilität einiger Informationen nicht uneingeschränkt verwendbar. Zudem sind die (zwar stets einfacher werdenden) Verschlüsselungsmöglichkeiten (noch immer) nicht für jeden Empfänger beherrschbar bzw. bei diesem willkommen. Rückfragen führen in (Groß-)Verfahren aber zu einem entsprechenden Aufwand für die Kanzlei. Interessant sind daher spezielle Programme zur Kommunikation mit Schuldnern und Gläubigern. Einige vielversprechende Ansätze befinden sich derzeit in Entwicklung (InsO-Up, Gläubigerinformationssystem 4.0). Für besondere Anwendungsfälle (bspw. M&A-Prozesse) verwenden wir gemeinsam genutzte Datenräume (bspw. Nextcloud; v.a. inhouse gehostet; alternativ: Cloud-Anbieter).
Informationsflut durch digitale Unterstützung bewältigen
Zudem müssen rechtliche Fragen schnell beantwortet werden können. Hierbei helfen elektronische Wissensdatenbanken (Kommentare, Entscheidungen) und ein kanzleieigenes Wissensmanagementsystem (bspw. Wikis wie lexiCan). Ferner müssen die Unterlagen der Schuldner (aktuell 16 Millionen Dateien) auf mögliche Ansprüche untersucht werden. Bei Anfechtungsansprüchen ist beispielsweise bis zu maximal zehn (i. d. R. vier) Jahre in die Vergangenheit zu blicken. Hier unterstützen spezielle Auswertungsprogramme, welche die Kontoauszüge und Buchhaltungsunterlagen des Schuldners auf bestimmte Kriterien durchsuchen (Verwendungszweck, Empfänger, glatte Beträge, Zahlungen im Rahmen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen) und somit Anhaltspunkte für das Vorliegen von Anfechtungsansprüchen aber auch Insolvenzeröffnungsgründen liefern. Bei mittelständischen Unternehmen sind über 20.000 Bankbuchungen innerhalb von vier Jahren keine Seltenheit – eine Informationsflut, die ohne maschinelle Hilfe nur schwer beherrschbar ist.
Fazit: Idealer Anwendungsbereich für die elektronische Datenverarbeitung
Insolvenzverwalterkanzleien müssen große Datenmengen binnen relativ kurzer Zeit beschaffen, (sinnvoll) speichern und verarbeiten – ein idealer Anwendungsbereich für die elektronische Datenverarbeitung. Die aktuellen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz und des so genannten Machine Learnings werden sich auch auf die Verarbeitung der Daten in Insolvenzverfahren und die Bearbeitung derselben – auch aus Sicht der Gläubigergesamtheit (beispielsweise beim Auffinden von Anfechtungsansprüchen) – positiv auswirken. Textgeneratoren wie ChatGPT zeigen bereits jetzt erstaunliche Ergebnisse bei der Analyse und Zusammenfassung von komplexen Sachverhalten und bei der Erstellung von Schriftsätzen.
Software und Legal Tech-Tools im Insolvenzrecht im Überblick
- Elektronische Aktenführung: LEXolution DMS
- Druck und Weiterberarbeitung von Briefpost: Deutsche Post E-POST Lettershop
- Remote Zusammenarbeit: Nextcloud
- Elektronische Wissensdatenbanken
- Kanzleieigenes Wissensmanagementsystem: lexiCan
- Auswertungsprogramme zur Durchsuchung von Buchhaltungsunterlagen
Bild: Adobe Stock/©ckybe
Stephan Meyer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, ist nach dem INDat-Report 2023 einer der TOP-15 Insolvenzverwalter Bayerns und zählt zu den TOP-100 Insolvenzverwaltern Deutschlands. In der auf Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei SRI (SCHWARTZ Rechtsanwälte Insolvenzverwalter) mit acht Insolvenzverwalter:innen, insgesamt 20 Rechtsanwält:innen, knapp 100 Mitarbeiter:innen und über 8.000 erledigten bzw. laufenden Insolvenz(antrags)verfahren verantwortet er den technischen Bereich.