Von Tom Braegelmann
Dreimal werden wir noch wach, heißa, dann müssen wir keine generischen, roboterhaften Büromenschen-Texte mehr schreiben, ob nun kurze Antwort-E-Mails, bleierne Zusammenfassungen von bleiernen Urteilen usw. – denn Google und DeepL können einpacken, jetzt kommt ChatGPT. Der neue Chatbot ist für alle frei zugänglich und eröffnet gänzlich neue Möglichkeiten bei der automatischen Erstellung von Texten (mehr dazu im Artikel auf heise.de). Welche Auswirkungen hat dies auf die Arbeit von Juristinnen und Juristen und wie können wir davon profitieren?
Ist der neue Chatbot/Text-Generator ChatGPT für den deutschen Rechtsmarkt relevant?
Ich glaube, ja. SEHR!
Jaja, manche sagen, dass ChatGPT eigentlich auch nicht viel besser ist als die gute alte Eliza, Omis und Opas Chatbot aus Urzeiten – aber ChatGPT ist doch anders. Man kann dort nämlich jetzt schon, wo es noch im Testversuch läuft, größere Textmengen eingeben, auch juristische, und diese zusammenfassen lassen. Im Folgenden ein paar Anwendungsfälle:
- Komplizierte Urteile eindampfen (zur Info für eilige Kanzleipartner oder Mandanten oder als Pressemitteilung)
- ellenlange juristische Fundstellen aus Kommentaren plagiatfrei und sinnwahrend auf schriftsatzgerechte Größe schrumpfen
- Vertragsklauseln vorentwerfen
- Büroalltags-E-Mails generieren
Das geht von nun an sehr einfach – auf Gedeih und Verderb – und wird benutzt werden, damit sollten alle rechnen. Das Ganze ersetzt aber gar keine Juristen, sondern hilft nun mehr denn je dabei, den allerersten Textentwurf, der vielen besonders schwer fällt, zu erledigen.
Wie heißt es doch von Stephen King:
„To write is human, to edit is divine.”
Das alltägliche anstrengende menschliche Schreiben wird am Anfang also teilweise durch ChatGPT erleichtert, der grobe erste Entwurf wird in die Textverarbeitung gezaubert, man kann sich fürderhin mehr auf das Editieren konzentrieren. Das ist nicht wenig. Viele Menschen werden das in ihrer täglichen Arbeit schätzen.
Probieren Sie es mal mit einem Gerichtsurteil oder einem juristischen Aufsatz aus, nehmen Sie irgendwas Juristisches, etwa etwas vom BGH oder aus einem Gesetzeskommentar, das Sie schon immer sperrig oder gar numinos (d. h. „schaudervoll und anziehend zugleich”) geschrieben fanden (da ist die Auswahl ja reichlich), packen Sie es in ChatGPT und lassen Sie es sich in Kurzform oder leichter Sprache (oder als Tatortdialog oder Song von Grönemeyer) anzeigen … das ist manchmal – ja doch – irgendwie erkenntnisfördernd, so merkwürdig das ist. Das mag nun gegen mich sprechen (Schlagzeile: „Tom von der KI getäuscht, 2. Staatsexamen widerrufen!!!”) und manche betonen dann erneut mit Nachdruck, dass ChatGPT wiederum nichts Besonderes und letztendlich nur dummes Zeug wäre. Stimmt partiell auch, aber …
… aber wann hat jemals dummes Zeug deutsche Juristen davon abgehalten, dieses dumme Zeug einzusetzen? Ich sage nur: besonderes elektronisches Anwaltspostfach. Eben. I rest my case. Also: Sie können ChatGPT verachten, Ihnen werden dennoch jetzt sehr bald viele Texte begegnen, insbesondere im Rechtsmarkt, die auf diesem Tool fußen, ganz gleich, ob das nun richtig oder falsch ist.
Stellen Sie sich also darauf ein, insbesondere als Partner einer Kanzlei: Werden Sie zukünftig erkennen, dass Ihre neuen Associates ganze Fundstellenblöcke aus Beck-Online und Juris nicht mehr simpel ausschneiden und grobschlächtig in Schriftsätze und Memos stopfen, sondern von nun an vorher noch durch den ChatGPT-Mixer jagen, umschreiben lassen und so vom Partner-Empfängerhorizont aus veredeln? Es könnte sein, dass manch juristischer Schriftsatz sogar wieder gefälliger zu lesen sein wird und die deutsche Ziviljustiz, deren Richter und Richterinnen ja unter einer langsam-zähen Lawine aus primitiven, repetitiven, öden und nur so halb passenden Textbausteinen begraben werden, aufatmet, weil Tools wie ChatGPT wieder etwas mehr Varietät und Flow in den Lesefluss bringen: win-win-win.
Beispiel: E-Mail an den Mandanten nach erfolgloser Klage:
Konkret: Man nehme das Urteil des AG Hamburg Urt. v. 15.11.2021 – 11 C 75/21
Hier hat aus meiner persönlichen insolvenzrechtlichen und datenschutzrechtlichen Perspektive das AG Hamburg irrtümlich entschieden, dass die DSGVO auf Insolvenzverwalter generell nicht anwendbar wäre bzw., dass zumindest der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gegen den Insolvenzverwalter niemals greift. Das ist zu platt. Vertieft dazu Braegelmann/Reisener, RDi 2022, 225, warum diese Entscheidung aus vielerlei Gründen schräg ist und nicht stimmt.
Was macht man jetzt aber, wenn man den erfolglosen Kläger vertreten hat und dieses enttäuschende Urteil per besonderem elektronischen Anwaltspostfach hereingesegelt ist? Man informiert den Mandanten mit einer kurzen E-Mail. Das kann jetzt ChatGPT erledigen. Man fügt dort das ganze Urteil per Copy & Paste ein und erteilt folgende Instruktion:
Entwirf eine ausführliche E-Mail eines Rechtsanwalts an seinen Mandanten, der bei dem folgenden Urteil als Kläger verloren hat. Das Urteil soll als PDF beigefügt werden. Kritisiere das Urteil aus juristischer Sicht intensiv, lehne es als nicht überzeugend und unrichtig ab und schreibe, was die richtige Entscheidung gewesen wäre. Gehe auf alle Argumente kurz ein. Gib Beispiele. Schlage am Ende vor, dass man in einem Teams-Call bespricht, ob man noch Rechtsmittel einlegen kann und ggf. sollte.
Diese Instruktion kann man selbstverständlich per Spracherkennung auf seinem Handy erteilen (demnächst würde dann ein Assistent wie Alexa, Siri oder Google dies auf- und übernehmen, prompt engineers würden sie zu verbessern versuchen), um dann den folgenden Text als Entwurf innerhalb etwa 20 Sekunden zu erhalten:
Sehr geehrter [Mandant],
ich schreibe Ihnen in Bezug auf das Urteil des AG Hamburg vom 15.11.2021 - 11 C 75/21, in dem Ihre Klage abgewiesen wurde. Anbei als PDF.
Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich das Urteil für unrichtig und nicht überzeugend halte. Das Gericht hat entschieden, dass ein Insolvenzverwalter nicht als Datenverantwortlicher im Sinne der DSGVO anzusehen ist und daher nicht zur Auskunftspflicht nach Art. 15 DSGVO verpflichtet ist.
Ich halte diese Entscheidung für falsch, da der Insolvenzverwalter im Falle einer Insolvenz die Verantwortung für die Daten des Schuldners übernimmt und somit als Datenverantwortlicher anzusehen ist. Zudem ist er für die ordnungsgemäße Verarbeitung dieser Daten verantwortlich und daher zur Auskunftspflicht gegenüber den Betroffenen verpflichtet.
Das Gericht hat außerdem entschieden, dass der Insolvenzverwalter nur allgemeine Angaben zu den über den Schuldner gespeicherten Daten und zu ihrer Verarbeitung machen muss, aber keine substantiiertere Auskunft geben muss. Dies halte ich ebenfalls für falsch, da der Betroffene ein Recht auf umfassende und detaillierte Auskunft über seine personenbezogenen Daten hat, die auch die konkrete Verarbeitung der Daten und die Übermittlung an Dritte und in Drittstaaten umfasst.
Zudem finde ich es problematisch, dass das Urteil die Notwendigkeit von konkreten Datenverarbeitungsvorgängen des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung von Auskunftsansprüchen betont. Eine solche Forderung ist in meinen Augen überzogen und stellt eine unnötige Erschwerung für die Betroffenen dar, die ihre Daten und deren Verarbeitung einsehen möchten.
Aus all diesen Gründen halte ich das Urteil des AG Hamburg für unzureichend und würde gerne mit Ihnen in einem Teams-Call besprechen, ob wir Rechtsmittel gegen dieses Urteil einlegen sollten.
Mit freundlichen Grüßen,
[Name des Rechtsanwalts]
Das ist selbstverständlich nicht besonders beeindruckend (das hätten Sie auch selber gekonnt, denken manche Leserinnen und Leser), aber es ist andererseits einer dieser typischen, überwiegend generischen, beruflichen Texte, die viele von uns tagtäglich verfassen müssen, man muss nicht mehr viel ändern, aber …
… nein, noch schlimmer: Das ist ein furchtbar langweiliger Text! Ja! Aber das Tolle ist, dass kein armer Mensch diesen entwerfen musste (allerdings wohl immer noch ein armer Mandant diesen Text lesen). So ist der Büroalltag oft auf dem Rechtsmarkt und auch in den Amtsstuben. Das ist nicht meine Schuld, don’t kill the messenger.
Allerweltstexte per KI erleichtern das Büroleben
Das Schreiben langweiliger Bürotexte wird also wirklich leichter, da man diese partiell geistlosen aber doch zwingend notwendigen Allerweltstexte, die in dieser Welt, wie sie ist und in der wir leben müssen, wichtig sind, nur noch skizzieren müssen. Der Rest ist Computer.
Das ist in dieser Leichtigkeit neu. Ja, es gibt etliche, die sagen, wie oben erwähnt, dass es eigentlich nicht neu und schon länger möglich ist (oder das Googles LaMDA noch besser sei…). Ok, aber bisher war es nicht in dieser Nutzerfreundlichkeit der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich, und das ist der himmelweite Unterschied. Ein Vergleich wäre vielleicht das Handy: Mobile Telefone gab es in gewisser Weise schon seit 1958, aber die waren lange klotzig, seit 1992 gab es digitalen Mobilfunk mit lediglich etwa einer Million Nutzenden. Es war umständlich und teuer – erst ab dem Jahr 2000 stiegen die Nutzerzahlen rasant an, gleichzeitig sanken die Handytarife, die gesellschaftliche Akzeptanz für Handys wuchs.
Ähnlich könnte es (oha, ja, ich bin noch vorsichtig, wie feige) hier sein: ChatGPT hat schon nach wenigen Tagen eine Million Nutzer, wie es heißt, und war wegen Überlastung zeitweise nicht erreichbar. Im Moment ist der Chatbot noch formal kostenlos und hat gewisse Mengenbegrenzungen. Aber es ist zu erwarten, dass es kein Zurück hinter diesen Standard mehr geben wird:
Einfache Online-Sprachverarbeitungsangebote, die in natürlicher Sprache Instruktionen meist wie intendiert bearbeiten, viel Kontext kennen und robuste Antworten in (noch etwas gestelzter) natürlicher Sprache liefern, werden bald in Massen benutzt werden. Passen Sie also auf, ob Sie demnächst noch erkennen können, ob Ihre Anwältinnen und Anwälte oder Ihre Schüler und Schülerinnen Ihnen wirklich noch selbst oder nur noch mittels vorgenerierter, minimal händisch editierter Texte antworten. Spot the difference? Peinlich wird es, wenn Sie Texte, die tatsächlich noch von Menschen verfasst wurden, für computergeneriert halten. Das soll jetzt schon vorkommen.
Was bedeutet das für Anwältinnen und Anwälte?
Was kann man da jetzt also mit anstellen auf dem Rechtsmarkt? ChatGPT kann einfache Verträge und Vertragsklauseln entwerfen oder auch Urteile oder juristische Fundstellen aus Kommentaren zusammenfassen, es hakelt noch, but we are getting there. Ebenso Schreiben an Mandantinnen oder die Gegenseite. Das meiste ist noch oberflächlich und es gibt auch etliche Fehler. Die Nutzer dieses Tools müssen also zwingend sogenanntes Domänenwissen haben, also Juristen sein, wenn es auf dem Rechtsmarkt zum Einsatz kommt. Aber das ist ja genauso der Fall, wenn Menschen Urteile oder Aufsätze zusammenfassen oder juristische Schreiben verfassen, denn dabei passieren ebenso Schnitzer und diese Aufgabe sollte ebenfalls nur von Juristen übernommen werden, jedenfalls wenn es um die juristische Seite dieser Texte geht. Nun wird es leichter.
Da geht noch mehr
Juristische Fälle lösen kann ChatGPT noch nicht so richtig, da rumpelt es noch, aber leichte Mathe-Textaufgaben schon. Die Handhabung ist auch viel besser als bei Google, weil man Fragen in natürlicher Sprache stellen kann und ausformulierte Antworten bekommt.
Ob man sich darauf verlassen kann? Vermutlich noch nicht. Aber wer das Ganze ausprobiert, wird merken, dass das Kontextwissen (derzeit bis etwa 2021) dieses Werkzeugs schon groß ist – auch wenn es nur aus der gewöhnlichen Wikipedia stammt – aber die benutzen ja auch alle. Und seien wir mal ehrlich: Viele Leute verlassen sich auch auf Google, Wikipedia und auf die juristischen Datenbanken und vertrauen darauf, dass die darin repräsentierten Inhalte weitgehend richtig und komplett sind. Denn selbst überprüfen kann man das nicht.
Wir müssen also dem digitalen Tool vertrauen, auch in diesem neuen Kapitel der Digitalität, es wird schon stimmen … dabei stimmt es bei den juristischen Datenbanken zum Beispiel nicht, da sind nur weniger als fünf Prozent aller deutschen Gerichtsurteile eines Jahres drin. Trotzdem benutzt man sie arglos. So wird es auch mit ChatGPT kommen, je öfter es Ergebnisse liefert, die im juristischen Alltag halbwegs brauchbar sind, ganz gleich, wie sie generiert werden. Ich befürworte das nicht unbedingt, aber vermute, dass es so kommen wird.
Ich hoffe nun, Ihnen kam mein Text hier nicht generisch und computergeneriert vor, bis auf das oben zitierte E-Mail-Beispiel. Ich habe mich bemüht, möglichst kreativ und anspielungsreich zu schreiben, auch bemüht assoziativ, wie es derzeit einem ausgefuchsten Textgenerator noch nicht möglich wäre. Ist mir das gelungen? Antworten gerne an klotz@klotzkette.com
PS: Ich habe ChatGPT folgendermaßen gebeten, den obigen Text zusammenzufassen:
Kritisiere den folgenden Text in einem kurzen, hämischen, zynischen, sarkastischen und ironischen Tweet.
Hier das Ergebnis:
Der ChatGP-Torische Imperativ: Schreibe stets so gut, dass Du Dir sicher bist, dass eine KI nicht genauso gut schriebe\" - lol, wer braucht schon KI, wenn man selbst so unfassbar talentiert ist? #lawyersgonnalaw #AIoverrated
Überzeugt?
Bild: Adobe Stock/Timon
Tom Braegelmann ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Annerton. Er ist ein international erfahrener Insolvenz- und Restrukturierungsexperte, war zuvor für namhafte Wirtschaftskanzleien tätig und ist sowohl in Deutschland als auch in den USA als Anwalt zugelassen. Als Anwalt mit Schwerpunkt auf Bankruptcy Law/Insolvenz- und Urheberrecht war er über drei Jahre in New York tätig. Tom Braegelmann ist bestens vertraut mit den neuesten technologischen juristischen Entwicklungen, insbesondere mit der Digitalisierung des Wirtschafts-, Restrukturierungs- und Insolvenzrechts. Darüber hinaus hat er als weiteren Schwerpunkt seiner Beratung moderne digitale Geschäftsmodelle.