Von Martin Krämer
Martin Krämer, Mitglied der DATEV-Geschäftsleitung verrät, worauf es ankommt
Juristen sind Juristen, aber wer eine Kanzlei führt, muss auch unternehmerisch denken, sagt Martin Krämer. Im Interview verrät der Leiter des Bereiches Service & Produkte beim Software-Unternehmen DATEV eG, worauf es bei einem erfolgreichen Geschäftsmodell in Zeiten von Legal Tech ankommt.
Herr Krämer, wie geht die DATEV eG als Software-Unternehmen das Thema Digitalisierung im Anwaltsmarkt an?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Kernfragen, die entscheidend sind: Was brauchen unsere Kunden und wie kann man ihnen dabei helfen, die Chancen, die neue Technologien bieten, zu erschließen? Wie wirken sie sich auf Mitarbeiter und Arbeitsprozesse im Einzelnen aus? Bezogen auf meine organisatorische Verantwortung streben wir im Kern natürlich an, den Anwenderservice mit Hilfe der Digitalisierung kontinuierlich zu verbessern.
Hat die klassische Kanzlei als Geschäftsmodell ausgedient?
Auf keinen Fall! Wer sagt: ‚In zehn Jahren gibt es mich nicht mehr‘, sollte sofort aufhören. Nur wer die neuen Entwicklungen mit einer positiven Denkweise betrachtet und sich mit den Chancen beschäftigt, kann die neuen Technologien und Märkte für sich nutzen. Man sollte sich vielmehr fragen: Was muss man an der Kanzlei als Geschäftsmodell ändern? So wie ich das wahrnehme, widmen sich Rechtsberater lieber Themen, die juristische Feinsinnigkeit erfordern. Hinter dem beruflichem Selbstverständnis von Anwälten steckt auch immerhin eine Menge Historie und Tradition. Trotzdem wird unternehmerisches Denken immer wichtiger. Und da gilt es, zu fragen: Wie verdiene ich zukünftig mehr Geld als heute? Das mag zwar eine kapitalistische Denkweise sein, aber es ist eine Perspektive, die hilft, zu überlegen: Wo werde ich bedroht? Wo kann ich Chancen nutzen? Und ich glaube davon gibt es allerhand.
Geht es also darum, Zeit und Geld zu sparen?
Nein, das wäre die falsche Perspektive. Es geht um kundenorientiertes Denken. Jemand, der eine anwaltliche Dienstleistung in Anspruch nimmt, hat letztlich einen Bedarf und dieser kann eben gut und schlecht befriedigt werden. Hier sehe ich bei vielen Rechtsanwälten noch Potential. Wie erreiche ich es, dass sich mein Mandant möglichst wohl fühlt? Die Digitalisierung ist nichts weiter als ein Vehikel dafür, zum Beispiel die E-Mail-Kommunikation. Ein Brief dauert einfach länger! Letztlich geht es darum, dass der Mandant ein Problem hat und wie man es am schnellsten lösen kann. Das ist eine Chance!
Die Digitalisierung ist nichts weiter als ein Vehikel.
Was ist der erste Schritt, um den Prozess der Digitalisierung in der eigenen Kanzlei voranzutreiben?
Zunächst einmal gibt es genug Hersteller, die digitale Lösungen anbieten: Dokumentenmanagement-Systeme, Organisationslösungen, Kanzleimanagement-Systeme usw. Um die passende Software zu finden, muss man natürlich die Arbeitsabläufe in der Kanzlei kennen. Wo wird unnötig Zeit verbrannt? Womit beschäftigen sich meine Mitarbeiter den ganzen Tag? Vielleicht gibt es eine Software, die ihnen bestimmte Aufgaben abnimmt oder sie vereinfacht. Das sind Fragen, die sich sowohl große als auch kleine Kanzleien stellen sollten. Wer das verinnerlicht, tut schon den ersten Schritt zu mehr Effizienz im Arbeitsalltag.
Die zweite Sache betrifft das Geschäftsmodell. Wer hier etwas Neues machen will, braucht einen langen Atem. Es bringt nichts, zu sagen: Jetzt starte ich mit einem supertollen Geschäftsmodell und bin von Anfang an erfolgreich. Man muss erst mal die Masse von seinem Angebot überzeugen. Es braucht eine Weile bis ein Angebot bekannt wird. Nehmen wir zum Beispiel die Digitalisierung von Insolvenzanträgen. Mit solch einem Angebot beschäftigt man sich erst, wenn man betroffen ist, vorher nicht. Oder Programme zur juristischen Textanalyse. Von ganz vielen Kunden haben wir gehört: Das ist eine tolle Lösung, um Texte zu durchdringen, zu bewerten und zu analysieren. Aber, wenn es darum geht, die Software in den Arbeitsalltag einzubinden, geht das nicht von heute auf morgen. Viele hängen noch an ihrer guten alten Handakte. Gewohnheit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Wer hier etwas Neues machen will, braucht einen langen Atem. Viele hängen noch an ihrer guten alten Handakte. Gewohnheit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Wie nehme ich meine Mitarbeiter als Anwalt bei solchen Prozessen mit?
Ob groß oder klein, in jedem Unternehmen gibt es beim Thema Innovationen eine Verteilung: Da sind die Progressiven, die Normalen und – sagen wir mal – die Traditionalisten, die Neuerungen schwer annehmen. Wenn Sie etwas Neues einführen, wird sich folgender Zyklus wie ein Naturgesetz wiederholen: Sie fangen mit den Aufgeschlossenen an. Die werden sich in die Technologie und Prozesse einarbeiten. Wenn es gut ist – und nur dann – werden sie diese sukzessive auf die anderen übertragen. Aber das ist auch das, was ich mit Zeit meine. Sie können nicht anweisen: Sei innovativ! Sei digital! Das ist ein Prozess mit ganz persönlichen Erfolgserlebnissen eines jeden einzelnen Mitarbeiters. Wenn die Menschen es nicht annehmen, wird das nix.
Sie können nicht anweisen: Sei innovativ! Sei digital! Das ist ein Prozess mit ganz persönlichen Erfolgserlebnissen eines jeden einzelnen Mitarbeiters.
Ist das also eine Mentalitätenfrage?
Unbedingt.
Wenn es um Rechtsberatung geht, scheinen viele in zwei Lager zu denken: Klassische Kanzlei und Legal Tech-Startup. Wie lassen sich diese zwei Welten zusammenbringen?
Ich glaube, dass es die klassische Kanzlei in dem Sinne bald so nicht mehr geben wird. Man muss sie Schritt für Schritt zusammenbringen. Man ist nicht einfach so morgen digital. Langfristig gilt es, sich auch zu fragen, was ist in Zukunft das richtige Geschäftsmodell für mich? Man kann sich nicht vor den Themen der Digitalisierung verschließen. Man sollte auch keine Angst vor Rückschlägen haben. Man muss vor allem anfangen!
Man muss vor allem anfangen!
Herr Krämer, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Bettina Taylor.
Foto: Fotolia/everthingpossible
Martin Krämer ist Leiter Service & Produkte der DATEV eG und Mitglied der DATEV-Geschäftsleitung. Schon seit Jahren beschäftigt er sich dabei mit dem Thema Geschäftsmodelle in Zeiten der Digitalisierung.