Von Tom Braegelmann
Wann ist etwas eine bloß schematische rechtliche Prüfung und wann nicht?
Am wichtigsten ist im Urteil des LG Köln die Feststellung, dass aus Sicht des Gerichtes ein digitaler Vertragsgenerator grds. tatsächlich und stets eine rechtliche Prüfung vornimmt, anders als ein bloßes Formularhandbuch mit Vertragsvorlagen. Dazu sagt das LG Köln klar und eindeutig:
Das mit dem Vertragsgenerator verbundene Angebot erfordert auch eine rechtliche Prüfung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG. Die Vorschrift erfasst mit diesem Erfordernis jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht. Ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist dabei unerheblich.
Dieses Verständnis von § 2 Abs. 1 RDG entspricht in dieser Allgemeinheit in der Tat der Intention des Gesetzgebers. Aber passt das im konkreten Fall? Darüber wird in den kommenden rechtspolitischen Diskussionen zu streiten sein: Wann geht ein Legal Tech-Angebot über die bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinaus? Viel sagt das LG Köln nicht zu dieser Frage, wenn man genau liest. Im Ergebnis ist das aus Sicht des LG Köln vor allem dann der Fall, wenn die Ergebnisse einer rechtlichen Prüfung einen hohen Grad der Individualisierung aufweisen und der Nutzer eben den Eindruck hat, dass Rechtsberatung stattfindet. Das soll der Fall gewesen sein, so das LG Köln.
Denn nach Auffassung des LG Köln geht smartlaw „über das Format eines klassischen Formularhandbuchs erheblich hinaus und kann auch nicht nur als weiterentwickelte digitale Formularsammlung begriffen werden“.
Das ist der Knackpunkt in diesem Fall und es hätte vielleicht dem Verständnis der Richter geholfen, wenn Sie selbst einmal mit smartlaw z. B. einen Wohnungsmietvertrag entworfen hätten. Jedenfalls ist der Unterscheid für das LG Köln zwischen zulässiger digitalter Vertragsformularsammlung und unzulässigen Vertragsgenerater folgender:
- Ein „Formularhandbuch beinhaltet (…) eine rein abstrakte Behandlung von Rechtsfragen mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen“.
- „Der Nutzer eines Formularhandbuchs ist (…) gehalten, anhand der in dem Formularhandbuch enthaltenen allgemeinen Hinweise einen für sich passenden Vertragstext zusammenzustellen.“
- „Er ist derjenige, der die abstrakten Informationen selbst in ein konkretes Dokument transferiert.
- Hinsichtlich der Auswahl des konkreten Produktes folgt er dabei gerade nicht einer fremden Empfehlung.“
Daran kann man schon zweifeln, denn wenn ein Formularhandbuch keine „fremden Empfehlungen“ für brauchbare Vertragsklauseln enthält, stellt sich die Frage, was für einen Inhalt es denn sonst hat?
Das LG Köln grenzt nun das abstrakte Formularhandbuch vom konkreten Vertragsgenerator von smartlaw ab. Letzterer sei rechtsberatend aktiv:
- „[a]ufgrund der Vielzahl der im Erstellungsprozess gestellten Fragen“
- denn aus diesen Fragen „entsteht (…) ein individuelles Bild von dem konkreten Fall des Betroffenen“
- „und dieser erhält ein unmittelbar zur Anwendung geeignetes („unterschriftsreifes“) Produkt“
- „Die Entscheidung, welche Formularbausteine im konkreten Fall für ihn passend sind, wird dem Rechtssuchenden durch den Vertragsgenerator abgenommen.“
Da wird man sich nun als Legal Tech-Anbieter fragen: Wie viele spezifische Fragen darf man denn nun maximal stellen lassen, bevor eine legale abstrakte digitiale Formularsammlung zu einem illegalen konkreten Vertragsgenerator wird? Generell kann man die Abgrenzung zu Formularsammlungen anhand des Kriteriums der „Unterschriftsreife“ kritisieren, denn etliche Vertragsformulare in Büchern und Datenbanken sehen jedenfalls dem ersten Anschein nach bereits auch unterschriftsreif aus.
Wann liegt Rechtsberatung vor und wann nicht? Auf die Wahl der Metapher kommt es an!
Das LG Köln sagt, nach dem Regelungsansatz des RDG durchaus nachvollziehbar, dass es egal ist, ob die rechtsberatende Tätigkeit unmittelbar durch einen Menschen erfolgt oder nicht. Deswegen kommt es darauf an, mit was man das, was smartlaw tatsächlich tut, vergleicht, um einzuschätzen, ob es überhaupt als Rechtsdienstleistung zählt. Nun war zu der Zeit, als § 2 RDG erlassen wurde, im Jahr 2007, noch nicht unbedingt absehbar, dass alsbald Computer via Online-Masken massenhafte und für Verbraucher nützliche und rechtsberatende Tätigkeiten ausüben können. Im Jahr 2007 ging man noch eher davon aus, dass Rechtsberatung nun auch ohne Termin in Kanzleiräumen durch Menschen über das Internet oder Telefon-Hotlines möglich sein würde. Das Gericht zieht deswegen als zentral für seine Argumentation einen Vergleich mit einem Callcenter heran:
„Würden die von der Beklagten angebotenen Rechtsdokumente im Rahmen einer Telefon-Hotline angeboten, bei denen die Callcenter-Mitarbeiter den im Erstellprozess der „smartlaw\"-Produkte herangezogenen Fragen-Antwort-Katalog mit den Kunden zunächst durchgingen und dann (bspw. unter Verwendung des Vertragsgenerators) das Endprodukt erstellten und dem Nutzer zum Verkauf anböten, erschiene wenig zweifelhaft, dass eine solche Dienstleistung auf eine konkrete Rechtsangelegenheit bezogen ist.“
Letztendlich begründet das Gericht dann nicht mehr, warum dies „wenig zweifelhaft“ ist, denn es ist ja augenscheinlich für das Gericht so. Es sollte aber doch darüber nachgedacht werden, ob der Vergleich einer mündlichen Dokumentenerstellung via Callcenter mit einem Online-Vertragsgenerater sachgerecht ist. Erneut stellt sich die Frage, ob die Richter smartlaw konkret ausprobiert haben. Im Gespräch mit einem Callcenter-Mitarbeiter könnten die Nutzer zum einen recht schnell merken, dass der Callcenter-Mitarbeiter selbst keine vertieften juristischen Kenntnisse hat, sondern lediglich Textbausteine vorschlägt. Das kann der Nutzer von smartlaw nicht so leicht erkennen, sondern muss sich darauf verlassen, dass die Vorlagen und die online auszufüllenden Fragestellungen rechtlich korrekt sind. Der menschliche Callcenter-Mitarbeiter kann sich darüber hinaus vertun oder die Antwort fehlerhaft mitteilen. Die Ergebnisse eines Online-Vertagsgenerators sind hingegen (hoffentlich) immer für sich selbst korrekt, nur stellt sich immer die Frage, ob sie auch passen, selbst wenn der Nutzer die Online-Maske formal korrekt (aber in Wirklichkeit doch falsch oder lückenhaft) ausgefüllt hat. Andererseits könnte ein geschulter Callcenter-Mitarbeiter die Fragen der Kunden vielleicht besser verstehen und juristisch korrekt einorden, auch wenn sie unjuristisch oder missverständlich ausgedrückt sind. Das kann ein Online-Vertragsgenerator nicht, dieser muss letztendlich jeden Input so nehmen, wie er als Text hereinkommt: Denn vom „Verstehen“ eines juristischen Sachverhaltes in seiner ganzen prosaischen Schönheit, vom Trennen des juristisch Wichtigem vom Unwichtigen, von der „Lösung“ eines rechtlichen Problems und von der Beantwortung der Frage: „Wie ist die Rechtslage“ sind die Computer noch weit entfernt – dass künstliche Intelligenz irgendwann auf überzeugende und legitime Weise echte Rechtsberatung erbringen wird, mag sein, ist aber einstweilen (und vermutlich noch auf lange Zeit) Science Fiction. Das spricht wieder dafür, dass Vertragsgeneratoren derzeit inhaltlich keine Rechtsberatung machen können, weil sie „zu dumm“ dafür sind. Würden die Nutzer diese Dummheit der Vertragsgeneratoren bemerken? Wenn die Nutzer digitale Vertragsgeneratoren oder andere Legal Tech-Angebote dennoch benutzen, tun sie das also durchaus mit einem Haftungsrisiko bzw. dem Risiko, dass die Beratung falsch ist. Wie haftet dann der Legal Tech-Anbieter, wenn er keine Haftpflichtversicherung wie eine Anwältin oder ein Anwalt hat? Sollen die Verbraucher das Insolvenzrisiko von Legal Tech-Anbietern tragen, wenn ein Legal Tech-Anbieter mangelhaft gearbeitet und Haftungsfälle verursacht hat? In der Diskussion sollte also auch überlegt werden, falls durch den Gesetzgeber mehr Legal Tech-Angebote durch Nichtanwälte gesetzlich zugelassen werden, dies durch eine Haftpflicht auszugleichen, um den Wettbewerb mit der Anwaltschaft nicht zu verzerren. Sei dem wie es sei, in weiteren Prozessen wird darauf zu achten sein, brauchbare Metaphern heranzuziehen für die Argumentation für oder wider Legal Tech als Rechtsdienstleistung. Der Vergleich eines Online-Vertragsgenerators mit einem Callcenter muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Aber liegen andere Vergleiche näher?
Legal Tech-Geschäftsmodelle und deren Finanzierung in Gefahr?
Offensichtlich tangiert diese Entscheidung des LG Köln die Geschäftsmodelle von Legal Tech-Unternehmen und gefährdet die Investitionen von Wagniskapitalgebern in solche Legal Tech-Unternehmen. Wegen des Fremdbesitzverbotes an Anwaltskanzleien (d. h.: Es dürfen keine Investment-Holdings, sondern im Wesentlichen lediglich aktive Anwälte und Anwältinnen Gesellschafter sein, ggf. mit Mitgliedern anderer freier Berufe) ist es Wagniskapitalgebern derzeit nur möglich, in solche Unternehmen zu investieren und Anteile daran zu erwerben, die keine Anwaltszulassung haben. Wenn sich diese Rechtsprechung des LG Köln also durchsetzt, sind nicht-anwaltliche Legal Tech-Unternehmen von vielen Bereichen der mehr als schematischen Rechtsprüfung ausgeschlossen. Als attraktive Investitionsobjekte scheiden diese nicht-anwaltlichen Legal Tech-Unternehmen somit vermutlich aus. Auch wenn das schade für die Investoren ist, kann das eine konsequente Folge sein, wenn die Entscheidung des LG Köln obergerichtlich bestätigt wird. In der Rechtspolitik wird deshalb gerade überlegt, ob es im Interesse der Rechtstaatlichkeit und der Verbesserung des Zugangs zum Recht sinnvoll sein kann, Fremdkapital in Kanzleien zuzulassen, damit Kanzleien Investitionen in LegalTech-Anwendungen überhaupt stemmen können. Das kann sich aber mit den anwaltlichen rechtsstaatlichen Prinzipien der Verschwiegenheit und der Unabhängigkeit von Anwältinnen und Anwälten beißen. Weiterlesen
Teil I: Das Landgericht Köln stärkt das Rechtsberatungsmonopol der Anwaltschaft in der Digitalität
Teil III: Wozu und welche Art von Legal Tech? Legal Tech für alle?
Foto: Maksim Kabakou
Tom Braegelmann ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Annerton. Er ist ein international erfahrener Insolvenz- und Restrukturierungsexperte, war zuvor für namhafte Wirtschaftskanzleien tätig und ist sowohl in Deutschland als auch in den USA als Anwalt zugelassen. Als Anwalt mit Schwerpunkt auf Bankruptcy Law/Insolvenz- und Urheberrecht war er über drei Jahre in New York tätig. Tom Braegelmann ist bestens vertraut mit den neuesten technologischen juristischen Entwicklungen, insbesondere mit der Digitalisierung des Wirtschafts-, Restrukturierungs- und Insolvenzrechts. Darüber hinaus hat er als weiteren Schwerpunkt seiner Beratung moderne digitale Geschäftsmodelle.