Legal Tech-Szene

Dreht sich die deutsche Legal Tech-Szene im Kreis? (Teil 2)

Mitgründer und Beirat des Legal Tech-Verbandes Björn Frommer im Interview

Von Björn Frommer

Wie kann sichergestellt werden, dass kleine Kanzleien in der Digitalisierung nicht abgehängt werden? Björn Frommer, Mitgründer des Legal Tech-Verbandes Deutschland e. V., Anwalt und Legal Tech-Unternehmer spricht im zweiten Teil des Interviews mit legal-tech.de über die Rolle der Berufsverbände in der Legal Tech-Szene. Außerdem erklärt er, welche Themen in der Debatte um Legal Tech wieder mehr in den Fokus rücken müssen, um diese progressiver zu gestalten.

Gibt es eine Annäherung oder eine Entfremdung zwischen „Legal Techies“ und der klassischen Anwaltschaft? Den ersten Teil des Interviews mit Björn Frommer können Sie hier nachlesen.

 

Sie hatten im ersten Teil des Interviews die Legal Tech-Beratung ins Spiel gebracht. Die müssen sich gerade kleine Kanzleien oder Einzelanwält:innen aber auch leisten können. Oft scheitert die Digitalisierung in kleinen bis mittelgroßen Kanzleien daran, dass schlicht die Mittel fehlen, um in neue Technologien und Prozesse zu investieren. Sollte die Politik hier Unterstützung leisten?

Da würde ich gar nicht unbedingt auf die Politik zielen. Hier sehe ich eine große Chance für die Berufsverbände. Die BRAK hat zuletzt sehr oft betont, dass es ihr auch und gerade um kleine Kanzleien bzw. die Erhaltung des Angebotes auf dem Land ginge. Verbände könnten hier für kleine Kanzleien Hilfestellung leisten. Ich bin hier sicherlich nicht ganz auf dem Laufenden, kann mich aber erinnern, dass der DAV und auch einige Rechtsanwaltskammern schon aktiv sind.

Anwälte und Anwältinnen leisten ihre Mitgliedschaftsbeiträge, weil sie sich von den Verbänden Unterstützung erhoffen, wenn man selbst an Grenzen stößt. Und da verdient die Digitalisierung von Kanzleien unbestreitbar viel Aufmerksamkeit.

Ich muss mich als Anwalt oder Anwältin ununterbrochen fachlich fortbilden. Jedenfalls faktisch bin ich gezwungen, mich auch in Digitalisierungsfragen weiterzubilden. Also warum keine Hilfestellung durch Verbände in Form von kostenlosen oder preiswerten Weiterbildungs- und Beratungsangeboten?

Auch wenn ich keine Werbung in eigener Sache machen will, komme ich nicht umhin, für eine Mitgliedschaft im Legal Tech Verband zu werben. Hier finden Anwälte und Anwältinnen, Tech-Firmen, Versicherungen etc. zueinander – eine gute Kombination, um sich neue Netzwerke zu schaffen, Synergien zu nutzen usw.

Gestern Utopie, heute Normalität

Und natürlich braucht es ein Umdenken. Anwälte und Anwältinnen sollten Allianzen bilden, um sich technologisch optimal aufzustellen. In Massenverfahren ist es längst üblich, nicht alle Themenfelder selbst zu bewirtschaften, sondern mit anderen Kanzleien arbeitsteilig zu agieren. Gerade kleinere Einheiten sollten das adaptieren, was ihnen die großen Platzhirsche vorleben.

Wir Anwälte und Anwältinnen bieten unserer Mandantschaft schon von je her ein bestimmtes Ambiente, um erfolgreich wahrgenommen zu werden. Das, was früher der schöne Empfangsbereich und die gute Tasse Kaffee war, ist heute vielfach durch die moderne Homepage und die bestmögliche Erreichbarkeit abgelöst worden. Wenn man vor zehn Jahren noch auf eine Homepage verzichten konnte, ist dies heute faktisch unmöglich. Viele KMUs sind z. B. auf Suchmaschinenoptimierung angewiesen und müssen Geld in die Hand nehmen, um ihre Kunden und Kundinnen via Google & Co. zu erreichen. Wir reden im Grunde also nur von Selbstverständlichkeiten – dummerweise aber erst retrospektiv, wenn sich die Veränderung schon etabliert hat.

Ohne Pandemie wäre für uns alle nicht vorstellbar, wie rasant Gerichte mal zu virtuellen Gerichtsverhandlungen finden würden. Was heute schon fast Normalität ist, war gestern noch Utopie.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser gedankliche Twist ausreicht, um mein eigenes Business in eine andere Richtung zu bewegen. Wer Gegenwehr leistet, wird sich nicht oder zu spät verändern. Wer die Zeichen der Zeit erkennt, wird es immer schaffen.

Welche Themen müssen stärker in den Fokus rücken, damit die Debatte um und über Legal Tech wieder progressiver wird?

Die Verwaltung sollte stärker in den Fokus rücken. Die enorme Bedeutung und positive Sprengkraft einer echten Digitalisierungsoffensive in der Verwaltung lässt sich kaum in Worte fassen.

Hier wird es nur leider etwas utopisch: Würde der Staat bzw. die Institutionen zum Wegbereiter in puncto Digitalisierung, also bei Information, Kommunikation und Transaktion zwischen den Behörden, mit den Bürgern und Bürgerinnen und mit Unternehmen, würden alle Ihre Interviewfragen keinen Sinn (mehr) ergeben. Würde der Takt derart fortschrittlich vorgegeben, könnten wir uns dem doch gar nicht entziehen. Legal Tech wäre in der absoluten Normalität angekommen.

Um in die Realität zurückzukehren: Ich bin überzeugt, dass gerade aus der Anwaltschaft Impulse und Forderungen machtvoll an die Verwaltung adressiert werden müssen. Nur so schaffen wir es, auch auf Seiten des Staates den passenden Resonanzkörper zu haben. Denn es nutzt uns nichts, virtuell verhandeln zu können, wenn Gerichte über keine passende Technologie verfügen.

Welche Aspekte wurden hingegen schon zu „breitgetreten“?

Die Künstliche Intelligenz löst bei mir mittlerweile eine gewisse Ermüdung aus. Nicht, weil es über sie nichts zu berichten gäbe. Sondern weil mir zu oft suggeriert wird, dass „alles möglich und ganz einfach“ sei. Dem ist natürlich nicht so. In den meisten Kanzleien spielen solche Themen noch überhaupt keine Rolle.

Die Zuspitzung auf den „Robo Judge“ der Zukunft – eine KI, die den Richter bzw. die Richterin ersetzen soll – empfinde ich als zu abgehoben bzw. realitätsfern. Mich stört hieran eigentlich nur eines: Ich befürchte, dass Legal Tech immer dann an Glaubwürdigkeit verliert, wenn gefühlte Science-Fiction-Themen zu stark in den Fokus der Berichterstattung geraten.

Wir haben in Deutschland eine Verwaltung, die kaum digitalisiert ist, viele Kanzleien arbeiten noch nicht digital – und wir philosophieren über „Robo Judges“? Ich sehe uns eher in der Verantwortung, heute Machbares zu transportieren und den Weg für echte Veränderungen zu ebnen.

Wenn Anwaltschaft, Unternehmen, Verwaltung und Justiz es schaffen, papierlos zu arbeiten, ist schon eine ganze Menge geschafft.

Kritische Stimmen sehen Legal Tech lediglich als ein Hype-Thema. Ist da etwas dran?

Kritische Stimmen haben auch den Erfolg des Streamings in Frage gestellt, weil man sich schlichtweg nicht vorstellen konnte, dass uns Menschen der Besitz, etwa an einer DVD oder CD, irgendwann völlig egal werden könnte. Die Zeit hat dem Fortschritt wie immer Recht gegeben. Man darf sich hier getrost entspannen: Es kommt zumeist anders, als man denkt.

Wer sich allerdings ernsthaft traut, in Zeiten von virtuellen Gerichtsverhandlungen, Smart Documents, Data Analytics etc. von einem bloßen Modetrend zu sprechen, hat vielleicht ein paar Jahre verschlafen. Ich kann das jedenfalls nicht ernst nehmen, vernehme solche Stimmen aber auch gar nicht mehr.

Natürlich wird es innerhalb der globalen Entwicklung immer mal wieder Themen geben, die im besonderen Fokus des Interesses und der Berichterstattung stehen. Solche Hype-Themen haben mit der heutigen Realität vielleicht noch nichts zu tun. Fakt ist jedoch: Die Digitalisierung schreitet voran und wir können und sollten sie in unserem Sinne mitgestalten.

Vielen Dank für das Interview, Herr Frommer!

Das Interview führte Verena Schillmöller.

Foto: Adobe Stock/©Alexander Limbach
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Björn Frommer ist Rechtsanwalt und Managing Partner von FROMMER LEGAL. Als Anwalt beschäftigt er sich seit fast 20 Jahren mit der Digitalisierung juristischer bzw. operativer Prozesse. Gemeinsam mit Partnern hat er JUNE ins Leben gerufen, eine modulare Cloud-Plattform zur Abwicklung von juristischen Massenverfahren und Großprojekten. Björn Frommer ist Mitgründer, ehemaliger Vorstand und nunmehr Beirat des Legal Tech Verbandes Deutschland.

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